08.06.2021 Inneres und Heimat — Anhörung — hib 758/2021

Gesetzlicher Rahmen zur Einbürgerung früherer NS-Verfolgter

Berlin: (hib/HAU) Die von der Bundesregierung geplante Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (19/28674) mit dem Ziel, einen gesetzlichen Rahmen zur Einbürgerung früherer NS-Verfolgter und deren Nachkommen zu schaffen, stieß bei einer Sachverständigenanhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am Montag auf Zustimmung. Wie die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf ausführt, hatte das Bundesinnenministerium 2019 Erlassregelungen in Kraft gesetzt, durch die Nachfahren NS-Verfolgter, die staatsangehörigkeitsrechtlich Nachteile erlitten haben, aber nicht unter den Anspruch aus Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes fallen, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.

„Berücksichtigt wurden auch Kinder deutscher und früherer deutscher Staatsangehöriger, die bei Geburt vor dem 1. Januar 1975 beziehungsweise vor dem 1. Juli 1993 in geschlechterdiskriminierender Weise vom Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, sowie deren Abkömmlinge“, heißt es in der Vorlage weiter. Diese Erlassregelungen sollten nun „in gesetzliche Anspruchsgrundlagen übergeleitet“ werden. Dabei erfolge die gesetzliche Verankerung auch, „um den Wiedergutmachungsregelungen das von Betroffenenseite geforderte symbolische Gewicht zu geben“.

Von einem Meilenstein sprach Nicholas Courtman, der zur Geschichte des Staatsangehörigkeitsrechts und der Einbürgerungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland mit einem besonderen Schwerpunkt auf die staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung NS-Verfolgter forscht. Paragraf 15 Staatsangehörigkeitsgesetz nehme möglichst viele Aspekte nationalsozialistischen staatsangehörigkeitsrechtlichen Unrechts in den Blick. Er erweitere bisher verschiedenartig eingeschränkte oder zeitlich befristete und inzwischen ausgelaufene Einbürgerungsansprüche für NS-Verfolgte, die die deutsche Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit nationalsozialistischer Verfolgung verloren haben, sowie für deren Nachfahren, sagte Courtman. Gleichzeitig etabliere er neue Einbürgerungsansprüche für Personengruppen, „für die es bisher keine Einbürgerungsansprüche gegeben hat“.

Aus Sicht von Professor Kay Hailbronner von der Universität Konstanz trägt die geplante Regelung umfassend dem Wiedergutmachungsgedanken für Verfolgte des NS-Regimes und deren Abkömmlinge Rechnung. In Paragraf 15 würden alle Fälle ausreichend erfasst, in denen der staatsangehörigkeitsrechtliche Verlust nicht in der Entziehung der Staatsangehörigkeit besteht, „sondern andere verfolgungsbedingte Ursachen maßgeblich sind“. Verfassungsrechtlich bestünden gegen eine Erweiterung der verfolgungsbedingten Wiedergutmachungs-Einbürgerungen keine Bedenken, sagte er.

Die Regelung sei ein „Versuch der Wiedergutmachung der bisher mangelhaften Wiedergutmachung“, sagte Professor Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Dies hätte im Gesetz auch so benannt werden sollen, befand er. Gleichwohl tue der Gesetzentwurf „mehr als das absolut notwendige“. Tabbara nannte es sehr erfreulich, dass sich die Bundesregierung dazu durchgerungen habe, diese Frage gesetzlich zu regeln. Allerdings dürfe dies keine abschließende Regelung darstellen, auch wenn versucht worden sei, alle Fallgruppen abzudecken. Auch Menschen mit einem Verfolgungsschicksal, das mit dem Gesetz nicht abgedeckt wird, dürften „nicht hinten runterfallen“.

Ferdinand Weber von der Universität Göttingen machte deutlich, dass bei der Ausgestaltung staatsangehörigkeitsrechtlicher Erwerbstatbestände dem Gesetzgeber ein weiter staats- und völkerrechtlicher Spielraum zustehe. In diesen fügten sich die Wiedergutmachungsvorschriften ein, so der Europarechts-Experte. „Das Europarecht hält hier keine Vorgaben bereit“, sagte er. Die Regelungen in Paragraf 15 hält Weber für sachgerecht. Praktischen Anwendungsproblemen der Norm könne durch konkretisierende Verwaltungsvorschriften begegnet werden.

Die auch im Staatsangehörigkeitsrecht tätige Rechtsanwältin Esther Weizsäcker machte ebenfalls deutlich, dass das Gesetz nicht als abschließende Regelung empfunden werden dürfe. Sie verwies unter anderem darauf, dass jene NS-Verfolgten ausgeschlossen seien, die nach 1945 bereits wieder eingebürgert wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit danach durch Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit verloren haben. Die hieraus resultierenden Ungleichbehandlungen seien problematisch. Auch in diesen Fällen müssten die Folgen der NS-Zeit bei einem erneuten Antrag auf Einbürgerung im Rahmen der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden, verlangte Weizsäcker.

In dem Gesetzentwurf würden Anregungen aus einer von ihm schon im Oktober 2019 zu dem Thema gefertigten Stellungnahme aufgegriffen, sagte der Privatdozent Ulrich Vosgerau. Das begrüße er. Kritikwürdig sei aber, dass die Anpassung des Wiedereinbürgerungsanspruches seitens der Bundesregierung benutzt werde, „um auch weitere Änderungen des Rechts des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft durchzusetzen, die mit dem Wiedergutmachungsgedanken und dem NS-Unrecht gar nichts zu tun haben“.

Aus Sicht von Professor Kyrill-Alexander Schwarz von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg trägt die gesetzliche Regelung dem Bekenntnis der Bundesrepublik zur historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber denjenigen Rechnung, die durch das NS-Regime staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben. Gerade in Ansehung des historisch einmaligen Unrechts erscheine es vor diesem Hintergrund auch sachgerecht, Ansprüche auf Wiedereinbürgerung weder zu befristen noch - als Konkretisierung des sogenannten „Generationenschnitts“ - eine Begrenzung des Kreises der Abkömmlinge vorzusehen, urteilte Schwarz.

Im Verlauf der Anhörung kam es zum Streit über die schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen Vosgerau zu den ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Anträgen der Linksfraktion (19/19484) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/19552). Nach Aussage der Sachverständigen Weizsäcker habe diese Stellungnahme „eindeutig rassistische Inhalte“, was Vosgerau von sich wies. Die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz (CSU) kündigte schließlich an, die Stellungnahme durch den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung prüfen zu lassen.

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