Scholz gelobt schlagkräftigere Finanzaufsicht
Berlin: (hib/FMK) Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) kann keine Fehler seines Hauses erkennen, die zum Betrug durch die inzwischen insolvente Wirecard AG beigetragen haben. „Die Verantwortung trägt nicht die Bundesregierung“, sagte Scholz als Zeuge bei der Sitzung des 3. Untersuchungsausschusses („Wirecard“) am 22. April 2021 unter der Leitung von Kay Gottschalk (AfD). Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin habe „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ gehandelt.
Scholz gab zu, dass die Maßnahmen seines Ministeriums und der nachgeordneten Behörden nicht ausgereicht haben, um den Skandal zu verhindern. „Im Rückblick ist klar: Die Bafin war nicht gut genug gerüstet“, um den gut organisierten Betrug in einem internationalen Konzern zu entdecken. „Daher habe ich schnell gehandelt, um Schlussfolgerungen zu ziehen.“ Sein Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (Fisg) werde dafür sorgen, dass die Finanzaufsicht künftig den nötigen Biss habe.
Viele der Abgeordneten im Ausschuss mochten sich mit dem Verweis auf eine Neuregelung nicht zufriedengeben und fragten weiter nach den Vorgängen, die zum Zusammenbruch von Wirecard geführt haben. Die Einschätzung, dass Scholz keine Verantwortung trage, sei „befremdlich“, sagte Danyal Bayaz (Bündnis 90/Die Grünen). Der Skandal sei direkt in seinen Zuständigkeitsbereich gefallen. Der Abgeordnete Florian Toncar (FDP) betonte, von der Rechtslage her habe es deutlich mehr Möglichkeiten gegeben, den Skandal zu verhindern - und zwar sowohl bei der Bafin als auch auf Seite des Finanzministeriums. So habe die Bafin die Wirecard AG als Muttergesellschaft der Wirecard Bank prüfen können.
Scholz sieht hier jedoch kein Versäumnis seines Hauses. Es sei organisatorisch gar nicht möglich, dort alle Entscheidungen der Bafin noch einmal nachzuvollziehen und noch einmal parallel zu entscheiden. Es gebe keinen anderen Weg, als den Fachbehörden die Entscheidungen in ihrem jeweiligen Bereich zu überlassen. „Das Bundesministerium der Finanzen nimmt keine eigene Prüfung der Fachentscheidungen vor“, sagte Scholz. „Das BMF hat in dieser Situation das Richtige gemacht.“ Auch das umstrittene Leeverkaufsverbot durch die Bafin im Februar 2019 habe „vom Ministerium nicht genehmigt werden müssen“.
Der Abgeordnete Matthias Hauer (CDU) konfrontierte den Bundesminister außerdem damit, dem Ausschuss nicht seine ganze elektronische Kommunikation zum Fall Wirecard zur Verfügung gestellt zu haben. Hauer wies Scholz drei Fälle nach, in denen dieser E-Mails mit Wirecard-Bezug von seiner privaten Adresse aus abgesetzt habe. Er verknüpfte das mit der Vermutung, dass Scholz dem Ausschuss noch weitere Informationen vorenthalten haben könne, die aufgrund dieses Vorgehens nicht in den Akten gelandet sind. Das BMF habe dem Ausschuss nur die E-Mails geliefert, die über offiziellen Adressen gelaufen sind.
Scholz wies den Vorwurf zurück, einen Teil seiner Kommunikation vor der Öffentlichkeit verborgen zu halten. Er verwende den Privat-Account vor allem, um Zeitungsartikel weiterzuleiten. In einigen Fälle nutze er ihn, um mit Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) zu kommunizieren. Cansel Kiziltepe (SPD) forderte die anderen Ausschussmitglieder auf, „sachlich zu bleiben“ und ihre Vorwürfe zu belegen, bevor sie Scholz ein Fehlverhalten unterstellen. Ihr Parteikollege Jens Zimmermann stellte klar, dass eine Nachricht an Kanzleramtsminister Braun völlig korrekt zweimal in den Akten des Ausschusses aufgetaucht sei, obwohl Scholz sie von dem Privataccount verschickt hat: Sowohl das Kanzleramt als auch das Finanzministerium hätten sie eingereicht, was auf eine vollständige Aktenlage hindeute.
Die Frage der Bereitstellung von E-Mails nahmen andere Abgeordnete indessen zum Anlass, den Minister erneut zum Zeitpunkt der Lieferung von Akten zu befragen, die dem Ausschuss nach deren Eindruck erst spät zugeführt wurden. Scholz habe das Versprechen „voller Transparenz bei der Aufklärung“ nicht eingehalten, klagte der Abgeordnete Hans Michelbach (CSU). Dass Scholz viele Kurznachrichten und E-Mails bereits gelöscht habe, sei „ein echtes Aufklärungshindernis“.
Der Abgeordnete Fabio De Masi (Die Linke) befragte den Bundesfinanzminister erneut zu den Vorgängen rund um ein Gipfeltreffen mit dem chinesischen Vizepremier und Wirtschaftspolitiker Liu He. Auf dem deutsch-chinesischen Finanzmarktdialog im Januar 2019 in Peking setzte sich die Bundesregierung offenbar für Wirecard ein. Nach Interpretation De Masis war Wirecard sogar eines der wichtigsten Themen („der Jackpot“) der deutschen Seite. Als Zahlungsdienstleister sei das Unternehmen dem Anschein nach gut geeignet gewesen, ein Vorreiter für den Markteintritt in China zu sein.
Scholz entgegnete jedoch, dass Wirecard keine herausragende Stellung eingenommen habe. Das Unternehmen war nach seiner Darstellung nur einer von vielen Tagesordnungspunkten. Er erinnere sich nicht daran, den Fall mit Liu besonders besprochen zu haben. „Der Einsatz für deutsche Unternehmen im Ausland ist eine Sache, für die die ganze Bundesregierung unterwegs ist“, sagte Scholz. Ein Einsatz für Wirecard auf dem Finanzmarktforum sei daher kein ungewöhnlicher Vorgang gewesen.
Der Wirecard-Konzern war bis zu seinem tiefen Fall im Juni 2020 ein Hoffnungsträger der deutschen Wirtschaft. An der Schnittstelle von IT und Finanzen angesiedelt, wollte er weltweit Zahlungsdienste anbieten. Im Jahr 2018 stieg das Unternehmen in den Deutschen Aktienindex Dax auf. Das war nur dank der hohen Umsätze und Gewinne möglich, die das Unternehmen ausgewiesen hatte. Später stellte sich heraus, dass der ganze Profit fingiert war. Konten in Asien, auf denen Milliardensummen lagern sollten, existierten nicht. Für Anleger, Banken und Geschäftspartner entstand ein hoher Schaden. Auch das Image des Finanzstandorts Deutschland hat darunter gelitten - hier waren sich Scholz und die Ausschussmitglieder einig.