Experten: Corona zeigt Zwang zum schnellen Netzausbau
Berlin: (hib/FLA) Durch die Corona-Pandemie seien die dramatischen Lücken in der Internet-Versorgung in Deutschland von einem Nischen-Thema zu einem den Lebensalltag vieler Menschen bestimmenden Problem geworden - so ähnlich wie Frank Rieger vom Chaos-Computer-Club haben die meisten Sachverständigen die Aktualität des Telekommunikationsmodernisierungsgesetzes (19/26108, 10/26964) beschrieben. Dies zeigte sich auch beim zweiten Teil der öffentlichen Anhörung am Montag im Ausschuss für Wirtschaft und Energie unter der Leitung von Klaus Ernst (Die Linke).
Es ging zugleich um einen Antrag der FDP-Fraktion (19/26117) und drei Anträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/26531, 19/26532, 19/26533). Mit der TKG-Novelle soll insbesondere die EU-Richtlinie 2018 / 1972 vom 11. Dezember 2018 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation in nationales Recht umgesetzt werden.
Für Rieger ist der Gesetzentwurf zwar grundsätzlich zu begrüßen. Er sei jedoch an kritischen Punkten zu wenig ambitioniert, greife wesentliche Problemstellungen nicht oder nur ungenügend auf und lasse bereits absehbare Entwicklungen außer Acht. So sei im Sinne der Verpflichtung des Staates zur Daseinsvorsorge die Definition eines Anrechts auf adäquate Internetversorgung nötig. Er sprach sich für eine härtere, gegebenenfalls einklagbare Anspruchsdefinition aus. Bürokratische und regulatorische Netzausbau-Hemmnisse müssten beseitigt werden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass im Rest der Welt Gigabit-Anschlüsse über auf Masten verlegte Glasfaser innerhalb von Tagen realisiert würden, während im Hochtechnologieland Deutschland aufgrund ausgeschöpfter Tiefbaukapazitäten und der organisatorischen Komplexität von Schachtarbeiten Jahre ins Land gehen könnten.
Tim Brauckmüller (atene KOM) wies darauf hin, dass sich bei der Umsetzung von Breitbandausbauvorhaben in den vergangenen Jahren verschiedene Faktoren als Hemmnisse eines beschleunigten Ausbaus erwiesen hätten. Dabei hob er unter anderem auf das Wegerecht ab. Schneller und kostengünstiger werde der Ausbau auch dadurch, dass künftig etwa Wirtschaftswege oder private Äcker benutzt werden dürften. Er unterstützte, dass nun ein Beschleunigungseffekt durch die Nutzung zeitsparender, alternativer Ausbautechniken wie Trenching (Frästechnik für Schlitze im Asphalt) angestrebt werde. Viele Verwaltungen seien da eher zurückhaltend gewesen - ebenso wie beim Thema der oberirdischen Verlegung.
Bernd Sörries (WIK-Consult) berichtete, Auflagen zur Versorgung von Haushalten oder zur Versorgung in der Fläche hätten im europäischen Vergleich eine signifikante Auswirkung auf die Qualität gehabt. Je ambitionierter Behörden diese Auflagen gefasst hätten, desto besser sei auch das Gesamtergebnis ausgefallen. Deutschland habe unterdurchschnittlich abgeschnitten. Die Versorgungsauflagen, die bei der Vergabe 2019 auferlegt worden seien, seien genau der richtige Weg gewesen.
Matthias Cornils (Universität Mainz) konstatierte, der tatsächliche Stand des Mobilfunk-Netzausbaus in Deutschland bleibe weit hinter den proklamierten Versorgungszielen zurück. Der Gesetzentwurf statuiere dennoch kein konkretisiertes Regulierungsziel einer flächendeckenden Mobilfunkversorgung. Bei der Umsetzung der EU-Richtlinie seien die Mitgliedsstaaten berechtigt, Ziele ausdrücklicher und klarer in ihren Umsetzungsgesetzen zu verankern. Dies gelte insbesondere auch für Konkretisierungen von Versorgungszielen der Frequenzregulierung.
Für Sven Knapp (Breko - Bundesverband Breitbandkommunikation) ist die im Gesetzentwurf vorgesehene Streichung der Umlagefähigkeit der Kosten des Breitbandanschlusses in der Betriebskostenverordnung ebenso wenig sinnvoll wie die Beibehaltung der Regelung in ihrer bisherigen Form. Vielmehr solle die investitionsfördernde Wirkung der Umlagefähigkeit zeitlich begrenzt genutzt werden, um ausschließlich Glasfaserinvestitionen anzureizen und durch einen offenen Zugang („Open Access“) den Dienstewettbewerb zu fördern und den Mietern die volle Dienstevielfalt zugänglich zu machen.
Klaus Ritgen (Deutscher Landkreistag) stufte den Gesetzentwurf als Fortschritt ein, weil die Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse in städtischen und ländlichen Räumen deutlicher als bisher zum Regulierungsziel erhoben werde. Gleichwohl gebe es Optimierungsbedarf. So plädiere er dafür, dass das Ziel der flächendeckenden Versorgung sowohl im Festnetz als auch im Mobilbereich ausdrücklich in die Zielbestimmungen aufgenommen werde. Dies könne auch bei der Frequenzvergabe berücksichtigt werden.