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„Die alte Wehrpflicht will keiner zurück“ – Interview, 17.06.2023

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Passauer Neuen Presse“ vom 17. Juni 2023

„Die alte Wehrpflicht will keiner zurück“

Die Air Defender-Übung ist in vollem Gang. Die Auswirkungen auf die Menschen sind bis auf einige Ausnahmen gering. Sind Sie überrascht, wie reibungslos alles läuft?

Wir zeigen, dass wir ein verlässlicher Partner sind, ich freue mich sehr über den bisher reibungslosen Ablauf.  Nach dem Abschluss der Übung werde ich mich darüber informieren, was gut geklappt hat, wo es Verbesserungspotenzial gibt und was künftig bei solchen Manövern beachtet werden muss.

Wie wäre diese Übung ohne den russischen Angriffskrieg und die Zeitenwende abgelaufen?

Die Übung hätte sicherlich größerer Rechtfertigung bedurft. Und vor dem 24. Februar 2022 wäre wohl eine andere Botschaft von Air Defender ausgegangen. Dabei – das war vielen so nicht bewusst – hat sich die Lage bereits 2014 nach der Annexion der Krim verändert. Und auch wenn hoffentlich bald Frieden herrscht, weil die Ukraine den Krieg gewonnen hat: Wir werden nicht zurückkehren zur internationalen Ordnung vor 2014. Die Bedrohung wird bleiben.

Die Bundeswehr erlebt eine neue Akzeptanz. Wie nachhaltig ist die?

Durch die Amtshilfe der Soldatinnen und Soldaten in der Corona-Pandemie hatte sich bereits einiges getan. Doch wichtig ist vor allem, dass die Bundeswehr in ihrem Kernauftrag die Unterstützung und Akzeptanz der Gesellschaft hat. Das ist durch den Krieg in der Ukraine gelernt worden. Für die Truppe geht es nicht in erster Linie darum, bei Waldbränden oder Pandemien zu helfen, sondern so ausgebildet zu sein, so zu üben, dass sie ein Gefecht bestehen kann.

Das ist derzeit nur bedingt der Fall.

Alle in der Truppe, mit denen ich gesprochen habe, stehen dahinter, dass wir die Ukraine tatkräftig unterstützen müssen. Auch wenn das Schwierigkeiten für die eigene Einsatzbereitschaft bedeutet. Da gibt es keine Zweifel, wie es sie in Teilen in der Bevölkerung gibt. Aber natürlich kommen die Fragen, wann die Lücken geschlossen werden. 2022 war noch nichts vom Sondervermögen abgeflossen. Das habe ich deutlich kritisiert. Was die Truppe jetzt aber langsam spürt, sind die Auswirkungen der 2,4 Milliarden Euro, die es für die persönliche Ausstattung gibt.

Können Sie einen Einblick geben, was die Soldatinnen und Soldaten derzeit bewegt?

Die Soldatinnen und Soldaten erleben eine enorme Belastung – aus drei Gründen: Erstens führt die massive Präsenz an der Nato-Ostflanke dazu, dass viele Verbände zu ihren bestehenden Aufgaben auch noch kurzfristig dorthin verlegen müssen, beispielsweise für das Air Policing im Baltikum oder die Luftverteidigung mit Patriots in Polen. Zweitens sind das oft die gleichen Verbände, die bereits Material an die Ukraine abgegeben haben und nun große Lücken haben, sodass sie selbst nicht genügend ausbilden und üben können.

Und drittens?

Drittens ist das Engagement bei der Ausbildung ukrainischer Soldaten wirklich herausragend, aber auch emotional belastend für unsere Soldaten. Das ist keine Kleinigkeit, die von der Front kommenden Ukrainer zu trainieren, damit sie nach einigen Wochen wieder mit neuen Fähigkeiten an die Front zurückkehren.

Zum Schutz der Ostflanke gehört auch das Versprechen einer Brigade in Litauen. Können wir das überhaupt leisten?

Die Litauer erwarten zurecht eine sehr wirkungsvolle Unterstützung der Nato-Partner. Deutschland ist da gefragt und könnte kurzfristig dorthin verlegen.

Das reicht den Litauern aber nicht. Sie wollen eine permanente Präsenz.

Das wird auch weiter in der Diskussion bleiben und ich kann die Forderungen der baltischen Staaten gut verstehen. Wichtig ist mir erstmal, dass das Material vorhanden ist, damit eine schnelle Verlegung gewährleistet werden kann. Alle müssen alles rechtzeitig parat haben. Da sind wir noch lange nicht.

In der Nationalen Sicherheitsstrategie geht es auch um das 2-Prozent-Ziel der Nato, das die Koalition endlich erreichen will „im mehrjährigen Durchschnitt“. Das ist sehr vage.

Noch ist der Bundeshaushalt für 2024 noch nicht ausverhandelt ist, deshalb habe ich Hoffnung. Das 2-Prozent-Ziel ist politisch vereinbart und die Bundeswehr braucht dieses Geld auch. Ich hoffe, dass Minister Pistorius sich durchsetzt, sodass der Verteidigungsetat – neben dem Sondervermögen – dauerhaft auskömmlich finanziert wird.

Wie kommt man bei dem Finanzbedarf in der Koalition zusammen?

Es braucht beides: Geld für den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für eine verstärkte Sicherheit. Die Bundeswehr muss aber auch über das Sondervermögen hinaus solide finanziert werden. Das schafft auch Planungssicherheit für die Unternehmen.

Ist das Festhalten an der Schuldenbremse falsch?

Das ist nicht meine Baustelle als Wehrbeauftragte. Mir ist wichtig, dass die Bundeswehr vollständig einsatzbereit ist. Das ist sie jetzt nicht. Es braucht Investition in Material und Personal.

Zuletzt hatten sie eine Musterung für alle vorgeschlagen. Das kam nicht so gut an. Wie haben Sie das denn gemeint?

Grundsätzlich begrüße ich die Idee des Bundespräsidenten von einem Jahr für die Gesellschaft. Ein Pflichtjahr sehe ich momentan in dieser Debatte nicht, wir sollten über Freiwilligkeit sprechen und gute Angebote machen. Vor allem will ich, dass darüber diskutiert wird, wie wir Menschen in die Bundeswehr bekommen. Das findet derzeit im Bundestag nicht ausreichend statt. Für mich gilt: Je mehr Debatte, desto besser.

Ärgert Sie die Trägheit des Bundestags bei diesem Thema?

Ich sehe meine Aufgabe darin, eine Debatte anzuregen, deshalb setze ich mich auch für einen Bürgerrat zu diesem Thema ein. Es braucht die Diskussion über ein Modell, denn die alte Wehrpflicht will keiner zurück. Wir müssen uns aber über unsere Wehrhaftigkeit Gedanken machen. Das kann man nicht bei der Bundeswehr abladen, da müssen alle ihren Beitrag leisten.

Wäre es sinnvoll, alle Schülerinnen und Schüler zum Beispiel einmal eine Kaserne oder einen Truppenübungsplatz besuchen zu lassen?

Das sind gute Ideen, die sich lohnen umzusetzen. Auf Seiten der Bundeswehr haben wir die Jugendoffiziere, die darauf vorbereitet sind, mit Schülerinnen und Schülern offen zu diskutieren. Ich würde mich freuen, wenn die Lehrerschaft sagen würde: Es ist ein wichtiger Teil im Rahmen der Bildung, sich auch mit den Streitkräften auseinanderzusetzen. Es braucht die Begegnung. Genauso bin ich dafür, dass die Bundeswehr in die Kasernen einlädt. Der Tag der Bundeswehr diesen Samstag ist dafür eine gute Gelegenheit und wird als solche auch genutzt. Außerdem werbe ich in der Gesellschaft dafür, die Truppe einzuladen – auf Volksfeste oder Messen.

In Baden-Württemberg gibt es aber sogar ein Werbeverbot an Schulen. Wäre eine Pflicht für die Schulen für solche Besuche eine Lösung?

So etwas über eine Pflicht zu regeln, da bin ich skeptisch. Ich setze auf die pädagogischen Konzepte der Lehrer. Der Krieg ist Topthema – und damit auch die Streitkräfte. Es geht darum, die Neugier der Schülerinnen und Schüler herauszufordern und sich mit der Bundeswehr auseinanderzusetzen, auch kritisch. Von Vorschriften halte ich nichts.

Interview: Mareike Kürschner