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„Die Soldaten brauchen Duschen, in denen man sich nicht ekelt“ – Interview, 20.11.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der Bild am Sonntag vom 20. November 2022

„Die Soldaten brauchen Duschen, in denen man sich nicht ekelt“

„BILD am SONNTAG: Direkt nach Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar hat die Regierung angekündigt, die Bundeswehr besser auszustatten. Hat jetzt endlich jeder Soldat eine Schutzweste?

EVA HÖGL: Leider nein. Alle Soldaten brauchen einen Helm, eine ABC-Schutzmaske, eine Schutzweste, Stiefel, Socken und einen Rucksack. Für die Beschaffung der persönlichen Ausrüstung wurden 2,4 Milliarden Euro bereitgestellt. Bis 2025 soll jeder Soldat seine persönliche Ausstattung haben. Nun geht es langsam los. Ich war diese Woche beim Jägerbataillon in Donaueschingen in Baden-Württemberg. Dort sind jetzt erst mal Socken angekommen. Aber den 43 Soldaten, die nächste Woche nach Mali verlegt werden, fehlen immer noch Hosen und Jacken. Inakzeptabel!

Verteidigungsministerin Lambrecht hat im März angekündigt, dass die Westen, Hosen, Jacken zügig ankommen sollen. Das war vor acht Monaten!

Das muss sich schnell verbessern. Für die Truppe ist das Tempo, mit dem die persönliche Ausstattung bei ihnen ankommt, der Gradmesser dafür, ob sich die Lage für die Bundeswehr wirklich verbessert. Die Kräfte vom Panzergrenadierbataillon 411 aus Viereck in Mecklenburg-Vorpommern, die gerade sieben Monate an der Nato-Ostflanke in Litauen im Einsatz waren, mussten für den Einsatz auf dem Truppenübungsplatz ohne Schutzweste trainieren. Das widerspricht klar dem Grundsatz: Übe so, wie du kämpfst. Da brauchen wir mehr Tempo.

Der Winter beginnt. Fehlt weiterhin warme Kleidung?

Unsere Einsatzkräfte in Litauen hatten im Februar bei drei Grad im Schneeregen keinen Kälte- und Nässeschutz. Der wurde dann nachgeliefert. Jetzt sind sie zurück und mussten ihre Schutzkleidung in Litauen wieder abgeben. Das darf nicht sein. Sie brauchen Kälte- und Nässeschutz auch in der Ausbildung und bei Übungen. Das ist auch eine Frage des Respekts und der Wertschätzung.

Im Kriegsfalle würde die Munition nicht mal eine halbe Woche reichen.

Der Bundeswehr fehlt Munition im Wert von 20 Milliarden Euro. Was ich kritisiere: dass dieser Betrag nicht im Sondervermögen veranschlagt wurde, sondern jetzt mühsam jährlich aus dem Verteidigungsetat finanziert werden muss.

Wann werden die Munitionsdepots gefüllt sein?

Ich wünsche mir dringend, dass wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen. Wir haben auch zu wenig Munitionslager, mit deren Bauplanung muss jetzt angefangen werden. Das Thema wurde über Jahre verschleppt. Ohne Munition ist alles nichts. Das versteht kein Soldat mehr. Es geht um ihren Schutz und ihre Sicherheit.

Wann wird das erste Geld aus dem 100-Milliarden-Euro-Topf ausgegeben?

Ich gehe davon aus, dass aus dem Sondervermögen im kommenden Jahr die ersten 8,4 Milliarden Euro ausgegeben werden. Als eine der ersten und zentralen Investitionen soll am 30. November beschlossen werden, dass endlich neue digitale Funkgeräte beschafft werden können. Die kommen hoffentlich 2023 bei der Truppe an.

Geht die Rüstungsbeschaffung angesichts der Sicherheitslage nicht viel zu langsam?

Wir dürfen die 100 Milliarden nicht so langsam ausgeben wie bisher. Ich werde als Wehrbeauftragte darauf achten, dass sich die Prozesse und Verfahren ändern. Wenn das Beschaffungsamt mehr Personal braucht, dann muss aber auch klar sein, dass die Abläufe und Verträge mit der Industrie wirklich beschleunigt werden und nicht das Gegenteil passiert und alles am Ende noch länger dauert.

Ist eine Armee, die ihre Soldaten nicht ausreichend ausrüstet, ein attraktiver Arbeitgeber?

Nein. Wir können noch so viele Musik- und Youtube-Videos machen, aber die meisten jungen Leute kommen zur Bundeswehr, weil sie von Soldatinnen und Soldaten gehört haben, wie es dort ist. Wenn die von ihrem Alltag erzählen, mit schäbigen Unterkünften, Truppenküchen, die aus Hygienegründen kurz vor der Schließung stehen, fehlender Kinderbetreuung und fehlenden Sportangeboten, dann ist die Bundeswehr schlicht nicht attraktiv. Junge Leute wollen keinen Luxus, aber eine solide Unterkunft sollte es schon sein, mit WLAN und Duschen, in denen man sich nicht ekelt.

Wie viele Stellen sind bei der Bundeswehr offen?

20.000 Dienstposten. Dazu kommt: Viele Verbände kommen durch Krankheitsausfälle, Elternzeit und Ausbildung teilweise nur auf eine Personalstärke von gut 60 Prozent dessen, was sie auf dem Papier haben. Das ist definitiv zu wenig. Zu wenige Soldaten ist noch schlimmer als die Mängel bei der Ausrüstung. Ohne genügend Personal nützen uns die besten Waffen nichts.

Die Zahl der Soldaten soll bis 2031 auf 203.000 steigen. Klappt das?

Ich bin skeptisch, ob das überhaupt noch möglich ist. Wir haben aktuell 182.000 Männer und Frauen in Uniform. Steigt die Zahl der Soldaten und Soldatinnen nicht signifikant an, wird man bei den Einsätzen und Aufträgen entscheiden müssen, was nicht mehr geht. Der Fokus liegt ganz klar auf der Landes- und Bündnisverteidigung. Dann werden wir Abstriche bei internationalen Einsätzen machen müssen. Wir können den Soldaten nicht mehr aufbürden, als sie stemmen können.“


Interview: Angelika Hellemann und Lydia Rosenfelder