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Cyberangriffe auf Staaten sind keine Fiktion mehr – sondern Realität“ – Interview, 12.04.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der WirtschaftsWoche vom 12. April 2022

Cyberangriffe auf Staaten sind keine Fiktion mehr – sondern Realität“

WirtschaftsWoche: Frau Högl, die Bundesregierung will mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro die Bundeswehr stärken. Diskutiert wird aber, zugespitzt, vor allem über Panzer, Patronen und Patriot-Abwehrsysteme. Sind Programmiererinnen und Programmierer nicht mindestens genauso wichtig?

Eva Högl: Gerade der Konflikt in der Ukraine hat gezeigt, dass neben den bisherigen militärischen Konfrontationen hybride Auseinandersetzungen eine neue Gefahr sind. Cyberangriffe auf Staaten und deren kritische Infrastrukturen sind keine Fiktion mehr – sondern Realität. Deshalb braucht die Bundeswehr in diesem Bereich gut ausgebildete Kräfte.

Werden Panzerfahrer aber dringender gebraucht als Programmierer?

Das kann man nicht gegeneinander ausspielen. Beides ist wichtig. Auch der „einfache“ Soldat ist mittlerweile mit viel Technik ausgestattet. Das Projekt „Infanterist der Zukunft“ (IdZ) ist das deutsche Modernisierungsprogramm für die Infanterie. Das bedeutet, dass die Ausstattung an die digitalen Herausforderungen angepasst werden muss, beispielsweise mit GPS-Technik, Nachtsichtgeräten und Funkgeräten. Bei den Funkgeräten besteht ein großer Digitalisierungsstau, den ich immer wieder angemahnt habe.

Wie hoch sollte der Anteil aus dem Sondervermögen sein, der für Cybersicherheit ausgegeben wird und welche Projekte sollten priorisiert werden?

Dazu kann man derzeit seriös noch keine Angaben machen. Klar ist, dass auch weiter in die Cybersicherheit investiert werden muss.

Längst wird nicht mehr auf dem Land, in der Luft und zur See gekämpft, sondern auch im Netz über Cyberattacken, Propaganda und Desinformation. Wie gut ist das Kommando Cyber- und Informationsraum (CIR) auch mit Blick auf Russlands Krieg in der Ukraine dafür aufgestellt? 

Das Cyberkommando ist gut aufgestellt, aber selbstverständlich muss das weiter angepasst und verbessert werden. Den Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr (CIR) gibt es ja erst seit 2017. In der Logik, dass Gefahren zu Lande, in der Luft, im Weltraum und auf See drohen, bekam der Cyberraum einen eigenen Organisationsbereich bei der Bundeswehr. Mit der Cyber-Sicherheitsstrategie von 2016 hat die Bundesregierung darüber hinaus einen ressortübergreifenden Rahmen für Deutschland geschaffen.

Mit welchem Ziel?

Ziel ist es, Cyber-Sicherheit für Deutschland zu erreichen. Das Bundesministerium des Inneren und nicht die Bundeswehr ist daher für viele Bereiche zuständig, zum Beispiel für den Schutz der Wasser- und Energieversorgung. Auch die gesamte Cyber-Abwehr im zivilen Bereich unterliegt der Verantwortung des Innenministeriums, während das Auswärtige Amt für die Cyber-Außen- und internationale Cybersicherheitspolitik verantwortlich ist.

Welche Rolle kommt der Bundeswehr bei der Cyberabwehr zu?

Die Verteidigungsaspekte der gesamtstaatlichen Cyber-Sicherheitsarchitektur sind Aufgaben der Bundeswehr. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz und Betrieb der IT-Informationstechnik-Infrastruktur der Bundeswehr. Die Aufklärung und Analyse von Geodaten ist ein weiteres Aufgabenfeld. Ihr Auftrag: Lagebilder zu erstellen und damit Angriffe im eigenen digitalen Territorium der Bundeswehr zu erkennen. Hybride Bedrohungen machen auch nicht an Grenzen halt, deshalb ist die internationale Zusammenarbeit enorm wichtig. Nach Angaben der Bundeswehr ist das Kommando CIR weltweit an 23 Standorten aktiv.

Die Bundeswehr ist im Cyberbereich allerdings chronisch unterbesetzt, jede fünfte Stelle ist vakant, schreiben Sie in Ihrem diesjährigen Wehrbericht. Warum ist es so schwer, diese IT-Positionen in der Bundeswehr zu besetzen?

Grundsätzlich ist es für die Bundeswehr in allen Bereichen schwierig, angesichts des Fachkräftemangels gut qualifiziertes Personal zu gewinnen. Gerade in den IT-Berufen steht die Bundeswehr außerdem im harten Wettbewerb zur Privatwirtschaft, die zum Teil viel mehr zahlt. Immerhin ist es gelungen den Besetzungsgrad beim CIR zu verbessern. 126 Dienstposten wurden im Berichtsjahr 2021 geschaffen. Mit Stand vom Dezember 2021 sind allerdings noch 1462 IT-Feldwebel-Stellen – Unteroffiziere mit Portepee – vakant.

Was muss die Bundeswehr tun, um mehr Cyberkrieger zu gewinnen, gerade auch im Wettbewerb zur Privatwirtschaft?

Das Bundesamt für Personalmanagement hat seine Anstrengungen in diesem Bereich verstärkt. Es gibt Cyberdays, IT-Camps und Stipendien für den Masterstudiengang Cyber-Security an der Bundeswehr-Universität in München. Die Karriereberatung wird von IT-Fachkräften unterstützt. Die Bundeswehr benötigt solche Expertinnen und Experten aber auch an Standorten, die wegen ihrer Randlage nicht sehr attraktiv sind. Außerdem sind die Möglichkeiten für den Seiteneinstieg und Direkteinstellung verbessert worden. Aber während der Pandemie mussten Ausbildungen verschoben werden, was die Qualifizierung von Personal erschwert hat.

Welche Qualifikationen werden besonders gebraucht?

Alle Fähigkeiten und Kompetenzen in der modernen Kommunikationstechnik sind hier gefragt: IT-Spezialisten, die Schwachstellen in den IT-Systemen erkennen können, Spezialisten für die Strategische Aufklärung oder für die Elektronische Kampfführung.

Auch die bürokratischen Strukturen bremsen die Suche nach den Cyberkriegern aus. Die Sicherheitsüberprüfung kann sich bis zu zwei Jahre hinziehen. Wie kann es hier zu einer Beschleunigung kommen?

In dem sensiblen Gebiet der Cyberabwehr sind die Sicherheitsüberprüfungen enorm wichtig. Die Pandemie hat hier leider deutliche Spuren in Bezug auf die Bearbeitungsdauer hinterlassen. Durch Gesetzesänderungen, die ab Herbst 2022 greifen, wird die Zahl der erforderlichen Sicherheitsüberprüfungen weiter steigen. Damit diese Herausforderung bewältigt werden kann, sind 52 neue Stellen beim Militärischen Abschirmdienst für dieses Jahr geplant. Das ist eine wichtige Stärkung des MAD, die aber erst mittelfristig Abhilfe schafft, denn diese Stellen müssen erst besetzt werden. Die Situation bleibt also weiter angespannt.

Interview: Sonja Álvarez