„Das Geld landet nicht im schwarzen Loch“ - Interview, 07.03.2022
Interview mit der Wehrbeauftragten im Tagesspiegel vom 7. März 2022
„Das Geld landet nicht im schwarzen Loch“
„Frau Högl, wäre die Welt eine friedlichere, wenn mehr Frauen an der Macht wären?
Ich habe die Hoffnung, dass es so wäre. Es ist immer gut, wenn viele Frauen in Verantwortung sind, wenn es gemischte Teams gibt, wenn wir überall 50 Prozent Frauen haben. Frauen in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und allen anderen Bereichen der Gesellschaft machen die Welt besser.
Es gibt Studien, die einen Zusammenhang beschreiben zwischen einer hohen Zahl von weiblichen Abgeordneten in nationalen Parlamenten und Frieden in einem Land.
Diese Forschungsergebnisse finde ich sehr spannend. Das ist ein Auftrag, mehr Frauen in wichtige Führungspositionen zu bringen. Wir Frauen können einen Beitrag zu mehr Frieden in. der Welt und zu besserer Verständigung leisten.
Kürzlich machte ein Bild vom CEO-Lunch auf der Münchner Sicherheitskonferenz die Runde. Darauf: nur Männer. Auch in der Außen- und Verteidigungspolitik sind wenige Frauen unterwegs. Warum ist das immer noch eine Männerdomäne?
Ich habe es bedauert, dass ausgerechnet dieses Bild die Runde gemacht hat. Bei dieser Sicherheitskonferenz gab es einen Anteil von 40 Prozent Frauen unter den Teilnehmern und auch unter den Rednern auf den Podien - mehr als jemals zuvor. Wir Frauen müssen uns sukzessive auch die Domänen der Männer erobern. In der Außen- und Sicherheitspolitik tut sich bereits etwas. Wir haben nun das dritte Mal hintereinander eine Verteidigungsministerin in Deutschland, ich bin die zweite weibliche Wehrbeauftragte des Bundestags. Auch international sind Frauen bei diesem Thema immer stärker präsent.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht steht vor allem aus dem rechten Lager im Kreuzfeuer, ihr wird Kompetenz für das Militär abgesprochen. Gibt es in der Gesellschaft noch immer Vorbehalte gegen eine Frau als Inhaberin der Befehls- und Kommandogewalt?
Das ist ja nicht das einzige Thema, bei dem Frauen die Kompetenz abgesprochen wird. Wenn all die exzellenten Frauen in den Positionen wären, für die sie qualifiziert und geeignet sind, dann wären wir schon viel weiter mit dem Thema Frauen in Führungspositionen. Christine Lambrecht ist eine sehr erfahrene und entscheidungsstarke Ministerin.
Muss auch die Bundeswehr für Frauen attraktiver werden?
Definitiv. In der Bundeswehr dienen seit 20 Jahren Frauen in allen Teilstreitkräften, denn im Jahr 2000 hatte der Europäische Gerichtshof ein sehr mutiges Urteil gefällt, dass Frauen seit 2001 auch den Dienst an der Waffe erlaubte. Sie leisten nicht weniger als Männer, aber immer noch geht es darum, dass sie als Kameradinnen auch respektiert werden. Wir haben nun einen Anteil von etwa 12,85 Prozent Frauen in der Bundeswehr das muss besser werden. Und wir brauchen auch mehr Frauen in Führungspositionen in der Bundeswehr. Bisher gibt es nur zwei Frau General - im zentralen Sanitätsdienst. In anderen Teilstreitkräften müssen wir das auch erreichen. Alle Vorgesetzten fordere ich auf, die Frauen auf ihrem Weg gut zu unterstützen!
Und was muss die Bundeswehr konkret tun, um Frauen zu fördern?
Sie muss Rücksicht darauf nehmen, dass Frauen zum Teil andere Ansprüche oder Erwartungen haben als Männer. Für beide Geschlechter ist die Vereinbarkeit von Dienst und Familie sehr wichtig, darüber hinaus auch die Planbarkeit. Wir brauchen gezielte Unterstützung für Frauen, die ihre Fähigkeiten weiterentwickeln und mehr Verantwortung übernehmen wollen. Die Bundeswehr muss den Willen ausstrahlen, dass sie Frauen willkommen heißt und ihre Arbeit schätzt. Deshalb muss alles dafür getan werden, damit es nicht weiter respektloses Verhalten ihnen gegenüber oder sogar sexuelle Übergriffe gibt. Diese rote Linie darf nie überschritten werden.
Sie waren bei der Regierungserklärung von Kanzler Scholz vor genau einer Woche im Bundestag. Was ging in Ihnen vor, als Sie die Summe von 100 Milliarden Euro härten, die nun die Mängel bei der Bundeswehr beseitigen soll?
Ich habe mich sehr gefreut. In einer besorgniserregenden Zeit ist das eine gute Nachricht für die Bundeswehr. Sie leidet darunter, dass für viele notwendige Investitionen Geld fehlte. Die 100 Milliarden Euro sind eine Investition in Frieden, Freiheit und Sicherheit. Mit etwas mehr als 50 Milliarden Euro war der Haushalt des Verteidigungsministeriums eigentlich ganz gut ausgestattet. Es geht deshalb nun auch darum, die Verfahren zu vereinfachen, die Prozesse zu beschleunigen, damit das neue Geld auch gut investiert wird und bei der Truppe ankommt.
Sie haben jüngst von ihrem Besuch in Litauen berichtet, wo deutsche Soldaten die Ostflanke der Nato schützen sollen. Diesen fehlen im Winter warme Unterwäsche und warme Jacken. Wie kann es sein, dass dieses Land die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes in der Kälte stehen lässt, die für seine Sicherheit ihr Leben riskieren?
Es kann nicht sein, dass eines der reichsten Länder der Welt seine 185000 Soldatinnen und Soldaten nicht im nötigen Maß ausstattet. Sie müssen alles an der Frau und am Mann haben, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Das geht von der Unterwäsche über Kälte- und Nässeschutz über Funkgeräte bis hin zu großem Gerät wie Panzer, Flugzeugen oder Schiffen. Das alles muss in guter Qualität zur Verfügung gestellt werden, damit sie das leisten können, wofür sie ihren Dienst angetreten haben: unser Land und unsere Verbündeten zu schützen.
Ist die Bundeswehr in der Lage, ihre Verpflichtungen in der Nato bei der Verteidigung des Bündnisterritoriums zu erfüllen?
Die Bundeswehr ist ein verlässlicher Partner im Nato-Verbund. Sie erfüllt bislang ihre Verpflichtungen. Wir haben keine Probleme, unsere Soldaten für die schnelle Eingreiftruppe der Nato, die “Nato Response Force„, gut auszustatten und vorzubereiten. Wir werden mehr Soldaten in die Slowakei schicken, wir helfen bei der Luftüberwachung in Rumänien. Nun werden wir das zwei-Prozent-Ziel der Nato überschreiten - und das wird es uns ermöglichen, die Bundeswehr zu einer der modernsten Armeen im Bündnis auszubauen.
In der Nato-Planung ist vorgesehen, dass die Bundeswehr zur Verteidigung Europas drei volle Divisionen von 20 000 Soldaten zur Verfügung stellt. Experten sagen, davon sind wir weit entfernt. Also scheint doch etwas zu fehlen ...
Es ist ja auch nicht so, dass alles gut läuft, es gibt noch Einiges zu tun. Ich wollte nur deutlich machen, dass wir jetzt angesichts der Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg unsere Verpflichtungen erfüllen. Natürlich müssen wir besser werden, sonst brächte die Bundeswehr auch das viele Geld nicht.
Wo zum Beispiel?
Die Funkgeräte der Bundeswehr sind 30 Jahre alt, sie erschweren die Kommunikation mit unseren Bündnispartnern: Die Gespräche können nicht verschlüsselt werden, wir kommunizieren nicht auf der gleichen Frequenz wie unsere Partner. Veraltetes Gerät gefährdet unsere Sicherheit. Wir sehen ja jetzt, dass es nicht nur um Übungen geht. Es kann sehr schnell ernst werden. Der Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten erfordert, dass wir alles auf den neuesten technischen Stand bringen.
In den Fraktionen von SPD und Grünen werden Befürchtungen laut, die 100 Milliarden würden gleichsam in ein schwarzes Loch geschmissen, weil die Strukturen im Verteidigungsministerium und in der Bundeswehr nicht garantieren, dass mit dem vielen Geld wirklich die Kampfkraft gestärkt werde. Haben Sie dafür Verständnis?
Ich habe Verständnis für diese Befürchtungen, aber sie sind unbegründet. Das Geld landet nicht im schwarzen Loch. Sowohl Bundeskanzler wie Finanzminister haben erklärt, dass die Einrichtung des Sondervermögens verbunden sein muss mit einer Reform der Beschaffungsprozesse. Dazu müssen wir Bürokratie abbauen. Auch das Vergaberecht muss entschlackt werden, damit wir mehr Spielraum für zügige Beschaffungen bekommen.
Im Schützenpanzer Puma soll der hintere Kampfraum so feinstaubfrei ausgelegt worden sein, dass sogar Schwangere darin arbeiten sollen. Gibt es zu viele Vorgaben, die mit militärischen Aufgaben nichts zu tun haben?
Es wird zu häufig versucht, sogenannte “ Goldrandlösungen„ möglich zu machen. Das führt dazu, dass die Rüstungsindustrie manchmal in einem jahrelangen, sehr komplizierten Prozess eigens für den deutschen Abnehmer bestimmte Produkte entwickelt. Das ist ein Teil des Problems. Ich plädiere dafür, mehr gemeinsam mit den Partnern zu bestellen, mehr am Markt zu kaufen und sich auch häufiger mit Standardprodukten zufriedenzugeben, die gute Eigenschaften haben. Das kann die Industrie auch schnell bereitstellen.
Was sollte bei den Anschaffungen Priorität haben, wenn nun so viel Geld zur Verfügung steht?
Das Allerwichtigste ist die Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten. Die Funkgeräte habe ich genannt, aber es geht auch um großes Gerät. Wir brauchen die Weiterentwicklung des Eurofighters, das Luftabwehrsystem FCAS (“Future Combat Air System„), neue Schiffe für die Marine und einen Ersatz für die Tornado-Flugzeuge, welche die nukleare Teilhabe sichern. Davon ist schon vieles in der Planung, war bislang aber noch nicht ausfinanziert...
“Nukleare Teilhabe„ klingt sehr abstrakt, worum geht es da konkret?
Die Tornados der Bundeswehr können im Ernstfall die Atomraketen tragen. Diese Maschinen sind in die Jahre gekommen und können maximal bis 2030 fliegen. Es ist sehr teuer, sie bis dahin instand zu halten, manche Ersatzteile werden gar nicht mehr produziert.
Wie wird sich die Rolle der Bundeswehr wandeln? Ihr Fokus lag in den vergangenen Jahren eher auf Auslandseinsätzen...
Wir haben schon seit 2014, seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim, wieder eine stärkere Fokussierung auf die Bündnis- und Landesverteidigung. Bisher war das vor allem Theorie, jetzt ist es erschreckend real und die Bundeswehr ist noch nicht komplett darauf eingestellt. Sie ist immer noch eine Einsatzarmee. Ich gehe davon aus, dass die Auslandseinsätze reduziert werden und man nach der Erfahrung in der Ukraine noch viel mehr auf Bündnis- und Landesverteidigung setzt.
Seit der Aussetzung der Wehrpflicht gab es Klagen, die Bundeswehr entferne sich von der Gesellschaft. Und viele Soldaten hatten das Gefühl, es fehle ihnen Anerkennung. Sehen Sie Hinweise, dass sich das in der Krise nun ändert?
Ich sehe vor allem, dass die Bundeswehr durch ihre Corona-Amtshilfe ein neues Image bekommen hat. Dadurch sind viele wieder mit der Bundeswehr in Kontakt gekommen. Die wunderbare Unterstützung durch die Bundeswehr beim Hochwasser im Artal hat auch dazu beigetragen. Aber es ist natürlich wichtig, dass die Bundeswehr auch für ihren Kernauftrag Interesse und Wertschätzung erhält. Das war beim Evakuierungseinsatz in Kabul der Fall. Mit dem Krieg in der Ukraine wird vielen Deutschen nun noch klarer, dass wir die Bundeswehr unbedingt brauchen, um unseren Frieden und unsere Freiheit zu sichern.
Hören Sie das auch von Soldatinnen und Soldaten?
Ja, das spüren die Soldatinnen und Soldaten. Sie merken, dass sie nun anders wahrgenommen werden und ihnen mehr Respekt entgegengebracht wird. Das freut und motiviert sie natürlich. Und sie registrieren, dass auch die Auslandseinsätze mehr Aufmerksamkeit erhalten. Früher wurde häufig kurz vor Mitternacht im Bundestag mit wenigen Abgeordneten im Plenum über die Mandate abgestimmt. Das hat sich schon jetzt geändert, das kommt gut an in der Truppe.
Es gibt Menschen, die über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr nicht jubeln, weil sie sich wegen rechter Strukturen in der Truppe sorgen. Können Sie das verstehen?
Es ist ein permanenter Auftrag, dafür zu sorgen, dass es in der Bundeswehr keinen Rechtsextremismus gibt. Dass jeder Fall aufgeklärt wird, dass eventuelle Netzwerke aufgeklärt werden und dass es eine klare rote Linie gibt. Trotzdem ist das gut investiertes Geld, weil das eine das andere nicht ausschließt. Es sichert unseren. Frieden und unsere Freiheit.
Es gibt nun Überlegungen, die Wehrpflicht wieder in Kraft zu setzen oder eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen, die nicht nur in der Bundeswehr abgeleistet werden soll. Befürworten Sie das?
Ich habe die Aussetzung der Wehrpflicht 2011 kritisch gesehen und für eine Diskussion über einen Dienst an der Gesellschaft geworben. Es ist eine gute Idee, wenn gerade junge Menschen sich engagieren, etwa im Umweltschutz, in der Denkmalpflege, im sozialen Bereich und eben auch bei der Bundeswehr. Und selbstverständlich gilt das auch für Frauen. Bisher gab es dafür im politischen Berlin überhaupt keine Mehrheit. Angesichts des Krieges in der Ukraine halte ich das aber für eine theoretische Diskussion, denn jetzt hilft die Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder die Einführung einer Dienstpflicht nicht. Jetzt geht es vor allem darum, die Bundeswehr attraktiv zu machen, damit sich gut qualifizierte Menschen für den Dienst in der Truppe entscheiden. Wir brauchen außerdem eine stabile Reserve in den Landeskommandos.
Experten sagen, selbst wenn Deutschland und die EU in der kommenden Zeit keine Kriegsteilnehmer werden, stehen wir vor einer womöglich Jahrzehnte dauernden Konfrontation mit Russland. Sind wir dafür mental gerüstet?
Das ist eine schreckliche Erkenntnis: Nachdem wir 30 Jahre lang dachten, wir seien von Freunden umgeben, müssen wir jetzt unser Verhältnis zu Russland anders definieren. Das ist ein brutaler Angriffskrieg, von Putin ausgehend. Man kann nur hoffen, dass die demokratischen Kräfte, die mutigen Menschen auf der Straße, zu einer Veränderung in Russland beitragen.“
Interview: Hans Monath