Högl würdigt zum 66. Gründungstag der Bundeswehr Soldaten der ersten Stunde – Interview, 12.11.2021
Interview mit der Wehrbeauftragten auf Bundeswehr.de vom 12. November 2021
Högl würdigt zum 66. Gründungstag der Bundeswehr Soldaten der ersten Stunde
Die Bundeswehr feiert am 12. November den Tag ihrer Gründung. Welche Leistungen der Soldaten der ersten Stunde sollten wir heute auf keinen Fall vergessen?
Ganz wichtig ist, dass die Soldaten der ersten Stunde und auch danach dazu beigetragen haben, dass die Bundeswehr so ein positives Image bekommen hat. Es hat keine Fortsetzung der Tradition der Wehrmacht gegeben. Die Westbindung der Bundeswehr, ihre Einbindung in die NATO und in die Europäische Union ist nach den schwierigen Anfängen nach dem Zweiten Weltkrieg gelungen. Die Soldaten der ersten Stunde haben dafür den Grundstein gelegt – und auch dafür, dass wir heute stolz sein können auf unsere Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr.
Was sind aus Ihrer Sicht die herausragendsten Leistungen, welche die Bundeswehr von damals bis heute erbracht hat?
Die Bundeswehr hat 1955 ganz von vorn angefangen nach dem Zweiten Weltkrieg, nach dem Holocaust, nach den Gräueltaten der Wehrmacht. Sie hat es geschafft, auf der Basis von Parlamentsarmee, den Grundsätzen der Inneren Führung, dem Soldaten als Staatsbürger in Uniform wirklich nun schon über lange Zeit hinweg, Herausragendes zu leisten und ihren Auftrag zu erfüllen. Das ist bemerkenswert – und dazu hat jeder Einzelne und jede Einzelne beigetragen.
Als die Bundeswehr gegründet wurde, war Deutschland geteilt. Welchen Stellenwert hat vor diesem Hintergrund die Deutsche Einheit für die Entwicklung der Truppe?
Es war eine großartige Leistung, die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee (NVA) zusammenzuführen. Aus heutiger Sicht ist das vergleichsweise geräuschlos vonstattengegangen, mit relativ hoher Zufriedenheit, auch wenn es teils auch Reibungen gegeben hat. Doch alles in allem ist die deutsche Einheit aus Sicht der Bundeswehr eine Erfolgsgeschichte. Es war eine starke Leistung, zwei Armeen, die sich an der innerdeutschen Grenze gegenüberstanden, zusammenzuführen.
Die Gründung der Bundeswehr ist eng verbunden mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur NATO und ihrer festen Verankerung im Bündnis. Welchen Stellenwert hat dabei für Sie als Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages der gelebte Zusammenhalt der deutschen Soldatinnen und Soldaten mit ihren Verbündeten in der Allianz?
Für die Gründung der Bundeswehr war die Westbindung und die Integration in die NATO ganz entscheidend. Sie wirkt in der Bundeswehr bis heute nach, gerade angesichts der gegenwärtigen Refokussierung auf Landes- und Bündnisverteidigung sowie bei den Auslandseinsätzen. In diesen stehen unsere Soldatinnen und Soldaten gemeinsam mit den Verbündeten der Allianz. Diese Bündnistradition prägt die tägliche Praxis der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr bis auf den heutigen Tag. Sie werden mit ihren Partnern gemeinsam ausgebildet, sie üben zusammen und sie gehen gemeinsam in die Einsätze.
Zum Start der Bundeswehr war das Dienen Männersache. Wie haben Frauen die Bundeswehr verändert?
20 Jahre Frauen in der Bundeswehr haben die Streitkräfte verändert. Frauen sind ein Gewinn für die Truppe. Es sollten noch mehr werden, insbesondere sollten noch mehr Frauen in Führungspositionen kommen und Verantwortung übernehmen. Vor allem aber funktioniert das kameradschaftliche Miteinander von Frauen und Männern im Großen und Ganzen gut in der Bundeswehr. Da bin ich sehr zufrieden. Frauen haben gemeinsam mit Männern einen großen Anteil daran, dass die Vereinbarkeit von Familie und Dienst immer besser gelingt. Das partnerschaftliche Miteinander, bis hin auch zu Soldatenehen, hat die Bundeswehr sehr verändert – zum Besseren!
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Lehren, die die Bundeswehr seit Ihrer Gründung gezogen hat?
Die Bundeswehr ist bis heute gut aufgestellt auf der Grundlage, die ganz am Anfang 1955 gelegt worden ist. Ich erinnere an die Grundsätze der Inneren Führung, an die Soldaten und mittlerweile auch Soldatinnen als Staatsbürger und Staatsbürgerinnen in Uniform und an die Parlamentsarmee. Seit 1955 hat sich viel verändert – auch die Gesellschaft, deren Teil die Bundeswehr ist. Soziale Medien sind hinzugekommen. Die Wehrpflicht ist ausgesetzt worden. Aber die Bundeswehr hatte bei allen Veränderungen stets ihr solides Grundgerüst mit den Werten, Rechten und Pflichten, die darin verankert sind. Auf dieser Basis haben die Streitkräfte den Wandel über Jahrzehnte hinweg nicht nur gut bewältigt, sondern sie haben diesen Wandel auch gestaltet. Eine Erfolgsgeschichte!
Ein wichtiges Kapitel seit der Gründung der Bundeswehr ist die Schaffung des Amtes des oder der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages – was wollen Sie dazu gewissermaßen in eigener Sache sagen?
Ich nehme in meinen Gesprächen mit den Soldatinnen und Soldaten wahr, dass mein Amt in der Truppe als ein sehr wichtiges empfunden wird. Das sehe ich auch immer wieder in den Eingaben, die mich von den Soldatinnen und Soldaten erreichen. Wir bearbeiten rund 4.000 Fälle pro Jahr. Das Amt der Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages kann – mit dem Engagement meiner 60 Kolleginnen und Kollegen – daran mitwirken, in Einzelfällen Probleme zu lösen oder zu einer Lösung beizutragen. Dabei hat sich die Scharnierfunktion meines Amtes zwischen dem Parlament und der Truppe sehr bewährt. Das Ergebnis ist die hohe Akzeptanz meines Amtes in der Bundeswehr und im Deutschen Bundestag.
Worum geht es bei den Eingaben?
Es geht oft um ganz grundlegende Fragen der Bundeswehr, beispielsweise um die persönliche Ausstattung und Ausrüstung der Soldatinnen und Soldaten. Die Themen Material, Personal, Infrastruktur und strukturelle Fragen des Systems Bundeswehr werden an mich häufig adressiert. Dies zeigt mir, das Amt wird gebraucht.
Wie hat sich das Amt über die Jahre hinweg entwickelt?
Die Entwicklung meines Amtes ist eng verbunden mit den Themen. So hat beispielsweise die Pandemie das Amt der Wehrbeauftragten verändert, weil sich eine Reihe von Eingaben darum drehten. Es sind also Themen in Gesellschaft und Truppe gewesen, die zu einem guten Stück die Themen des Wehrbeauftragtenamtes verändert haben. Das Amt ist heute nicht mehr wegzudenken.
Welche Chancen bietet das Amt der Wehrbeauftragten aus Ihrer ganz persönlichen Sicht?
Es bietet aus meiner Sicht die Chance, dazu beizutragen, dass in Gesellschaft und Bundeswehr wieder mehr diskutiert wird. Die Bundeswehr braucht mehr Debatte über ihre Aufgaben und Ziele. Wir müssen lebendiger diskutieren, so wie wir es mal getan haben. Wir müssen enger zusammenrücken. Der Deutsche Bundestag und die Gesellschaft müssen sich für die Bundeswehr noch stärker als bisher interessieren. Wertschätzung, Stolz und Respekt für die Bundeswehr sollten nicht nur gesagt, sondern auch gezeigt werden. Darüber hinaus halte ich eine breit angelegte gesellschaftliche Debatte über Außen- und Sicherheitspolitik für dringend erforderlich.
Abschließend: Was möchten Sie zum Gründungstag den Soldatinnen und Soldaten von heute – ganz konkret für deren Alltag in der Truppe – sagen?
Herzlichen Dank an jeden Einzelnen und an jede Einzelne in der Bundeswehr für Ihr Engagement und Ihren treuen Dienst für Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtstaatlichkeit. Dieser Dienst ist nicht immer einfach, er ist teilweise unter schwierigen Rahmenbedingungen zu leisten. Deswegen ganz herzlichen Dank, ich bin stolz auf unsere Soldatinnen und Soldaten! Ich werde all meine Kraft dafür geben, sie auch weiterhin gut zu unterstützen und ihre Interessen zu vertreten.
Interview: Jörg Fleischer