„Corona-Hilfe läuft wie am Schnürchen“ – Interview, 28.1.2021
Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom 28. Januar 2021
„Corona-Hilfe läuft wie am Schnürchen“
Frau Högl, die Bundesregierung will Alten- und Pflegeheime nun mit mehr Schnelltests besser schützen und dafür den Carona-Einsatz der Bundeswehr intensivieren. Der Bund übernimmt künftig die anfallenden Kosten komplett und hält 10 000 zusätzliche Soldaten in Bereitschaft. Das alles hemmt erst knapp ein Jahr nach dem Ausbruch der Pandemie. Kommt das nicht viel zu spät?
Der Einsatz der Bundeswehr gegen Corona ist sehr umfangreich, deshalb würde ich das anders bewerten, als Ihre Fragestellung es suggeriert. Rund 14500 Soldatinnen und Soldaten unterstützen aktuell den Kampf gegen die Pandemie im Rahmen der Amtshilfe. Das ist eine ganze Menge, darunter sind auch viele aus dem Sanitätsdienst, etwa 20 000 weitere Soldaten sind startbereit. Ich bin jetzt acht Monate unter den Vorzeichen der Corona-Krise im Amt, und mein Eindruck ist, dass alles ganz hervorragend läuft. Erstens ist die Bundeswehr gern gesehen, sei es beim Testen, bei der Nachverfolgung von Kontakten, beim Impfen oder in Alten- und Pflegeheimen. Zweitens kann die Bundeswehr sehr schnell und sehr tatkräftig mit helfenden Händen unterstützen und braucht fast keine Einarbeitung oder Schulung.
Es gibt die Forderung, in Deutschland vor jedes Alten- und Pflegeheim zwei Soldaten für Corona-Tests zu stellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat dazu gesagt: „.14 000 Heime mal zwei Personen - das sind 28 000 Soldaten. Das kann die Bundeswehr auch nicht wuppen.“ Warum eigentlich nicht?
Das müssen Sie die Kanzlerin fragen. Ich kann nur für die Bundeswehr sagen: An den Soldatinnen und Soldaten liegt es nicht, und es stehen genügend Kräfte bereit.
Woran denn sonst?
Das liegt in der Hand der Kommunen und Landkreise - und nicht in der Hand der Bundeswehr. Der Einsatz der Bundeswehr ist laut Artikel 35 des Grundgesetzes subsidiär, darf also nur im Rahmen der Amtshilfe erfolgen. Das heißt, Kommunen und Landkreise fordern Soldaten an, wenn sie Personal brauchen. In den meisten Fällen wird den Anträgen stattgegeben, die wenigsten werden aus rechtlichen oder tatsächlichen Problemen zurückgewiesen. Wenn die Verwaltung vor Ort mit eigenen Kräften zurechtkommt, braucht es keine Unterstützung durch die Bundeswehr.
Anscheinend kommt die Verwaltung aber nicht zurecht. Ist das schlechte Organisation?
Wenn irgendetwas gut läuft seit fast einem Jahr, dann ist das die Corona-Hilfe durch die Bundeswehr. Ich diskutiere ja gerne auch über Probleme, aber das läuft wie am Schnürchen. Gerade in der Corona-Hilfe habe ich nichts zu meckern.
Wenn aber von bundesweit 14500 Soldaten in der Corona-Hie nur fast 1500 Soldaten in Altenheimen aktiv sind, ist das nicht gerade viel. Kann man nicht eine Art Krisenlage oder Notstand ausrufen und die Soldaten auch gegen den Willen der Landkreise vor Ort schicken?
Dazu gibt es keinen Anlass. Die Corona-Pandemie zeigt doch ganz deutlich, dass Artikel 35 des Grundgesetzes, der die Amtshilfe vorsieht, eine ideale Rechtsgrundlage ist und sehr gut funktioniert. Ich stelle nicht fest, dass es an irgendeiner Stelle hakt oder es rechtliche oder tatsächliche Unsicherheiten gibt. Deshalb brauchen wir auch keinen anderen Mechanismus.
Das Oder-Hochwasser 1997 war eines der großen Ereignisse, wo die Bundeswehr half und Soldaten als Helden gefeiert wurden. Diesmal in der Corona-Krise ist das nicht so, oder?
Im Gegenteil, ich beobachte, dass viele Bürger den Corona-Einsatz der Bundeswehr aufmerksam wahrnehmen und er das Ansehen der Bundeswehr deutlich gestärkt hat. Die Bundeswehr unterstützt ja auch in Uniform, und Soldatinnen und Soldaten nennen beim Telefonieren nicht nur ihren Namen, sondern auch den Dienstgrad und sind somit sichtbar. Ich halte das für vergleichbar mit dem Oder-Hochwasser, wo in der Bevölkerung angekommen ist, dass es ohne die Soldaten nicht so gut geklappt hätte.
Die Bundeswehr hat große Organisation- und Krisenkompetenz. Könnte sie nicht noch mehr Aufgaben übernehmen?
Das macht die Bundeswehr bereits. Dazu gehören die Entwicklung der Impfstrategie, das Errichten von Impfzentren, der Transport der Impfstoffe - bei alldem hilft die Bundeswehr, da ist vor allem der Sanitätsdienst gefragt. Man muss bei alldem auch sehen, dass die Bundeswehr trotz der Corona-Hilfe und eines strengen Hygiene-Konzepts weiter ihre Einsatzbereitschaft aufrechterhält. Das ist eine große Leistung.
Welche Lehren sollte die Bundeswehr aus der Corona-Pandemie ziehen?
Wir müssen in Zukunft besser vorbereitet sein auf Pandemien und ähnliche Gefahren. Im Weißbuch Bundeswehr 2016 wird die Gefahr einer Pandemie nur mit einem Halbsatz erwähnt das muss deutlich ausgebaut werden. Ich sehe drei Punkte: Erstens muss die Bundeswehr bei der Digitalisierung und IT-Ausstattung noch einen großen Schritt nach vorne gehen, damit mobiles und örtlich flexibles Arbeiten möglich ist. Die zweite Lehre ist, dass Deutschland schauen muss, wie die Regeln für den Katastrophenschutz und die Bevölkerungshilfe verbessert werden können und ob unser föderales System gut genug vorbereitet auf solche Pandemien ist. Und drittens brauchen wir gleiche Regeln für Prävention und Hygiene bei den Auslandseinsätzen für alle Nationen in den Einsatzgebieten. Das ist ein Thema für die Nato und die EU.
Stellt die Corona-Krise die Ziele der Bundeswehr infrage? Die Staatskasse wird künftig ja wohl weniger Geld zur Verfügung stellen als erhofft.
Es ist klar, dass die Schulden wieder abgebaut werden müssen und der Bundeshaushalt in der Nach-Corona-Zeit sicher anders aussehen wird, als wir uns das alle für die nächsten Jahre gewünscht hatten. Aber wir brauchen eine gut ausgestattete Bundeswehr - auch weil die Weltlage herausfordernder wird. Die Bundeswehr benötigt deshalb alle verfügbaren Mittel. Als Wehrbeauftragte hoffe ich, dass es bei dem Aufwärtstrend im Etat, der 2014 begonnen hat, bleibt.
Interview: Marion Trimborn