Parlament

Kolumne der Wehrbeauftragten - November 2021

Eine Frau mit blonden Haaren und hellblauem Blazer steht vor einer Betonwand.

Wehrbeauftragte Eva Högl (© DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

der Afghanistan-Einsatz war und ist eine Zäsur – vom Beginn über den Verlauf bis zum Ende. Erstens war es das erste und bisher einzige Mal, dass die NATO den Bündnisfall nach Artikel 5 ausrief. Zweitens war es der gefährlichste Einsatz der Bundeswehr. 59 deutsche Soldaten ließen am Hindukusch ihr Leben. Viele wurden verwundet an Leib und Seele und leiden noch immer an den Folgen. Drittens implodierte das politische System und übernahmen die Taliban die Kontrolle, kaum dass die internationalen Kräfte abgezogen waren. Welche Fortschritte des fast 20-jährigen Einsatzes Bestand haben werden, ist völlig ungewiss.

Der Afghanistan-Einsatz sollte daher umfassend, offen und schonungslos bilanziert werden. Eine Enquete-Kommission im Deutschen Bundestag wäre hierfür ein guter Rahmen. Eine Erkenntnis ist dabei schon sicher: Nach Afghanistan kann es kein Weiter-so geben. Wir sollten und müssen über Einsätze der Bundeswehr im Ausland diskutieren – allen voran in Mali. Denn: So unterschiedlich die Länder, Rahmenbedingungen und Einsätze in Afghanistan und Mali auch sein mögen, gewisse Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen.

Die politische Situation in Mali ist fragil. Demokratie und Rechtsstaat sind keineswegs stabil und fest verankert. Die Gefährdungslage ist nicht gut. Mali ist mittlerweile der gefährlichste Einsatz der Vereinten Nationen und der Bundeswehr. Das macht der Anschlag Ende Juni sehr deutlich, bei dem zwölf unserer Soldaten zum Teil schwer verwundet wurden. Die Aufgabe der Bundeswehr ist zweigeteilt. Im Rahmen der UN-Mission MINUSMA trägt sie zu Stabilität und Frieden bei. Bei den EU-Missionen EUTM und Gazelle bildet sie malische Soldatinnen und Soldaten aus.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen Afghanistan und Mali besteht in der Rolle des Militärs. Die militärischen Strukturen in Afghanistan waren trotz der umfangreichen Ausbildung offensichtlich nicht nachhaltig und tragfähig, wie die dramatischen Ereignisse nach dem Abzug zeigen. Anders scheinbar in Mali. Hier putschten die malischen Streitkräfte zwei Mal binnen weniger Monate. Besonders brisant: Der Anführer des Putsches und neue Staatspräsident wurde teilweise auch in Europa ausgebildet.

Das erschüttert unser Vertrauen in unsere malischen Partner und wirft viele, sehr grundlegende Fragen auf. Wie sinnvoll und nachhaltig ist der Einsatz in Mali? Welche Ziele verfolgen wir? Setzen wir hierfür die geeigneten Mittel ein? Und haben wir klare Kriterien, um Erfolg (oder Misserfolg) des Einsatzes zu messen? Diese Fragen werden – wie schon beim Afghanistan-Einsatz – zu selten und zu wenig diskutiert. In der Bundesregierung, im Deutschen Bundestag, aber auch in unserer Gesellschaft. Was auch dazu führt: Sie sind keineswegs beantwortet. Das muss sich durch und nach dem Afghanistan-Einsatz ändern. Von der künftigen Bundesregierung und dem neuen Bundestag erwarte ich eine breite, ernste und offene Debatte über den Einsatz in Mali und über Auslandseinsätze der Bundeswehr im Allgemeinen.

Es ist die schwerste Entscheidung, die Bundestagsabgeordnete zu treffen haben, wenn sie unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze schicken. Mittel, Ziele und Zeitpläne müssen daher gut begründet und klar benannt sein. Das ist wichtig für unsere Soldatinnen und Soldaten. Nur mit klaren Vorgaben und Zielen sowie mit Vertrauen aus Politik und Gesellschaft können sie ihre Aufträge auch mit Sinnhaftigkeit und aus voller Überzeugung ausführen.

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,

Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

Marginalspalte