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„Jetzt braucht es Entscheidungen“ – Interview, 30.1.2019

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(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit dem Wehrbeauftragten in der „Schleswig-Holsteinischen Landeszeitung“ vom 30. Januar 2019

„Jetzt braucht es Entscheidungen“

Von wem stammt das Zitat: „Die Verbesserung liegt im Bewusstsein der Defizite – man weiß jetzt, welche man hat“?

Hab ich das gesagt?

Richtig. Gesagt haben Sie den Satz bei der Vorstellung des Wehrberichts im vergangenen Jahr. Was hat sich seit dem getan?

Der Satz stimmt immer noch. Wir brauchen keine weiteren Analysen oder Kommissionen. Die Bundeswehrführung hat inzwischen eine ziemlich gute Problemlandkarte. Analytisch ist viel getan worden seit dem Beginn der Amtszeit von Verteidigungsministerin von der Leyen. Jetzt muss umgesetzt werden.

Bestens bekannt sind auch die Defizite rund um die „Gorch Fock“. Wie soll es mit dem Segelschulschiff weitergehen?

Die Marine sagt, sie braucht ein Schulschiff. Sie hat bisher ihre Offiziersausbildung mit einem eindrucksvollen Großsegler machen können, viele Partnermarinen machen das auch. Deutschland ist nicht dümmer oder ärmer als andere Nationen. Das müssen wir hinbekommen. Alles andere wäre peinlich.

Sollte die „Gorch Fock“ weiter repariert oder ein neues Schiff gekauft werden?

Das sollen die Verantwortlichen beurteilen. Ein Neubau würde jedenfalls Jahre dauern, dann bräuchte man auch noch eine Überbrückungslösung. Interessant ist, dass im März, als klar wurde, dass die Kosten explodieren, jemandem hätte auffallen müssen, dass das nicht normal ist. Aber was ist schon normal, wenn sowieso immer alles teurer wird als geplant? Also: kein Aufregerthema.

Zu einem Aufreger wurde es kurz vor Weihnachten.

Genau. Als sich ein Mitarbeiter des Marinearsenals selbst angezeigt hat und das Wort Korruption ins Spiel kam. Wenn es um Korruption geht, ändert sich schlagartig der Interpretationsrahmen, und eine Verdreizehnfachung der Reparaturkosten kommt einem plötzlich nicht mehr so normal vor wie bisher. Vielleicht hätte vorher schon mal jemand Alarm schlagen können!

Wird das Thema „Gorch Fock“ zu emotional diskutiert?

Dass es jetzt überhaupt diskutiert wird, ist gut. Schlecht ist, dass es den Anlass der Selbstanzeige brauchte. Eigentlich hätte es bei einer Kostensteigerung von 10 auf 135 Millionen Euro schon genug Grund für genaueres Hingucken geben müssen. Das hat dann der Bundesrechnungshof gemacht. Das Verteidigungsministerium selbst verfügt über mehrere Controlling-Systeme, aber welchen Sinn macht solche Doppelarbeit, wenn am Ende nichts dabei auffällt?

Die Frage beantwortet sich wohl von selbst.

Ja. Insofern sind die Erfahrungen mit der „Gorch Fock“ ein Sinnbild für Fehlsteuerungen im Rüstungsmanagement der Bundeswehr.

Was muss sich verändern?

Beschaffung und Materialerhaltung gelten seit langem als Sorgenkinder unserer Armee. Alle Probleme sind seit 2013 mehrfach analysiert worden: von der Beratungsgesellschaft KPMG, von der extra dafür bei McKinsey abgeworbenen Staatssekretärin Katrin Suder, jetzt nochmal von einer Arbeitsgruppe unter Leitung des ehemaligen Commerzbank-Chefs Klaus-Peter Müller. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition steht, dass das Beschaffungswesen endlich schneller werden muss. Das Bewusstsein ist da, nun braucht es Entscheidungen.

Das Thema scheint Sie umzutreiben ...

Es treibt die Soldatinnen und Soldaten um: Sie sind es, die mit der miesen Materiallage jeden Tag umgehen müssen. Dabei ist das Beschaffungswesen nur eine Baustelle. In meinem Jahresbericht ist ein anderer Big Point das, was die Soldaten als „Bürokratiemonster Bundeswehr“ bezeichnen: die vielen selbstgemachten Regeln, die den Alltagsbetrieb immer mehr einschnüren, so dass man am Ende überhaupt nicht mehr bewegungsfähig ist. Selbst kleinste Dinge dauern Ewigkeiten, weil keiner mehr allein entscheiden kann. Militär braucht im Ernstfall klare, eindeutige Verantwortungsstrukturen!

Haben Sie ein Beispiel?

Ein Kompaniechef kann heute kaum noch Einfluss darauf nehmen, ob von seinen Leuten jemand weiter verpflichtet wird oder einen Laufbahnwechsel machen kann. Der Kommodore eines Jagdbombengeschwaders mit 1500 militärischen und zivilen Beschäftigten und 3 Milliarden fliegendem Vermögen hat einen jährlichen Etat von 250 Euro, den er persönlich verantworten darf.

Das ist nicht wahr.

Doch. Alles andere muss er über Anträge regeln. Die Soldaten sagen: Wir verwalten uns zu Tode. Ich schlage in meinem Bericht vor, dass Kommandeure in der Truppe einen Betrag von 50.000 Euro im Jahr selbst bewirtschaften dürfen – für kleine Anschaffungen, kleine Reparaturen, Kleinkram eben, der nicht erst zehn Erwachsene beschäftigen muss, bevor 2345 Euro rechtssicher ausgegeben werden. Es ist ein Kampf um Vertrauen und zurechenbare Verantwortung.

Die wie funktionieren müsste?

Ich habe mir mal das Studierendenwerk Berlin angeguckt. Jetzt können Sie fragen warum.

Das machen wir gerne: warum?

Die haben 170000 Studierende von allen Hochschulen der Hauptstadt zu betreuen. Ungefähr so viele junge Leute wie die Bundeswehr Soldatinnen und Soldaten hat. Sie kochen, die Truppenküche heißt hier Mensa. Sie bringen 10.000 Studenten in eigenen Wohnheimen unter. Sie betreiben Kindertagesstätten für die Vereinbarkeit von Studium und Familie. Sie bieten psychologische und Sozialberatung an. Macht die Bundeswehr alles auch, aber mit welchem Aufwand, wie effektiv, zu welchem Preis? Und immer mit der besten Lösung?

Sie provozieren jetzt, das ist Ihnen klar!

Die Methode ist nicht neu, sie heißt: lernen durch vergleichen. Oder neudeutsch: Benchmarking. Das Studentenwerk gibt ja auch Steuergelder aus. Insgesamt hat diese Körperschaft des öffentlichen Rechts im Jahr 100 Millionen Euro aus Beiträgen, Erlösen und Steuern zur Verfügung. Versuchen Sie mal, für die Bundeswehr mit ihrem 40-Milliarden-Etat auszurechnen, was hier die vergleichbaren Leistungen kosten! Es gibt keine Transparenz, keine Bilanz, keine einheitlichen Zuständigkeiten. Schon klar, dass Studenten und Soldaten absolut nicht das gleiche sind. Aber man kann Strukturen vergleichen. Das Studentenwerk hat beispielsweise eine eigene schnelle Bauabteilung. Auch die Bundeswehr braucht Initiativen, die dazu führen, dass schneller gebaut wird. Im übrigen kann man auch fragen, warum kommen die Briten mit ihren Eurofightern auf so viel mehr Flugstunden als wir in Deutschland? Oder wie schafft es die Bundespolizei, ihre neuen großen Grenzschutzboote innerhalb von drei Jahren geliefert zu bekommen?

Es ist der vierte Wehrbericht, den Sie vorgestellt haben. Am Anfang sind Sie sehr freundlich mit Frau von der Leyen umgegangen. Geht es systemisch voran oder wird es immer schlimmer?

Wie gesagt, es gibt heute kein Erkenntnisproblem mehr, sondern die Herausforderung heißt: umsetzen.

Das beantwortet die Frage nicht.

Aber ich will freundlich bleiben. Frau von der Leyens Aufgabe ist ja nicht leicht. Wir kommen aus 25 Jahren Schrumpfung der Bundeswehr. In dieser Zeit war immer von allem zu viel da: Personal, Material, Standorte. Nur eben Geld nicht, deshalb kann eine Schrumpfreform nach der anderen, zuletzt 2011 mit der Aussetzung der Wehrpflicht Jetzt muss die Ministerin den Turnaround schaffen. Seit 2014 müsste wieder die ganze Bundeswehr einsatzbereit sein, fähig zu einem Mindestmaß an Abschreckung. Kollektive Verteidigung in Europa kommt jetzt als zweite volle Hauptaufgabe dazu – zu den Krisenmissionen, die bisher die Truppe in Atem gehalten haben. Deshalb sind die Trendwendebeschlüsse richtig, die Richtung stimmt, aber das Tempo fehlt. Meine Aufgabe ist, den Druck hoch zu halten, damit die Verbesserungen für die Soldaten schneller kommen. Denn sie haben heute schon die Aufgabe, für die sie erst irgendwann in der Zukunft komplett ausgerüstet sein sollen.

Das klingt nicht so, als ob Sie daran glauben.

Die gegenwärtigen Planungen gehen ins Jahr 2031, das ist der Zeithorizont des neuen Fähigkeitsprofils der Bundeswehr. Die Soldaten erwarten aber zu Recht, dass vieles schon vorher da ist.

Gibt es Fälle aus Schleswig-Holstein, die im Wehrbericht eine besondere Rolle spielen?

Die Ausbildung der Tornado-Piloten ist bekanntermaßen aus Holloman in New Mexico nach Jagel gekommen. Allerdings war da wenig vorbereitet.

Inwiefern?

Das Geschwader hat im Moment zum Beispiel nur einen Tornado-Simulator, was bisher ja ausreichte. Es existiert ein zweiter Simulator. Der ist auch aus Holloman mit umgezogen, aber es gibt noch kein Gebäude dafür. Für die neue Pilotenausbildung ist das alles andere als ideal.

Der A400M legt sein Image als Pannenflieger ab, was bedeutet, dass die gute alte Transall bald Geschichte sein wird. Wann muss der Standort Hohn die Tore dicht machen? Zuletzt wurde das Jahr 2021 genannt.

Die Landesregierung hat einen Brief an das Verteidigungsministerium geschrieben, man sei verwundert, dass als zweiter Standort für den A400M neben Wunstorf nun Lechfeld in Bayern ausgewählt worden sei. Wie immer es dazu gekommen ist – einen Flugplatz mit militärischer Infrastruktur wie Hohn sollte man nicht einfach so aufgeben und demilitarisieren, um ihn dann vielleicht fünf Jahre später wieder nutzen zu wollen.

Interview: Stefan Hans Kläsener und Stefan Beuke

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