06.11.2024 | Parlament

Kritik am Regierungsentwurf zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für SED-Opfer

Das Bild zeigt eine Anzeigetafel im Paul-Löbe-Haus, vor dem Ausschusssaal des Rechtsausschusses. Hier steht Deutscher Bundestag 20. Wahlperiode 122. Sitzung Rechtsauschusses am Mittwoche, dem 6. November 2024, 10:45

Anzeigetafel im Paul-Löbe-Haus, vor dem Ausschusssaal des Rechtsausschusses (© Team Zupke)

Am 6. November 2024 hat sich der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages mit dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR befasst und hierzu Sachverständige aus unterschiedlichen Fachbereichen angehört.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht u. a. die Dynamisierung der sog. SED-Opferrente, eine Einmalzahlung für Zwangsausgesiedelte in Höhe von 1.500 Euro sowie die Einrichtung eines bundesweiten Härtefallfonds für die Opfer der SED-Diktatur vor. Eine vereinfachte Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden ist indes nicht geplant. Laut Gesetzentwurf sei den hier bestehenden Problemen durch eine umfassende Neuordnung des Sozialen Entschädigungsrechts bereits hinreichend Rechnung getragen worden. 

In der Anhörung sah sich der Gesetzentwurf erheblicher Kritik ausgesetzt. Der Gesetzentwurf „enthalte einige gute Ansätze“, gehe aber weit an dem vorbei, „was wir heute brauchen, um die Opfer angemessener zu unterstützen“, so die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke. Auch Dieter Dombrowski, Vorsitzender der Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft e. V. (UOKG), zeigte sich von dem Entwurf enttäuscht. Dieser habe ihn fassungslos gemacht und gehe am Ziel, den Opfern der SED-Diktatur zu helfen, eindeutig vorbei.

Die Opferbeauftragte widersprach der im Gesetzentwurf vertretenen Auffassung, die Änderungen im Sozialen Entschädigungsrecht hätten bereits wesentliche Verbesserungen bei der Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden bewirkt. Evelyn Zupke führte aus, dass die Ablehnungsquote bereits seit Jahrzehnten dramatisch sei. Sie sei erschüttert, wenn sie im Gesetzentwurf lese, dass sich die Lage angeblich durch das im Jahr 2019 beschlossene Sozialgesetzbuch Vierzehntes Buch (SGB XIV) verbessert habe. Die dortigen Regelungen seien nicht neu, im Gegenteil würden sie die Anerkennungspraxis bereits seit vielen Jahren bestimmen. Die vergangenen Jahre hätten gezeigt, dass sich die Problematik nicht mit den üblichen Instrumenten des Sozialen Entschädigungsrechts lösen lasse. Daher sei eine eigenständige, auf die SED-Opfer zugeschnittene Regelung in Form einer kriterienbasierten Vermutungsregelung erforderlich.,

Auch Dr. Maria Nooke, Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur, kritisierte, dass der Gesetzentwurf keine Vereinfachung des Anerkennungsverfahrens vorsehe. Bereits seit Inkrafttreten der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze hätten die Betroffenen mit dem Problem massiver Beweisnot zu kämpfen; daran habe auch die Einführung des SGB XIV nichts geändert. Sie plädierte daher für eine politische Lösung. 

Prof. Dr. Jörg Frommer von der Universitätsklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg stellte die Komplexität des Anerkennungsverfahrens dar. Hier sei historisches Fachwissen unerlässlich, welches sich in den Bescheiden und Urteilen oftmals nicht wiederfinde. Auch die Diagnose des heutigen Gesundheitsschadens erfordere ein hohes Maß an Fachwissen, da es sich bei der Psychotraumatologie um einen sehr speziellen Fachbereich handle. Letztlich würde die Anerkennung vor allem an der regelmäßigen Verneinung des ursächlichen Zusammenhangs scheitern, obwohl die Wahrscheinlichkeit, nach politischer Haft einen Gesundheitsschaden zu erleiden, enorm hoch sei. 

Dies belegen auch die von Tolou Maslahati vorgestellten Daten, die im Rahmen eines Forschungsprojekts der Charité Berlin zu den gesundheitlichen Folgen politischer Haft gewonnen wurden. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung kämen sowohl psychische als auch körperliche Erkrankungen bei ehemaligen politischen Häftlingen gehäuft vor. Depressionen seien dreimal so häufig vertreten, Angststörungen kämen doppelt so oft vor. Auch das Risiko für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) sei um ein Vielfaches erhöht. Lungenerkrankungen würden ein dreifach erhöhtes Risiko aufweisen, während Krebserkrankungen und Herzinsuffizienz doppelt so häufig vorkämen. Die Forschungsdaten belegten den Zusammenhang zwischen der damaligen politischen Haft und heutigen Erkrankungen.

Das erhöhte Risiko zeigt sich auch in einer Studie über ehemalige DDR-Heimkinder, die in der Anhörung von Prof. Dr. Heide Glaesmer von der Abteilung für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie des Universitätsklinikums Leipzig vorgestellt wurde. Bei über 40 Prozent der Betroffenen sei eine PTBS oder sogar eine komplexe PTBS (kPTBS) diagnostiziert worden. Gleichzeitig verwies sie darauf, dass die langwierigen Prozesse und Begutachtungen für die Betroffenen oftmals ein erneutes Unrechtserleben bedeuten würden, was letztlich zu einer Retraumatisierung führe. 

Vor dem Hintergrund der eindeutigen Forschungslage sprachen sich die drei Sachverständigen aus dem Bereich der Wissenschaft einhellig für eine Vereinfachung des Anerkennungsverfahrens durch die Einführung einer kriterienbasierten Vermutungsregelung aus.

Rückenwind für eine solche kriterienbasierte Vermutungsregelung gab es auch aus dem Bereich der Opferverbände. Carla Ottmann vom Forum für politisch verfolgte und inhaftierte Frauen der SBZ/SED-Diktatur e. V. berichtete, sie erlebe es täglich, dass ehemalige politisch inhaftierte Frauen mit ihren Anträgen auf Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden scheitern würden. „Für die Frauen ist es verletzend, für unsere Demokratie ist es beschämend“, mahnte Ottmann. Daher sei eine Gesetzesänderung dringend erforderlich. 

Deutliche Kritik übten die Sachverständigen zudem daran, dass der Gesetzentwurf zwar eine Dynamisierung der SED-Opferrente, jedoch keine vorangestellte Erhöhung vorsieht. Aus Sicht der Opferbeauftragten sei die geplante Dynamisierung gut, jedoch könnten die Betroffenen nach aktuellem Stand lediglich mit einer Erhöhung von 15 Euro rechnen. So helfe man den Opfern nicht aus ihrer prekären sozialen Lage. Vor diesem Hintergrund forderte sie eine, der Dynamisierung vorangestellte, Erhöhung der Opferrente auf 400 Euro. Auch Dr. Anna Kaminsky, Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, sprach sich für eine Erhöhung des Sockelbetrags aus und verwies zur Begründung auf Studien zur sozialen Lage der Betroffenen von politischer Verfolgung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR. Carla Ottmann machte ebenfalls auf die prekäre soziale Lage vieler Betroffener aufmerksam. Zahlreiche von ihnen würden heute an der Grenze zur Armutsgefährdung leben. Sie bat daher die Abgeordneten, den ehemals politisch Inhaftierten die Rentenerhöhungen der vergangenen Jahre zukommen zu lassen. Zudem sprachen sich im Zusammenhang mit der Opferrennte sowohl die Opferbeauftragte als auch Dr. Anna Kaminsky für die Streichung der Bedürftigkeitsprüfung aus. 

Daneben ging es in der Anhörung um die Opfer von Zwangsaussiedlung. Dr. Peter Wurschi, Thüringer Landesbeauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, begrüßte, dass der Gesetzentwurf diese Opfergruppe mit einer Einmalzahlung berücksichtigt, die vorgesehene Höhe von 1.500 Euro sei jedoch deutlich zu niedrig angesetzt. Gleichzeitig sprach er sich gegen die im Gesetzentwurf formulierten Ausschlussgründe aus. Auch von Dr. Anna Kaminsky wurde die vorgesehene Höhe der Einmalzahlung als unzureichend bezeichnet.

Des Weiteren wurden auch die Opfer des DDR-Zwangsdopings angesprochen. Hierzu führte Dr. Anna Kaminsky aus, dass zu deren Unterstützung eine Novellierung des mittlerweile ausgelaufenen Dopingopfer-Hilfegesetzes (DOHG) denkbar wäre. Daneben käme auch die Aufnahme dieser Opfergruppe in das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG) in Betracht.

Im Bereich der strafrechtlichen Rehabilitierung plädierte Philipp Mützel, Vorstandsmitglied des Bürgerbüro e. V. Berlin, für die Verankerung eines Zweitantragsrechts. Die Gerichte würden hier teilweise unterschiedlich urteilen. Der Erfolg eines Rehabilitierungsantrags dürfe jedoch nicht von der Zuständigkeit des Gerichts abhängen. Hier sei eine Klarstellung durch den Gesetzgeber dringend erforderlich. Unterstützt wurde diese Forderung von Dr. Peter Wurschi, der sich ebenfalls für ein Zweitantragsrecht aussprach.

Thematisiert wurde in der Anhörung zudem der im Gesetzentwurf vorgesehene bundesweite Härtefallfonds für SED-Opfer. Dessen Einrichtung wurde durch die Sachverständigen grundsätzlich begrüßt. „Die Einrichtung eines bundesweiten Härtefallfonds ist wichtig und überfällig“, so Jörg Drieselmann, Vorsitzender des Trägervereins für das Stasimuseum-Berlin und Stiftungsratsmitglied der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge. Jedoch dürfe nicht die Wahrnehmung entstehen, dass es sich bei dem neuen Fonds um einen „Härtefallfonds West“ handle und es eine unterschiedliche Behandlung der Opfer in Ost und West gebe. Im Hinblick auf die finanzielle Ausstattung des Fonds sprach sich Dr. Maria Nooke dafür aus, hierfür ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen und auch Dr. Anna Kaminsky forderte, das im Gesetzentwurf vorgesehene Volumen von einer Million Euro noch einmal zu überdenken.