27. Bundeskongress „Jugend unter Generalverdacht?“ Instrumentalisierung, Protest und Verfolgung junger Menschen in der kommunistischen Diktatur
Der diesjährige Bundeskongress der Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und der Folgen der kommunistischen Diktatur, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur sowie der SED-Opferbeauftragten beim Deutschen Bundestag mit den Verfolgtenverbänden und Aufarbeitungsinitiativen fand vom 24. bis zum 26. Mai 2024 in Erkner (Brandenburg) statt, den die brandenburgische Aufarbeitungsbeauftragte Dr. Maria Nooke federführend organisierte.
Schwerpunkt der Veranstaltung war die Auseinandersetzung mit dem Thema „Jugend und Diktatur“. In Panels wurden die Einflüsse einer ideologischen Erziehung auf junge Heranwachsende innerhalb des kommunistischen Regimes sowie die Folgen für nicht angepasste „Abweichler“ beleuchtet, die über Generationen hinweg bis in die heutige Zeit hineinreichen. Die psychischen Folgen von Diktaturerfahrungen und die Herausforderungen in der Bildungsarbeit wurden in Vorträgen erörtert und in Podien diskutiert.
Die Veranstaltungsreihe bildet einen wichtigen Rahmen für den Austausch zwischen den Betroffenen sowie den Vertreterinnen und Vertreter von Verbänden und Institutionen, die sich für die Belange der Opfer und für die Aufarbeitung der SED-Diktatur einsetzen.
Die SED-Opferbeauftragte und die Beauftragte des Landes Brandenburg zur Aufarbeitung der Folgen der kommunistischen Diktatur thematisierten in ihren Grußworten den aktuellen Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR des Bundesministeriums der Justiz (BMJ). Evelyn Zupke benannte hierbei die Licht- und Schattenseiten des Gesetzentwurfs und warb bei den anwesenden Vertreterinnen und Vertreter der Bundes- und der Landespolitik um Unterstützung für ihre Anliegen:
„Meine Bitte an Sie. Verankern wir endlich in den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen eine vereinfachte Regelung für die Gesundheitsschäden. […] Wer zu DDR-Zeiten politisch verfolgt wurde, wer beispielsweise im Gefängnis saß - bei diesen Betroffenen sollte der Zusammenhang zwischen Erkrankung und erlebter Repression vorausgesetzt werden.“
Vor dem Hintergrund des diesjährigen 35. Jubiläums der Friedlichen Revolution, erinnerte die SED-Opferbeauftragte an die Zusage im Einigungsvertrag, die Opfer des SED-Unrechts-Regimes zu rehabilitieren und zu entschädigen. Angesichts der Jahrzehnte lang andauernden Repression und Gewalt, denen die Menschen ausgesetzt waren, die gegen Diktatur und für Freiheit kämpften, unterstrich sie die Verantwortung der Politik und der Gesellschaft gegenüber den Opfern der SED-Diktatur.
„Den Opfern der Diktatur nicht nur mit Respekt und Anerkennung zu begegnen, sondern sie als demokratische Gesellschaft, jetzt wo sie auf unsere Hilfe angewiesen sind, nach Kräften zu unterstützen. Dies ist unsere gesamtdeutsche Verantwortung, gerade jetzt in diesem besonderen Jahr.“
Dr. Robert Grünbaum, stellvertretender Direktor der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Henryk Pilz, Bürgermeister der Stadt Erkner, und Dr. Dietmar Woidke, Ministerpräsident des Landes Brandenburg, stellten in ihren Begrüßungsreden eine zunehmende Verklärung der DDR aufgrund von Bildungslücken fest. Dies ebne vor allem extremistischen Parteien den Weg. Umso wichtiger sei die Aufarbeitung und die Anerkennung der Opfer des SED-Regimes, die für die Rechte kämpften, die für uns alle dank dem Grundgesetz heute gelten, schlussfolgerten sie.
Der Schriftsteller und Publizist Marko Martin forderte in seinem ehrlichen und humorvollen Festvortrag mit dem Titel „Wie prägt Herkunft Erinnerung und Aufarbeitung?“ die Aufarbeitungslandschaft und Interessensvertretungen mit einem Augenzwinkern zur geschlossenen Einheit auf.
Zum Abschluss der Veranstaltung wurde eine Resolution von allen Aufarbeitungsbeauftragten, der SED-Opferbeauftragten und dem Verband der Geschichtslehrer verabschiedet und an die Vizepräsidentin der Kultusministerkonferenz, der Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), übergeben. Eine zentrale Forderung unter anderem an die Kultusminister der Länder war, eine stärkere Vermittlung und Auseinandersetzung mit der Geschichte der SBZ und DDR an Schulen und Universitäten . Aufgrund der zunehmenden Verharmlosung der SED-Diktatur, brauche es zur sachgerechten Vermittlung von Diktaturgeschichte ansprechende Formate sowie zeitliche und personelle Kapazitäten. Konkret forderten die Unterstützer der Resolution eine Überarbeitung von Rahmenlehrplänen, entsprechende Schulprojekttage, den Ausbau der Arbeit von Gedenkstätten, mehr Angebote in der Lehrerausbildung und die Einrichtung von Lehrstühlen zur Zeitgeschichte mit dem Schwerpunkt DDR-Vergangenheit an den Hochschulen.
Der Kongress endete mit einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des Internierungslagers in Ketschendorf, bei der Dr. Maria Nooke und Christoph Fichtmüller, Vorsitzender der Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf e.V., die Grußworte hielten. Schülerinnen und Schüler des Oberstufenzentrums Oder-Spree, Fürstenwalde, verlasen Briefe von Angehörigen Internierter. Die Gedenkrede hielt Prof. Dr. Ulrike Liedtke, Präsidentin des Landtages Brandenburg. Die Gedenkfeier schloss mit einer Kranzniederlegung ab.
Das Speziallager Ketschendorf (Fürstenwalde/Spree) entstand auf dem Gelände einer ehemaligen Arbeitersiedlung der Deutschen Kabelwerke und wurde vom sowjetischen Geheimdienst errichtet. Es trug die Bezeichnung „Speziallager Nr. 5“ und war eines von insgesamt zehn Lagern der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) innerhalb der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Von 1945 bis zur Auflösung 1947 wurden dort mehr als 10.000 Menschen im Alter von 12-72 Jahren interniert, von denen 4.722 unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen ums Leben kamen. Seit 1990 wird die Geschichte des Ortes von der „Initiativgruppe Internierungslager Ketschendorf e.V.“ aufgearbeitet, die zu Ehren der Opfer einen Gedenkhain in Fürstenwalde Süd anlegte.