09.10.2024 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas anlässlich der Übergabe des Manifests der Initiative #ParitätJetzt

9. Oktober 2024, Großer Protokollsaal des Reichstagsgebäudes

[Es gilt das gesprochene Wort]

Sehr geehrte Frau Süssmuth,
sehr geehrter Herr Thierse,
sehr geehrte Frau Bergmann-Pohl,
sehr geehrte Frau Knobloch,
sehr geehrte Frau Allmendinger, 
sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen im Bundestag.

Echte Gleichstellung ist mir besonders wichtig. Das dürfte allen hier im Raum bekannt sein.

Umso mehr freue ich mich über Ihre Initiative und das Manifest #ParitätJetzt. 
50 Prozent Frauen, 50 Prozent Männer in deutschen Parlamenten – das ist Ihr erklärtes Ziel.

Und das ist auch mein Ziel.

Der Anteil weiblicher Abgeordneter im Deutschen Bundestag stagniert seit Jahren bei rund einem Drittel. 
Weit entfernt von der Parität.

Wir sind uns sicher einig: 
Da geht noch was!

Unser Parlament hat in diesem Jahr sein 75. Jubiläum gefeiert. 
Und genauso unser Grundgesetz, das die Gleichberechtigung von Männern und Frauen garantiert.
Der berühmte Artikel 3 Absatz 2.

Blickt man auf die Entwicklung der Gleichberechtigung in Deutschland, stellt man fest: 
Fortschritte entstanden meist aus dem Zusammenspiel von Zivilgesellschaft, Bundesverfassungsgericht, Bundesregierung und natürlich Bundestag.

Den Anstoß für jeden dieser Fortschritte gaben in der Regel mutige Wegbereiterinnen. 
Frauen wie Elisabeth Selbert und Helene Weber, Herta Ilk und Marie-Elisabeth Lüders, Erna Scheffler, Katharina Focke und Clara Döhring.

Oder Sie, liebe Frau Bergmann-Pohl, und Sie, liebe Frau Süssmuth.

Sie hatten bereits 2022 eine Streitschrift mit dem Titel „Parität jetzt!“ publiziert.  Und in einem Interview dazu gesagt: „Das musste jetzt einfach sein“.

Alle mutigen Wegbereiterinnen mussten sich gegen teils enorme Widerstände durchsetzen.

Dank dieser Frauen sind wir heute da, wo wir sind.

Und ich heute hier: 
als Bundestagspräsidentin.  

Sehr geehrte Damen und Herren, 
wir brauchen die Parität in den Parlamenten, um zu einer wirklich gleichberechtigen Politik zu kommen.

Das Buch „Der nächste Redner ist eine Dame“ zeigt schon für den 1. Bundestag deutlich: 
Dank mehr starker Frauen im Parlament, verändert sich die Politik. 
Zum Besseren.

Die Sicht von Frauen, ihre Lebenserfahrungen, ihre Argumente und ihre Lösungsvorschläge müssen mit dem gleichen Gewicht gesehen, gehört und berücksichtigt werden wie die von Männern.

Es geht um eine kritische Masse weiblicher Perspektive im Parlament.

Ich möchte nur einige der Themen nennen, die heute dringend mehr weibliche Perspektive brauchen: 
•    Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
•    Der Kampf gegen Sexismus, 
online wie im echten Leben
•    Die Schaffung von mehr Kita-Plätzen
•    Eine faire Aufteilung der Care-Arbeit
•    Forschung etwa zu Frauengesundheit 
•    Oder die Bekämpfung von Altersarmut

Themen aus allen Lebensbereichen und allen Lebensphasen, die auch deutlich machen:  

Wir brauchen die Parität, damit die Politik die Situation der Frauen stärker sieht.

Wir brauchen die Parität aber auch, um mehr Gleichberechtigung in allen gesellschaftlichen Bereichen zu erzielen.  

Sehr geehrte Damen und Herren, 
bis heute sind Zweifel an der Parität verbreitet.

Skeptiker wenden ein, dass man Repräsentation nicht mit Repräsentativität verwechseln darf.

Wenn man bei einer Gruppe auf Repräsentativität poche, stelle sich schnell die Frage: 
Für wen gilt das noch und beim wem hört es auf?

Das sind nachvollziehbare Fragen.

Sollten sich Frauen deshalb mit einem Drittel der Sitze im Deutschen Bundestag zufriedengeben? 
Nein!

Erreichen wir die Parität, wird das nicht nur für Frauen viel verändern.

Auch kluge Männer wissen: Wo Frauen mit am Tisch sitzen, geht es allen besser.

Wenn Frauen an Friedensabkommen beteiligt sind, hält der Frieden eher und länger.

Wo Frauen in Verantwortung sind, werden soziale Probleme angegangen: Es gibt weniger Armut und Hunger.

Außerdem hätte echte Gleichstellung enorme wirtschaftliche Vorteile – wie das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen oder das Weltwirtschaftsforum analysiert haben.

Das Weltwirtschaftsforum berichtet von Schätzungen, dass das Brutto-Inlands-Produkt von Deutschland um 310 Milliarden US-Dollar steigen könnte.

Sehr geehrte Damen und Herren, 
wir sollten uns immer bewusst machen: Wir führen keinen einsamen Kampf für Gleichberechtigung und Gleichstellung.  

Weltweit setzen sich Frauen für mehr Anerkennung und mehr Rechte ein.

Häufig geht es dabei um Rechte, die für uns in Deutschland zum Glück schon selbstverständlich sind. 
Einige Länder sind uns aber voraus – wie etwa Island, Finnland und Norwegen.  

Das Weltwirtschaftsforum misst jährlich, wie sich die Gleichberechtigung weltweit entwickelt.

Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird die globale Gleichstellung mittlerweile erst im Jahr 2158 erreicht.

Also in 134 Jahren.  
Kein Mädchen, das heute auf die Welt kommt, wird das erleben.

Wir müssen diesen Prozess beschleunigen.

Ich danke Ihnen sehr, dass Sie der Diskussion mit der Initiative #ParitätJetzt neue Dynamik verleihen!

Im Frühjahr habe ich bei einer Konferenz in Paris mit Amtskolleginnen aus aller Welt wertvolle Erfahrungen ausgetauscht.

In Mexiko etwa ist die Parität seit zehn Jahren in der Verfassung verankert.

Die damalige Parlamentspräsidentin Guerra Castillo hat in Paris geschildert, welche Veränderungen das bewirkt hat.  

So gibt es in Mexiko mittlerweile ein Gesetz, das politische Gewalt gegen Frauen ahndet und bestraft. 
Täter können zum Beispiel von der Aufstellung als Wahlkandidaten ausgeschlossen werden.

Die Präsidentin berichtete auch von Änderungen im Strafrecht zugunsten der Frauen, insbesondere im Hinblick auf geschlechtsspezifische Gewalt.

Diese Beispiele zeigen, wie durch weibliche Impulse verschiedene Problemfelder angegangen werden.

Wie neue Ideen und Lösungen zur Verbesserung der Situation von Frauen in die politische Debatte einfließen.

Auf diesen Reichtum können wir nicht verzichten. 
Auch nicht hier in Deutschland.

Es ist schon Vieles gewonnen, aber längst nicht alles erreicht.

Sehr geehrte Damen und Herren, 
die Geschichte der Gleichberechtigung in Deutschland hat gezeigt:

Es braucht immer mutige Wegbereiterinnen.
Es braucht Zivilgesellschaft und Politik.

Und es braucht den Schulterschluss von Frauen und Männern über Parteigrenzen hinweg.

All das sehe ich, wenn ich in diese Runde blicke. 
Umso neugieriger bin ich auf das, was Sie erarbeitet haben und uns nun vorstellen werden!

Vielen Dank!