Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Eröffnung der Ausstellung „Reinhard Heydrich: Karriere und Gewalt“ in der Topographie des Terrors
[Es gilt das gesprochene Wort]
Sehr geehrte Frau Dr. Riedle,
sehr geehrter Herr Chialo,
sehr geehrter Herr Kubera,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem tschechischen Senat,
sehr geehrte Damen und Herren!
Wir befinden uns hier an dem Ort der Täter.
Am Sitz des Reichssicherheitshauptamts, das hier vor fast genau 85 Jahren gegründet wurde.
In der ehemaligen Terrorzentrale der Nationalsozialisten.
Wir eröffnen eine Ausstellung über den Mann, der sie leitete.
Der von hier aus den Völkermord an den Jüdinnen und Juden plante.
Der die berüchtigte Wannsee-Konferenz einberief.
Und der die SS-Kommandos befehligte, die Millionen Zivilisten in ganz Europa ermordeten.
Warum erinnern wir an diesen Mann?
Reinhard Heydrich galt – ich zitiere – als „Henker des Dritten Reichs“.
Als „Himmlers Hirn“.
Oder sogar als „junger, böser Todesgott“.
Aus diesen Beschreibungen spricht Entsetzen und Abscheu.
Der Blick auf die Täter darf jedoch nicht den Blick auf diejenigen verstellen, die sie unterstützt haben.
Oder auch nur gewähren ließen.
Die Philosophin Bettina Stangneth warnte einmal, die Täter könnten – ich zitiere: „zum Symbol werden (…) für unseren Wunsch, dort wegzusehen, wo man hinsehen muss“. Zitatende
Diese Ausstellung sieht nicht weg, sondern hin – an der richtigen Stelle.
Sie hinterfragt die Bilder, die von Reinhard Heydrich verbreitet wurden:
Durch Heydrich selbst.
Durch die Nationalsozialisten, die ihn zum Märtyrer machten.
Durch Heydrichs Mitarbeiter, die Entlastung suchten.
Durch Rechtsextreme und Neonazis, die ihn bis heute verehren.
Diese Ausstellung zeigt stattdessen einen Heydrich, der komplexer ist als der Mythos.
Wir lernen einen eiskalten, ehrgeizigen Karrieristen kennen.
Aber auch einen Menschen, der um sein Selbstbild gerungen hat.
Der sich beweisen wollte.
Vor allem zeigt die Ausstellung einen Mann, der aus der Mitte der Gesellschaft kam.
Wie so viele andere Täter auch.
Das ist die Antwort, warum wir uns mit den Tätern beschäftigen:
Um zu verstehen, dass sie keine „bösen Todesgötter“ waren.
Sondern Familienväter, Karrieristen, Menschen ihrer Zeit.
Die uns in mancher Hinsicht erschreckend ähnlich sein konnten.
Eine zutiefst beunruhigende Erkenntnis.
Und das Leid der Opfer?
Diese Ausstellung beleuchtet auch ihr Schicksal.
Etwa das Schicksal von Erich Klausener.
Er war ein führender Beamter im preußischen Innenministerium, der sich 1933 gegen die Nationalsozialisten wehrte.
Erich Klausener wurde auf direkten Befehl Heydrichs in seinem Dienstzimmer erschossen.
Wir lernen das Schicksal der jüdischen Familie Rosenbaum kennen.
1942 wurden die Rosenbaums erst ins Ghetto Theresienstadt und später ins Vernichtungslager Sobibor deportiert.
Und wir erfahren von Alois Eliáš, dem tschechischen Ministerpräsidenten während der deutschen Besatzung.
Er hatte Kontakte zum Widerstand.
Heydrich ließ ihn zum Tode verurteilen, als er 1941 Hitlers Stellvertreter in Prag wurde.
Einen eigenen Schwerpunkt widmet die Ausstellung Heydrichs Rolle als sogenannter „Reichprotektor in Böhmen und Mähren“.
Seine Politik war brutal und menschenverachtend.
Die Bevölkerung wurde ausgebeutet, zur Arbeit gezwungen und zu Tausenden deportiert.
Alles Tschechische sollte verboten, unterdrückt oder sogar vernichtet werden.
Im Mai 1942 gelang dem tschechischen Widerstand ein lang geplantes Attentat auf Heydrich.
Wenige Tage später starb er.
Die Vergeltungsaktionen der Nationalsozialisten waren grausam.
Die Dörfer Lidice und Ležáky wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Die Häuser niedergebrannt, die Ruinen gesprengt.
Die Männer wurden erschossen, die Frauen und Kinder in Konzentrationslager deportiert – die meisten von ihnen ermordet.
Dieser Massenmord wurde nicht geheim gehalten, sondern im Radio verkündet. Um Angst und Schrecken zu verbreiten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem tschechischen Senat:
Mir ist es wichtig, dass die Brutalität und Menschenverachtung der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft in der deutschen Öffentlichkeit bekannter werden.
Darum ist es richtig, dass diese Ausstellung im Dokumentationszentrum Topographie des Terrors gezeigt wird.
Ich bin sicher: Sie wird das Bewusstsein für die deutschen Verbrechen in Tschechien schärfen.
Sehr geehrte Damen und Herren,
Reinhard Heydrich wusste, dass er ein Massenmörder war.
Er wusste, dass er gegen fundamentale moralische Grundsätze verstieß.
Das Erschütternde ist: Er fand Rechtfertigungen dafür.
Der Heydrich-Biograf Robert Gerwarth schreibt, Heydrich hätte sich – ich zitiere – „auf ein politisches Milieu eingelassen, dessen Angehörige in der Vorstellung lebten, sich in einem Kampf auf Leben und Tod zu befinden. Gegen die Feinde in diesem Kampf war auch die unvorstellbarste Grausamkeit gerechtfertigt.“
Feindbilder!
Wie ein roter Faden ziehen sie sich durch Heydrichs Leben.
Auch das macht diese Ausstellung sehr deutlich.
Für mich ist das ein weiterer Grund, warum die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und den Tätern so wichtig bleibt.
Genauso wie die Beschäftigung mit dem Leid der Opfer.
Wir müssen denen entschlossen entgegentreten, die heute mit Feindbildern Politik machen.
Vor Kurzem hat mich eine Nachricht besonders schockiert: Jens-Christian Wagner, der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, hat Morddrohungen erhalten.
Nachdem er davor gewarnt hatte, unsere Erinnerungskultur offen in Frage zu stellen.
Andere Gedenkstätten und Erinnerungsorte berichten von Vandalismus, von Übergriffen, von Provokationen durch Besucherinnen und Besucher.
Anfang des Monats wurde das NS-Dokumentationszentrum München Ziel eines mutmaßlichen Terroranschlags. Vieles deutet auf einen islamistischen Hintergrund hin.
Aus unterschiedlichen Richtungen wird unsere Erinnerungskultur attackiert.
Ich sehe darin eine große Gefahr für unsere freie Gesellschaft.
Die Aufforderungen zur Relativierung oder gar zum Vergessen des Terrors der Nationalsozialisten ist eine Verhöhnung der Menschenwürde.
Sehr geehrte Damen und Herren,
gerade auch als Bundestagspräsidentin sage ich klar und deutlich:
An Gedenkstätten und Erinnerungsorten wird Demokratie gelebt.
Indem wir uns mit der Vergangenheit beschäftigen und daraus für die Gegenwart und die Zukunft lernen.
Wir müssen diese Orte der Bildung und Aufklärung verteidigen.
Genauso entschlossen und wehrhaft wie unsere Demokratie selbst.
Viele Erinnerungsorte gibt es dank des Engagements der Zivilgesellschaft.
Die Topografie des Terrors ist dafür ein Musterbeispiel.
Nach dem 2. Weltkrieg wurde dieser Ort der Täter lange Zeit aus dem Bewusstsein verdrängt.
Erst engagierte Bürgerinnen und Bürger haben ihn wiederentdeckt.
Durch ihre Initiative ist er heute ein Lern- und Erinnerungsort, der Millionen Besucherinnen und Besucher anzieht.
Die Topographie des Terrors zeigt auch, wie unsere Erinnerungskultur lebendig bleibt und sich weiterentwickelt.
Durch Ausstellungen, die aufklären.
Die den Finger in die Wunde legen.
Und unbequeme Fragen stellen.
Wie die Frage nach den Tätern.
Sehr geehrte Frau Dr. Riedle,
ich danke Ihnen und allen Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihren großartigen Einsatz.
Für unsere Erinnerungskultur.
Und die Demokratie.
Danke.