Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen
[Es gilt das gesprochene Wort]
Sehr geehrter Kollege Kuhle,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren!
Der Deutsche Bundestag wird in diesem Jahr 75 Jahre alt.
Die „Würde des Parlaments“ ist noch älter.
Der Begriff kam bereits in der Geschäftsordnung des Preußischen Abgeordnetenhauses vor.
Bis heute wird immer wieder die Grundsatzfrage gestellt:
Kann ein Parlament eine Würde haben?
Ich sage: Ja – der Deutsche Bundestag hat eine Würde.
Unsere Geschäftsordnung verpflichtet mich in § 7 als Präsidentin dazu, - ich zitiere - „die Würde und die Rechte des Bundestages“ zu wahren.
Die Würde des Parlaments zu schützen – das heißt:
Auch die Demokratie zu verteidigen.
Das Ansehen des Bundestages ist zentral für das Vertrauen der Menschen in staatliche Institutionen und die Legitimation unserer Demokratie.
Ich bekomme unzählige Zuschriften,
in denen sich Bürgerinnen und Bürger über die Verletzung der Parlamentswürde beklagen.
Dabei reichen die Aufhänger von der Debattenkultur, über die Handynutzung bis hin zur Kleidung der Abgeordneten.
Drei aktuelle Beispiele:
Erstens: Eine Bürgerin kritisiert das Benehmen der Abgeordneten – vor allem, dass sich die Abgeordneten nicht zuhören.
Sie schreibt wörtlich:
„Ich erlebe das als eine ungeheuerliche Missachtung meines Rechts als Wählerin“. Zitatende.
Ein Bürger fügt hinzu. Ich zitiere:
„Welcher Eindruck wird denn da gegenüber dem Wähler vermittelt?
Ich schäme mich jedenfalls für solches Gebaren.“
Eine weitere Bürgerin schreibt sogar: „Unsachliche, aggressive, ausgrenzende Redebeiträge und herablassende, abwertende Gesten scheinen mittlerweile zum normalen Umgang zu gehören. Meine Mutter (geb. 1927) fühlt sich inzwischen an längst vergangene Zeiten erinnert.“ Zitatende.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Menschen nehmen sehr genau wahr, wie im Deutschen Bundestag debattiert wird.
Wir können keinen Respekt vor dem Parlament erwarten, wenn die Abgeordneten untereinander den nötigen Respekt vermissen lassen.
Deshalb begrüße ich es, dass Sie heute die „Würde des Parlaments“ auf die Tagesordnung der Deutschen Vereinigung für Parlamentsfragen gesetzt haben.
Im Plenum treffen wir nach einem umfangreichen parlamentarischen Verfahren verbindliche Entscheidungen per Abstimmung.
Genauso wichtig ist, dass wir diese Entscheidungen öffentlich im „Forum der Nation“ erläutern und debattieren.
Und zwar in einer Form und mit einer Sprache, bei der die Menschen die Gründe für – oder gegen – eine Entscheidung nachvollziehen können.
Im Deutschen Bundestag darf gestritten werden.
Auch in zugespitzter Form.
Wenn es in der Plenardebatte keine Kontroverse gäbe, wäre es keine Debatte.
Was mich besorgt, sind die zunehmenden Grenzüberschreitungen.
Zu oft greift in der Plenardebatte eine feindselige Sprache um sich.
Kollegen – und besonders häufig Kolleginnen! – werden verlacht, beschimpft, beleidigt.
Die Argumentation auf der Sachebene wird zunehmend verdrängt von persönlichen Attacken und ideologischen Grabenkämpfen.
Der Deutsche Bundestag hat in den 75 Jahren seiner Geschichte immer wieder raue Debatten erlebt.
Aber wenn Kolleginnen und Kollegen die Legitimation und Qualifikation abgesprochen wird, wenn ein angeblicher Volkswille gegen die Volksvertretung in Stellung gebracht wird, dann ist die Würde des Parlaments verletzt.
Dann müssen wir einschreiten.
Sehr geehrte Damen und Herren,
seit 2017 ist die Anzahl der Ordnungsrufe sprunghaft angestiegen.
Und dieser Trend setzt sich fort: Zur Halbzeit der aktuellen Wahlperiode hat es bereits mehr Ordnungsrufe gegeben als in der gesamten Wahlperiode zuvor.
Schlimmer noch: Ordnungsrufe werden als Trophäen inszeniert.
Eine solche demonstrative Verachtung des Parlaments ist nicht hinnehmbar.
Deshalb müssen wir reagieren.
Aus meiner Sicht ist es höchste Zeit, die Geschäftsordnung nachzuschärfen. Wir brauchen wirksamere Sanktionen.
Ich plädiere schon länger für das Prinzip „gelbe Karte, rote Karte“:
Wer innerhalb eines kürzeren Zeitraums bereits zwei Ordnungsrufe erhalten hat, sollte künftig beim dritten Verstoß automatisch ein Ordnungsgeld zahlen.
Gleichzeitig sollte das Ordnungsgeld auf mindestens 2000 Euro erhöht werden.
Die demonstrative Verachtung anderer Abgeordneter in der Plenardebatte spiegelt das Freund-Feind-Denken wider, das auch viele gesellschaftliche Debatten vergiftet.
Das hat viel mit der Logik der sozialen Medien zu tun.
Die Algorithmen befördern extreme Positionen. Bis hin zu Hass und Hetze.
Es scheint nur noch schwarz und weiß zu geben.
Umso wichtiger ist es, dass der Deutsche Bundestag sich diesem Trend entgegenstellt.
Und eine respektvolle Debattenkultur vorlebt.
Im Parlament selbst stellt die Nutzung sozialer Medien - vor und nach der Plenardebatte - ebenfalls eine große Herausforderung dar.
Welche Regeln sind hier sinnvoll?
Was dürfen wir den Abgeordneten überhaupt vorschreiben?
Wo sind hier verfassungsrechtliche Grenzen?
Diese Fragen sind kompliziert.
Umso mehr freue ich mich auf Ihre Ansichten dazu.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Würde des Hauses wird ebenso verletzt, wenn Parlamente als Kulisse für verfassungsfeindliche Aktivitäten, Provokationen oder PR-Aktionen missbraucht werden.
Ich sage hier sehr deutlich: Ich bin nicht gewillt, einen solchen Missbrauch hinzunehmen.
Wir haben in dieser Wahlperiode bereits die Hausordnung angepasst und die Sicherheitskontrollen an den Eingängen ausgeweitet.
Aber die getroffenen Maßnahmen reichen noch nicht aus.
Nach Medienberichten beschäftigen Bundestagsabgeordnete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft werden.
Zugleich sehen wir uns mit Gefahren und Warnungen vor Spionage und einer Einflussnahme durch ausländische Nachrichtendienste konfrontiert.
Ich halte es deshalb für notwendig, die Risiken für die Arbeits- und Funktionsfähigkeit des Parlaments neu zu bewerten und Zutrittsregeln noch einmal zu verschärfen.
Diese Bewertung muss den Zugang aller Personen zu unseren IT-Systemen miteinschließen.
Schon jetzt werden Bundestagsausweise nur nach einer vorherigen Zuverlässigkeitsüberprüfung ausgegeben.
Dafür nutzt die Bundestagspolizei die polizeilichen Datenbanken, in denen polizeiliche Erkenntnisse und Informationen zu Ermittlungs- und Strafverfahren aufgeführt werden.
Ich wünsche mir, dass wir für unsere eigene Risikoeinschätzung im Einzelfall auch auf Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zugreifen dürfen.
Ich betone: Im Einzelfall.
Also nur, wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dass eine verfassungsfeindliche, extremistische Einstellung auch Auswirkungen auf die Sicherheit und die Integrität des Deutschen Bundestages haben kann.
Ich möchte keine Regelabfrage und keinen Gesinnungs-TÜV.
Für eine solche anlassbezogene Abfrage beim Verfassungsschutz brauchen wir eine eigenständige Rechtsgrundlage.
Sie ist wichtig, denn der Schutz von Abgeordneten und Beschäftigten hat für mich oberste Priorität.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ein weiterer wichtiger Baustein für mehr Sicherheit im Parlament ist das Bundestagspolizeigesetz.
Dieses Bundestagspolizeigesetz dient der Erhöhung der Rechtssicherheit und der Handlungssicherheit der Polizeibeamtinnen und -beamten beim Deutschen Bundestag.
Und schafft zugleich die notwendigen Voraussetzungen für eine weitere Verbesserung der Zusammenarbeit mit den anderen Polizeibehörden des Bundes und der Länder.
Aktuell liegt mein Entwurf zur Beratung im Innenausschuss.
Ich hoffe, dass das Gesetzgebungsverfahren mit breiter parlamentarischer Unterstützung in Kürze beginnen kann.
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor einigen Tagen haben wir 75 Jahre Grundgesetz gefeiert.
Nie wieder – das ist der Geist des Grundgesetzes.
Unsere Demokratie muss sich wehrhaft erweisen.
Dazu gehört auch, die Würde und die Integrität des Parlaments zu verteidigen.
Ich bin gespannt auf den heutigen Abend.
Vielen Dank.