17.01.2024 | Parlament

Worte von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas vor Eintritt in die Tagesordnung im Gedenken an Wolfgang Schäuble

[Stenografischer Dienst]

Präsidentin Bärbel Bas: 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir trauern um Wolfgang Schäuble. Unser früherer Präsident ist am 26. Dezember 2023 gestorben. 

Wolfgang Schäuble hat sein Leben in den Dienst der Demokratie gestellt. 51 Jahre lang war Wolfgang Schäuble Mitglied des Deutschen Bundestags - länger als jede und jeder andere in der Geschichte des deutschen Parlamentarismus. Fast zwei Jahrzehnte trug er Regierungsverantwortung. Er war Chef des Bundeskanzleramts, Bundesinnen- und Bundesfinanzminister. 

Immer wieder hat er Weitsicht bewiesen und ist vorangegangen. Sein Name ist untrennbar mit einer der glücklichsten Stunden unseres Landes verbunden: die Überwindung der deutschen Teilung. Wolfgang Schäuble ist zum Architekten der deutschen Einheit geworden. 

Es gibt nicht viele, die die Bonner und die Berliner Republik geprägt haben. Wolfgang Schäuble gehört dazu. Nicht wenige Menschen sind sich sicher, dass wir ohne ihn heute nicht hier im Reichstagsgebäude tagen würden. In der Bonn-Berlin-Debatte hielt er ein leidenschaftliches Plädoyer für Deutschlands historische Hauptstadt. An einer entscheidenden Stelle seiner Rede appellierte er - ich zitiere -: „... wir sind Abgeordnete für das gesamte deutsche Volk“. Diesen Satz hat er einmal als sein Mantra bezeichnet. Es war ein Schlüsselsatz seines parlamentarischen Wirkens. 

Er kannte den Bundestag aus nahezu allen Perspektiven: Er war einfacher Abgeordneter, Parlamentarischer Geschäftsführer, Fraktionsvorsitzender. Als der Deutsche Bundestag ihn 2017 zum Präsidenten wählte, war das der Höhepunkt eines Lebens als Ausnahmeparlamentarier. In seiner Antrittsrede kam er auf sein Mantra zurück: Die Abgeordneten sind Vertreterinnen und Vertreter des ganzen Volkes. Und er fügte hinzu - ich zitiere ‑: „Aber niemand vertritt alleine das Volk.“ 

Er widersetzte sich allen Versuchen, das Volk gegen die Volksvertretung auszuspielen. Er schützte die Würde unseres Hauses in einer Zeit zunehmender gesellschaftlicher - und parlamentarischer - Polarisierung. Die Demokratie lebt vom Streit - solange er fair und nach klaren Regeln ausgetragen wird. Das war ihm wichtig, gerade in Krisenzeiten wie der Pandemie. 

Die Beziehungen zu unserem Nachbarn Frankreich waren Wolfgang Schäuble eine besondere Herzensangelegenheit. Seinem Einsatz verdanken wir es, dass der Deutsche Bundestag und die französische Nationalversammlung durch eine Parlamentarische Versammlung verbunden sind. 

Bis zum Schluss hatte Wolfgang Schäubles Wort großes Gewicht - und das über alle Fraktionsgrenzen hinweg. Am 15. Dezember 2022 hielt er seine letzte Rede hier im Plenarsaal. Er blickte auf 50 Jahre als Abgeordneter zurück und ordnete die Krisen der Gegenwart ein. Im Kern rief er uns zu: Habt nur Mut, die Zukunft zu gestalten! 

In einem seiner letzten Interviews sagte Wolfgang Schäuble: Abgeordneter zu sein - das ist „ein großes Privileg“. - Ich spreche sicher für das ganze Haus, wenn ich sage: Es war ein Privileg, Wolfgang Schäuble als Kollegen erlebt zu haben. Er wird uns fehlen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, am 22. Januar findet hier im Deutschen Bundestag ein Trauerstaatsakt statt. An diesem Staatsakt nehmen die Verfassungsorgane sowie Weggefährten, Freundinnen und Freunde sowie die Familie von Wolfgang Schäuble teil. Ich lade Sie auch hier und heute sehr herzlich dazu ein. 

Für uns alle war Wolfgang Schäuble gefühlt schon immer da. Für viele war er ein Vorbild, das immer bleibt. Für Sie, sehr geehrter Herr Merz, war er ein Freund. Ich bin sehr dankbar, dass Sie beim Staatsakt eine Rede halten werden. 

Der zweite Trauerredner wird Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron sein. Auch dafür bin ich sehr dankbar. Diese besondere Geste würdigt die Lebensleistung eines großen Europäers und unterstreicht die Verdienste von Wolfgang Schäuble für die deutsch-französische Freundschaft.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, sich im Gedenken an einen großen Demokraten und Staatsmann für eine Gedenkminute von Ihren Plätzen zu erheben.

(Die Anwesenden erheben sich)

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