10.12.2023 | Parlament

Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zur Solidaritätskundgebung „Nie wieder ist jetzt!“ am Brandenburger Tor

[Es gilt das gesprochene Wort]

Exzellenz,
sehr geehrter Herr Bundesminister,  
sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
Herr Friedman,
Herr Kaiser,
Herr Friedrich,
Herr Grönemeyer,
sehr geehrter Herr Schwarzer,
meine Damen und Herren!

Viele Jüdinnen und Juden fragen sich in diesen Tagen: „Wo sind die, die aufstehen? Wo ist die Solidarität der Gesellschaft?“

Wir alle sagen heute: Hier sind wir!

Hier ist der Sport, 
hier ist die Kultur, 
hier ist die Wirtschaft, 
hier ist die Politik, 
hier sind die Religionen unseres Landes. 
Hier ist die Mitte unserer Gesellschaft!

Wir stehen auf gegen Antisemitismus, gegen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit!

Danke, dass Sie alle hier sind!
Mein besonderer Dank gilt Nicolai Schwarzer. 
Er hatte die Idee zu dieser wichtigen Veranstaltung. 
Und er hat unermüdlich dafür gearbeitet, dass dieses Bündnis so breit ist und wir alle heute hier sind!

***

Ich war Montag in der Bonner Synagoge. 
Dort haben mir Frauen erzählt, dass sie ihren Anhänger mit Davidstern verstecken; während Männer ihre Kippa nicht mehr offen tragen. 
Aus Angst.

Seit dem 7. Oktober sind antisemitische Straftaten stark angestiegen: auf 29 Vorfälle pro Tag!

Hakenkreuze und Davidsterne werden an Synagogen, Gedenkstätten und sogar an Wohnhäuser geschmiert.

Und ich habe von einer Schülerin gehört: Sie war ganz allein in ihrer Klasse einer jüdischen Schule in Berlin, als die Hamas zum „Tag des Zorns“ aufrief. Ihre Mitschülerinnen und Mitschüler hatten sich nicht aus dem Haus getraut.

Jüdinnen und Juden haben Angst. 
Sie fühlen sich alleingelassen.

***

Nicht nur Hass erzeugt dieses Gefühl. Auch Schweigen und Gleichgültigkeit.

Daher ist mir wichtig, dass wir heute ein kraftvolles, sichtbares und lautes Zeichen setzen: „Nie wieder ist jetzt!“

***

„Nie wieder!“ – Das ist für mich keine abstrakte Formel für Gedenktage.

„Nie wieder!“ ist eine konkrete Verpflichtung. 
Ein konkreter Auftrag im Alltag!
An uns alle! 

***

Manches Mal hört man in Diskussionen über den 7. Oktober: 
„Ja, aber…“.

Ich bin überzeugt: Das „Aber“ relativiert Leid und Verantwortung. Es muss ein „und“ sein.  

Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, das Leid aller Menschen zu sehen.

Das Leid der Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und das Leid der Geiseln, die seit dem 7. Oktober in der Gewalt der Hamas sind.

Margot Friedländer sagt immer: 
„Es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut.“ 
Zitatende.

Daran sollten wir uns immer erinnern – nicht nur heute, am Tag der Menschenrechte.

Es ist klar: Jede und jeder hat das Recht, um die Toten zu trauern. Auch öffentlich.

Aber niemand darf Terror feiern und bejubeln.

***

Meine Damen und Herren,
Antisemitismus in Deutschland hat viele Fratzen.

Es gibt Antisemiten unter Rechten, unter Linken, unter Deutschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte. Unter Christen wie unter Muslimen.

Einige schüren jetzt auch Muslimfeindlichkeit unter dem Vorwand, Antisemitismus zu bekämpfen.

Auch das dürfen wir nicht zulassen!

Die meisten Muslime in unserem Land machen sich stark gegen Antisemitismus und für ein friedliches Miteinander.

Selbstverständlich und aus voller Überzeugung.

Wir dürfen Antisemitismus und Rassismus nicht dulden. 
In keiner Form. Egal, von wem er kommt.

***

Wir alle sollten uns im Alltag fragen: „Nie wieder!“ –

Was bedeutet das für mich persönlich?

Engagieren wir uns für ein friedliches Miteinander!

Suchen wir das Gespräch!
Vor allem mit jungen Menschen – an Schulen, in Betrieben, in Vereinen.

Stehen wir auf gegen Antisemitismus und Rassismus!

Wir lassen die Jüdinnen und Juden in unserem Land nicht allein.

Herzlichen Dank.