Begrüßung durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Vorstellung des Buches von Tuğba Tekkal „Tor zur Freiheit“
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Gäste,
vor allem – liebe Tuğba,
es ist mir eine große Freude,
Dein Buch vorzustellen.
Ein wunderbares Buch!
Über Herkunft und Zukunft.
Über Familie und Identität.
Über Leid und Freude.
Über Siege und Niederlagen.
Über mindestens zwei Leben
im Leben von Tuğba Tekkal –
eines für den Fußball,
eines für die Menschenrechte.
Um mit Deinen Worten zu sprechen:
Das Buch ist – ich zitiere:
„vor allem eine Geschichte der Kraft und Hoffnung“. Zitatende.
Von dieser Geschichte bin ich tief beeindruckt.
„Ich habe gelernt, meinen Schmerz in Kraft umzuwandeln“, schreibst Du rückblickend.
Inzwischen zeigst Du anderen Menschen,
wie viel Kraft in ihnen steckt.
Du hast einen langen Weg zurückgelegt,
bevor sich Dein Tor zur Freiheit geöffnet hat.
Freiheit ist ein Schlüsselbegriff in Deinem Leben.
Und im Leben Deiner Familie,
die aus der Osttürkei in den 70er Jahren
in die Bundesrepublik gekommen ist.
Mit der Erfahrung der Verfolgung im Gepäck.
Mit der Erfahrung einer Minderheit
in der Minderheit:
Als Jesiden unter den Kurden
und als Kurden unter den Türken.
Du selbst beschreibst Dich in Deinem Buch mit einem Satz:
„Ich bin ein Mädchen aus Hannover-Linden, eines von elf Geschwistern, eine deutsche Frau kurdisch-jesidischer Abstammung.“
Dieser Satz deutet schon an:
Deine Biographie ist nicht einfach.
Aber reich.
Dreh- und Angelpunkt ist die große Familie.
Sie ist ein Kraftort.
Sie gibt Wärme und Halt.
Sie lehrt, sich durchzusetzen.
In Deinem Buch kann man förmlich in die Welt der Tekkal-Familie eintauchen.
Mit ihren Alltag und ihren Sorgen.
Mit ihren Festen, Bräuchen und Konflikten.
Und man kann dabei viel lernen –
über Gemeinschaft und Zusammenhalt,
über unsere Gesellschaft
und unser Bildungssystem.
Über die bittere Geschichte der Jesidinnen und Jesiden in der Türkei und im Irak.
Über ihre Nöte in Deutschland.
Über ihre Zerrissenheit zwischen Integration und jesidischen Wertevorstellungen.
Das alles hat Dich geprägt.
Eine große Karriere war Dir - dem Mädchen
aus Linden - nicht in die Wiege gelegt.
Stattdessen hast Du schon als Kind erlebt,
wie sich Ausgrenzung anfühlt –
vor allem nach dem Umzug von der geliebten Limmerstraße ins Umland von Hannover.
Die Hauptschule war ein hartes Pflaster.
Ich kann das sehr gut nachvollziehen.
Liebe Tuğba,
besonders bewegt haben mich Deine Erinnerungen an die Schulzeit.
Als Du von anderen Kindern geschnitten
und beleidigt wurdest.
„Du gehörst nicht dazu“, war die Botschaft.
Und wie oft musstest Du Dir anhören:
„Aus dir wird sowieso nichts.“
Ich finde es unglaublich mutig,
dass Du Deine Geschichte so persönlich erzählst. Stellvertretend für so viele Kinder
und Jugendliche,
die Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren – wegen ihrer sozialen oder ethnischen Herkunft.
Deine Geschichte zeigt:
Wie stark ein Kind gefördert wird, hängt entscheidend von der Schule ab.
Und davon, wie hoch der Bildungsstatus und wie dick der Geldbeutel seiner Eltern sind.
Die sozialen Ungleichheiten dividieren die Kinder und die Gesellschaft auseinander.
Fakt ist: Junge Menschen aus Nicht-Akademiker-Familien brauchen oft Unterstützung von außen.
Ich habe auf meinem Bildungsweg das Glück gehabt, dass immer jemand meine Potenziale gesehen und mich ermuntert hat.
Aufstieg darf aber keine Ausnahme sein.
Keine Frage des Zufalls.
Oder des Glücks.
Aufstieg muss jedem Kind offenstehen.
Das ist eine Frage der sozialen Gerechtigkeit.
Und es ist eine Frage unserer Zukunftsfähigkeit.
Wir können uns in Zeiten von Fachkräftemangel gar nicht leisten,
die Potenziale vieler Kinder zu vergeuden.
Für Dich war Fußball die Chance, Selbstvertrauen zu gewinnen.
Du hast diese Chance genutzt.
Auch gegen den Widerstand der Eltern.
Es war ein harter Kampf.
Fußball war Jungs-Sport.
Nichts für Mädchen.
Dennoch: Mit sieben Jahren standest Du schon auf dem Bolzplatz.
Deine Brüder haben Dich mitgenommen.
Später wurde Fußball zur Geheimsache unter den Geschwistern.
Erst mit 16 kam der Befreiungsschlag –
keine Heimlichkeiten mehr.
Du konntest endlich im Verein spielen und hast es bis zur Bundesliga-Spielerin beim HSV und beim 1. FC Köln gebracht.
Ich finde es fantastisch.
Zumal ich früher selbst Fußball gespielt habe.
Auch mit großer Begeisterung,
aber mit weniger Erfolg.
Liebe Tuğba,
der Höhepunkt Deiner Fußballerkarriere wurde überschattet von schrecklichen Nachrichten
aus der Heimat Deiner Eltern.
Über den Genozid des sogenannten Islamischen Staates an den Jesiden im Irak.
Der Stellenwert des Fußballs hat sich danach verschoben.
Er war nicht mehr die Nummer eins.
Der Kampf für die Rechte der Jesiden wog schwerer.
Dafür hast Du mit Deinen Schwestern alles gegeben: Zeit, Geld, Arbeit bis zum Umfallen.
Die Tekkals sind zum „Schallverstärker“ geworden, wie Du es nennst.
Für Stimmen, die sonst nicht gehört würden.
Deine Schwester Düzen hat den Dokumentarfilm gedreht: „Havar – meine Reise in den Genozid“. Ein erschütterndes Zeugnis des grausamen Schicksals jesidischer Frauen und Mädchen.
Du hast auf die Fußballkarriere verzichtet.
Und Dich ganz der Menschenrechtsarbeit gewidmet – in der von Düzen Tekkal gegründeten Organisation HÁWAR.help.
„Menschlichkeit leben, Hoffnung geben – das ist unsere Lebensaufgabe geworden“,
schreibst Du in Deinem Buch.
Denn Freiheit muss für alle überall gelten.
Fußball spielt dabei auch eine wichtige Rolle.
Natürlich vor allem bei den SCORING GIRLS – ein einzigartiges Projekt.
In Deutschland und im Irak.
Ich unterstütze es aus Überzeugung.
„Meinen Weg bin ich niemals allein gegangen“, schreibst Du.
Deswegen begleitest Du Mädchen und Jugendliche, die Unterstützung brauchen.
Mit und ohne Zuwanderungsgeschichte.
Fußball ist ein Weg, sie zu stärken und die Familien zu öffnen.
Die Mädchen spielen sich frei,
fassen Zutrauen zu sich selbst, blühen auf.
Wie die kleine Tuğba damals.
SCORING GIRLS gibt ihnen Gemeinschaft,
die über den Sport hinaus Kraft und Selbstsicherheit schenkt.
Frei von Vorurteilen.
Es ist viel mehr als Fußball spielen:
Dazu gehört auch Hilfe bei Hausaufgaben,
bei der Suche nach Ausbildungsplätzen
oder Behördengängen.
Vor allem geht es darum, die Eltern mitzunehmen.
Denn sie haben oft Angst,
dass ihre Kinder entwurzelt werden.
Du nimmst Dir Zeit für Gespräche. Viel Zeit.
Und die Eltern vertrauen Dir, weil Du ihre Sprache sprichst und mit Deinem Lebensweg zeigst: Man kann Deutsche sein und die Herkunftsidentität bewahren.
Für die Mädchen bist Du so vieles:
sportliches Vorbild, große Schwester
und Sozialarbeiterin.
Die Projekte in Köln und Berlin haben bisher rund 150 Mädchen mit verschiedensten Lebensgeschichten aus mehr als 15 Ländern erreicht.
„Wenn man die Mädchen stärkt, hat die Gesellschaft schon gewonnen“, sagst Du.
Recht hast Du!
Dein großartiges Engagement ist ein Dienst an den Menschen und an der Demokratie.
Ich bin Dir dafür dankbar.
„Lasst euch nie den Glauben an euch selbst nehmen“ – schreibst Du zum Schluss Deiner beeindruckenden Biographie.
Und ich füge hinzu:
Dann bleibt auch euer Tor zur Freiheit offen.
Das wünsche ich uns allen!
Ich freue mich auf die Lesung.
Dem Buch wünsche ich großen Erfolg
und viele begeisterte Leserinnen und Leser!