Begrüßung durch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas bei der Diskussionsveranstaltung „Gedenken bedeutet Handeln!“
[Es gilt das gesprochene Wort]
Sehr geehrter Herr Metzner,
sehr geehrte Frau Engels,
sehr geehrter Herr Dworek,
sehr geehrter Herr Neumärker,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Gäste,
liebe Queers,
Schön, dass Sie hier sind.
Es ist ein wichtiges Zeichen, dass diese Podiumsdiskussion heute in den Räumen des Deutschen Bundestags stattfindet.
Als Auftakt zur morgigen Gedenkstunde.
Ich bin ganz beeindruckt vom großen Interesse: Wir hatten 280 Anmeldungen und waren schon letzte Woche ausgebucht. Das zeigt einmal mehr, wie wichtig das Thema ist.
Liebe Gäste,
morgen schließen wir eine Lücke in unserer Erinnerungskultur: Zum ersten Mal legt der Deutsche Bundestag in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus einen Schwerpunkt auf die verfolgten sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten.
Das war mir persönlich ein wichtiges Anliegen.
Und im Übrigen auch allen anderen Mitgliedern des Bundestagspräsidiums.
Lieber Herr Schirdewahn,
Sie werden morgen über Ihre Verfolgung in der Bundesrepublik und die Bedeutung des Gedenkens sprechen.
Danke, dass Sie diese Aufgabe übernehmen.
Heute Abend sind viele Menschen hier,
die die Petition zum Erinnern an sexuelle und geschlechtliche Minderheiten unterstützt haben. Auch bei Ihnen allen bedanke ich mich.
Lieber Herr von Dijk, liebe Frau Engels,
Ihnen danke ich besonders.
Der Austausch mit Ihnen bei der Vorbereitung der Gedenkstunde war für uns im Deutschen Bundestag besonders wichtig.
Und liebe Frau Kats,
Sie selbst gehören keiner sexuellen Minderheit an, engagieren sich aber sehr für die Erinnerung an deren Verfolgung.
Sie schildern uns morgen, warum Ihnen das vor dem Hintergrund Ihrer eigenen Geschichte wichtig ist.
Ich freue mich, dass Sie heute Abend hier sind.
Und ich freue mich, dass diese Gedenkstunde auch viel Unterstützung von anderen Opfergruppen bekommt.
Alle Opfer verbindet eine schmerzhafte Erfahrung:
Wo Hass um sich greift, ist niemand sicher.
Der Verfolgungswahn der Nationalsozialisten gegen sexuelle und geschlechtliche Minderheiten war beispiellos:
Zehntausende Menschen wurden verhaftet. Viele davon in Konzentrationslager deportiert.
Auch wer der direkten Verfolgung entkam, musste sich verstecken und verstellen.
Die Nationalsozialisten wollten unsichtbar machen, was nicht in ihre Ideologie passte.
Das Gedenken dient darum auch dazu, Schicksale sichtbar zu machen.
Die Propaganda der Nationalsozialisten zielte vor allem auf homosexuelle Männer. Aber auch andere Minderheiten gerieten ins Visier der Behörden:
Lesbische Frauen genauso wie Menschen, die die Geschlechtszuweisungen der Gesellschaft nicht leben konnten.
Menschen, die wir heute „queer“ nennen,
waren damals von Verfolgung bedroht.
Wir sind allen Opfern schuldig, das ihnen angetane Unrecht klar zu benennen.
Das ist lange nicht geschehen.
Oft ist von „vergessenen Opfern“ die Rede.
Die verfolgten sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten wurden aber nicht „vergessen“.
Ihre Verfolgung wurde lange bewusst verschwiegen.
Weil sie sich auch nach dem Ende des Nationalsozialismus fortsetzte.
In beiden Teilen Deutschlands.
Der Paragraph 175 stand weiter im Strafgesetzbuch – in der Form, wie ihn die Nationalsozialisten verschärft hatten.
Natürlich brachte die Demokratie entscheidende Veränderungen: Sie ermöglichte es, gegen Verfolgung und Diskriminierung zu mobilisieren und für die Rechte queerer Menschen offen zu kämpfen.
Viele engagierte Aktivistinnen und Aktivisten forderten in diesem Sinne auch die Erinnerung an die Verfolgung sexueller Minderheiten ein.
Gegen Widerstände in der Gesellschaft.
Aber langfristig mit Erfolg.
Seit 2008 gibt es im Berliner Tiergarten ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen.
Auf Beschluss des Deutschen Bundestags.
Gestern habe ich dort einen Kranz niedergelegt.
Ebenso an der Gedenktafel „Rosa Winkel“ am Nollendorfplatz.
Der Bundestag hat mittlerweile die Urteile, die auf der Grundlage des Paragraphen 175 ergangen sind, aufgehoben. Auch die Urteile nach 1945.
Ein beispielloser Vorgang in der Rechtsgeschichte der Bundesrepublik!
Es stimmt: Auch in einer Demokratie kann staatliches Unrecht geschehen.
Aber nur in der Demokratie kann Unrecht benannt – und korrigiert werden.
Unser Land ist freier geworden – für alle.
Queeres Leben ist heute so sichtbar wie nie zuvor. Auch im Bundestag.
Zum ersten Mal gibt es zwei Transpersonen unter den Abgeordneten.
Im vergangenen Jahr hat der Bundestag zum ersten Mal die Regenbogenflagge gehisst.
Auch das war ein wichtiges Zeichen.
Und mir ein persönliches Anliegen.
Doch bei allem Fortschritt:
In den letzten Jahren verzeichnet die Statistik einen Anstieg queer-feindlicher Straftaten.
Queere Menschen sind selbst auf ihren Veranstaltungen nicht sicher.
Das hat Maltes Tod beim Christopher Street Day in Münster besonders bestürzend gezeigt.
Unser Rechtsstaat muss mit aller Konsequenz gegen Hass und Gewalt vorgehen!
Gleichzeitig müssen wir in unserer Gesellschaft die Akzeptanz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt fördern.
Liebe Gäste,
Deutschland terrorisierte im Nationalsozialismus queere Menschen wie kein anderes Land.
Aber über viele Jahrzehnte hatte Deutschland die stärkste queere Bewegung Europas.
Dazu gehört Magnus Hirschfeld.
Er schrieb schon 1926, vor fast 100 Jahren:
„Über die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen entscheidet nicht sein Leib, sondern seine Seele; nicht die Meinung eines Sachverständigen, sondern das eigene Empfinden ist maßgebend.“
Hirschfeld gelang die Flucht vor den Nationalsozialisten, aber sein Institut wurde verwüstet. Seine Schriften verbrannt.
„Nie wieder!“
Diesen Auftrag machen wir uns am Gedenktag für die Opfer der Nationalsozialisten bewusst.
Morgen bekräftigen wir im Bundestag deutlich: Dieses „Nie wieder“ gilt selbstverständlich auch für die sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten.
Es ist gut, dass die Diskussion heute Abend führende Stimmen der Forschung mit Aktivistinnen und Aktivisten zusammenbringt.
Frau Professor Mangold, Herr Professor Lücke, herzlichen Dank für Ihre Vorträge.
Frau Dr. Ehrt, Frau Sultanova, auch Ihnen danke herzlich, dass Sie heute auf dem Podium sind.
Für die Organisation danke ich herzlich
• dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands.
• der Stiftung Denkmal und besonders Frau Borzym
• und der Bundesstiftung Magnus-Hirschfeld-Stiftung und besonders Herrn Dr. Baranowski.
Liebe Gäste,
Ihnen allen danke, dass Sie gekommen sind!
Viele Menschen haben auf die morgige Gedenkstunde gewartet.
Es gibt ein riesiges Interesse, im Plenarsaal dabei zu sein. Das freut mich sehr.
Nur leider sind unsere Plätze auf den Besuchertribünen begrenzt.
Damit morgen früh aber so viele Interessierte wie möglich die Gedenkstunde hier im Bundestag verfolgten können,
wird es in diesem Sitzungssaal eine Live-Übertragung geben.
Sie alle sind dazu herzlich eingeladen.
Liebe Gäste,
„Nie wieder“ heißt auch:
Wir müssen uns für die Rechte queerer Menschen einsetzen.
Bei uns in Deutschland.
Und in all den Ländern, wo queere Menschen oft auf brutale Weise verfolgt werden.
Gedenken bedeutet Handeln.
Genau wie es der Titel dieser Veranstaltung fordert.
Ich wünsche uns einen erkenntnisreichen Abend!