Rede von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas anlässlich des Feierlichen Gelöbnisses am 20. Juli 2022 in Berlin
[Es gilt das gesprochene Wort.]
Sehr geehrte Frau Ministerin,
liebe Abgeordnetenkolleginnen und Kollegen,
liebe Soldatinnen und Soldaten,
liebe Eltern, Angehörige und Freunde,
sehr geehrte Damen und Herren,
und vor allem: liebe Rekrutinnen und Rekruten!
Sie legen Ihr Gelöbnis in einer Zeit großer Unsicherheit ab.
Sie legen Ihr Gelöbnis ab, während in Europa ein grausamer Krieg herrscht.
Während in der Ukraine Soldatinnen und Soldaten ihr Land, ihre Freiheit und ihre Demokratie verteidigen.
Deutschland steht in diesen Zeiten solidarisch an der Seite der Ukraine.
Russland hat die Friedensordnung in Europa zerstört, die wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben.
Das neue Strategische Konzept der NATO zeigt: Es geht um grundsätzliche und weitreichende Veränderungen. Wir müssen Sicherheit in Europa neu denken und organisieren.
In Deutschland steht die Bundeswehr im Zentrum dieser Veränderungen.
Sie treten heute in eine Bundeswehr ein, die sich in den nächsten Jahrzehnten stark modernisieren wird. Das wird ein Kraftakt. Ein Kraftakt, der notwendig ist.
Die Erwartungen an Deutschland und die Bundeswehr sind hoch. Das höre ich auch immer bei meinen Gesprächen mit unseren internationalen Partnern.
Wir haben in Deutschland jahrelang auf Abrüstung gesetzt, um Frieden zu stärken. Wir dachten, die Zeit klassischer Angriffskriege gehöre in Europa der Vergangenheit an.
Wir haben die Aufgabe der Landes- und Bündnisverteidigung als theoretisch angesehen.
Deshalb haben wir bei der Ausstattung der Bundeswehr stark gespart. Und zur Wahrheit gehört auch: Wir haben uns nach den deutschen Verbrechen des Zweiten Weltkriegs mit allem Militärischen schwer getan.
Sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Bundeswehr muss jetzt wieder hervorragend ausgerüstet werden.
Sie muss in der Lage sein, unser Land zu verteidigen. Sie muss unsere freiheitliche Demokratie schützen und unseren NATO-Partnern im Falle eines Angriffs beistehen können.
Um diese Landes- und Bündnisverteidigung auch leisten zu können, müssen wir massiv in die Ausstattung der Bundeswehr investieren.
So wie es der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro beschlossen hat.
Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee.
Daher ist mir als Bundestagspräsidentin besonders wichtig zu betonen: Wir tragen nicht nur Verantwortung für unsere Bevölkerung und unsere Partnerstaaten. Wir tragen auch Verantwortung für Sie, unsere Soldatinnen und Soldaten sowie für Ihre Angehörigen.
Sie und Ihre Kameradinnen und Kameraden müssen sich darauf verlassen können, dass Sie die richtige Ausrüstung erhalten. Das bedeutet: die beste Ausstattung, eine gute Ausbildung und umfassende Unterstützung. Sie müssen alle Mittel erhalten, um ihre Aufgaben erfüllen zu können.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
ein Gelöbnis abzulegen, war immer ein großer Schritt.
Ihre feierliche Verpflichtung zur Verteidigung unseres Landes ist mehr als der Beginn eines Arbeitsvertrages. Sie treten an zu einem besonderen Dienst für unser Land, der vollen Einsatz und Loyalität erfordert.
In dieser Zeit bekommt das Gelöbnis eine noch größere Tragweite. Wenn Sie heute Ihre Gelöbnisformel sprechen, wissen Sie: In diesem Moment verteidigen in der Ukraine Soldatinnen und Soldaten ihre Heimat und setzen dafür ihr Leben ein.
Und Sie wissen, dass der Verteidigungsfall auch für Deutschland tatsächlich eintreten kann.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
ich bin sicher, Sie haben Ihre Entscheidung nicht leichtfertig getroffen. Sondern wohlüberlegt.
Ich bin sicher, Sie haben diesen großen Schritt mit ihren Familien und Freunden diskutiert.
Dass Sie heute hier stehen, zeugt von Ihrem überragenden Verantwortungsbewusstsein.
Von Stärke und Mut.
Sie stellen sich in den Dienst unseres Landes.
Sie sind bereit, unsere freiheitliche Gesellschaft zu verteidigen.
Dafür danke ich Ihnen von Herzen – auch im Namen aller Abgeordneten des Deutschen Bundestages.
Die Gelöbnisse der Bundeswehr finden regelmäßig auch vor dem Reichstagsgebäude statt, weil die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist.
Wir Abgeordneten treffen grundlegende Entscheidungen zur Bundeswehr - etwa zu Auslandseinsätzen. Das ist eine wichtige und weitreichende Aufgabe: Wir müssen genau begründen, mit welchem Ziel wir unsere Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze schicken.
Über 3.800 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr verteidigen heute im Ausland Frieden und Sicherheit. Sie nehmen an 19 Einsätzen und einsatzgleichen Verpflichtungen teil – unter Führung der UN, der NATO oder der EU. Sie sind unter anderem in Jordanien im Einsatz, in Mali, im Südsudan, im Kosovo und in der Ägäis. In Litauen sichert die Truppe mit unseren Bündnispartnern die NATO-Ostflanke.
Um unsere Partner in Mittel- und Osteuropa zu schützen, werden künftig noch mehr deutsche Truppen an der Ostflanke stationiert.
Ich möchte Ihnen und Ihren Angehörigen versichern, dass wir uns dieser großen Verantwortung sehr bewusst sind. Die Entscheidungen über Auslandseinsätze macht sich niemand leicht. Im Gegenteil: Wir wissen um die Bedeutung.
Genau deshalb stimmen wir über diese Einsätzen in der Regel namentlich ab, um ihnen ein großes Maß an Aufmerksamkeit zu geben.
Und genau deshalb zeigen wir jetzt auch bei der Aufarbeitung des Afghanistan-Einsatzes, dass wir aus Fehlern lernen und unsere Soldatinnen und Soldaten zukünftig noch besser schützen wollen.
Vor allem auch in Ihrem Sinne als Rekrutinnen und Rekruten hat der Deutsche Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um den Abzug aus Afghanistan zu analysieren.
Darüber hinaus haben wir die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ beschlossen.
Nach 20 Jahren ist es wichtig, dass der Gesamteinsatz in Afghanistan in einer Kommission aus Abgeordneten und Expertinnen und Experten umfassend bewertet wird.
Die Erkenntnisse aus Untersuchungsausschuss und Enquete-Kommission müssen praxisnah und zukunftsgerichtet aufbereitet werden.
Ich bin mir sicher: Der Deutsche Bundestag wird die richtigen Lehren ziehen für die Gestaltung zukünftiger Auslandseinsätze.
Sehr geehrte Damen und Herren,
unsere Armee ist fest in unserer Demokratie verankert. Die Soldatinnen und Soldaten gehören zu unserer Gesellschaft. Sie kommen aus ihrer Mitte.
Als Staatsbürgerinnen und Staatsbürger stehen sie unter dem Schutz unseres Grundgesetzes. Und diesen Schutz können sie auch geltend machen.
Sie, liebe Soldatinnen und Soldaten, können sich immer direkt an Eva Högl wenden, die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Sie wacht darüber, dass Ihre Grundrechte geachtet werden.
Die Bundeswehr ist Teil unserer Demokratie. Sie ist den Werten unseres Grundgesetzes in besonderer Weise verpflichtet.
Soldatinnen und Soldaten verteidigen nicht nur unser Territorium und unsere Bevölkerung. Sie schützen auch unsere freiheitlich demokratische Grundordnung. Die Bundeswehr ist hierfür unverzichtbar.
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Verankerung der Bundeswehr in unserer Demokratie ist eine entscheidende Lehre, die wir aus unserer Geschichte gezogen haben.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten legen Rekrutinnen und Rekruten ihr Gelöbnis am 20. Juli ab. Dem Jahrestag des gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler. Die Verteidigungsminister hat es in ihrer Rede gerade betont.
Hier im Bendlerblock versuchte der militärische Widerstand 1944 den Staatsstreich gegen das NS-Regime. Noch am selben Abend wurden Claus Schenk Graf von Stauffenberg und weitere Anführer des Umsturzversuchs an diesem Ort erschossen. Hunderte weitere Widerständler wurden nach dem 20. Juli hingerichtet.
Der Tag des gescheiterten Attentats auf Hitler und der Bendlerblock sind uns eine Mahnung.
Sie haben Recht, Frau Ministerin: An keinem anderen Tag ist es passender, ein feierliches Gelöbnis auf die Werte unseres Grundgesetzes abzulegen!
Stauffenberg war zwar alles andere als ein Verfechter der parlamentarischen Demokratie. Doch der gescheiterte Putsch erinnert uns daran, dass wir Verantwortung für unsere Demokratie tragen.
Diese staatsbürgerliche Verantwortung kann für Soldatinnen und Soldaten bedeuten, rechtswidrige Befehle zu verweigern. Gehorsam endet, wo Unrecht herrscht.
Wo Befehle von einem erkennbar verbrecherischen Regime ausgehen.
Das erkennt unsere Verfassung an, und zwar ausdrücklich.
Das Grundgesetz sieht ein Recht auf Widerstand vor gegen jeden, der es unternimmt, die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland zu beseitigen.
Der Blick auf die russischen Kriegsverbrechen in Butscha, Irpin oder Mariupol macht deutlich, warum wir dieses Selbstverständnis pflegen müssen.
Die Bundeswehr dient dem Frieden, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Das ist eine zentrale Lehre aus den deutschen Verbrechen der Vergangenheit.
Zu diesen Lehren gehört auch, dass wir uns eng mit unseren internationalen Partnern abstimmen. Die Bundeswehr handelt nicht im Alleingang. Sie fügt sich ein in die multilaterale Ordnung, die wir nach dem Zweiten Weltkrieg zur Ächtung des Krieges und zum Schutz der Menschenrechte errichtet haben.
Der russische Krieg gegen die Ukraine macht uns wieder bewusst, wofür wir die Bundeswehr brauchen. Nach den Jahren des Sparens, der Aussetzung der Wehrpflicht und der Standortschließungen.
Mit der Zeitenwende und dem Sondervermögen können wir jetzt aus der Not des Krieges mehr und mehr eine Tugend der Wertschätzung für die Bundeswehr machen.
Die Bundeswehr ist Teil unserer Gesellschaft. Dazu gehört für mich auch, dass sie in der Gesellschaft Anerkennung und Respekt erfährt.
Nur dann werden wir auch in Zukunft engagierte junge Menschen wie Sie finden, für die der Dienst bei der Bundeswehr ein attraktiver Beruf ist.
Trotz aller Mängel und Nachholbedarfe betone ich ausdrücklich: Unsere Bundeswehr gehört in einigen Einsatzbereichen zur Weltspitze. Sie zeigt militärische Fähigkeiten, auf die wir stolz sind.
Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, dass wir dies zeitnah für alle Einsatzbereiche sagen können.
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich war vor wenigen Wochen im Einsatzführungskommando der Bundeswehr.
Dort habe ich auch mit Soldatinnen und Soldaten im Auslandseinsatz gesprochen.
Ich sehe immer wieder mit Hochachtung, wie motiviert und professionell Sie arbeiten.
Egal ob bei Heer, Marine oder Luftwaffe.
Egal ob in Deutschland oder im Auslandseinsatz.
Sie leisten einen existentiellen und komplexen Dienst für unser Land.
Sie begeben sich in Gefahr, damit wir in Freiheit und Sicherheit leben können.
Sie sind vor Ort bei den Menschen, wenn große Not herrscht.
Während der Flutkatastrophen in Nordrhein-Westfalen und in Rheinland-Pfalz im vergangenen Sommer zum Beispiel.
Oder bei Ihrer wertvollen Unterstützung der Gesundheitsämter und der Impfzentren während der Pandemie.
Auch dafür danke ich Ihnen und Ihren Kameradinnen und Kameraden noch einmal sehr.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
Sie entscheiden sich heute für einen einzigartigen und vielseitigen Beruf.
Der soldatische Dienst fordert vollen Einsatz.
Und bringt eine besondere Belastung für Ihre Familien und Freunde mit sich.
Ich kenne dieses besondere Belastung, aber auch diesen Stolz auch aus meiner eigenen Familie.
Deswegen möchte ich auch in Richtung Ihrer Familien und Angehörigen sagen: Danke, dass Sie unsere Rekrutinnen und Rekruten auf diesem Weg unterstützen.
Auch Sie leisten mit Ihrer Unterstützung einen wichtigen Beitrag für Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte.
Liebe Rekrutinnen und Rekruten,
gleich werden Sie Ihre feierliche Verpflichtung als Soldatin oder Soldat sprechen.
Bitte sprechen Sie Ihr Gelöbnis auch in dem Bewusstsein, dass der Deutsche Bundestag und die deutsche Bevölkerung hinter Ihnen stehen.
Ich wünsche Ihnen auch im Namen der Abgeordneten beruflich und persönlich alles Gute und viel Soldatenglück für Ihre Laufbahn.