30.11.2020 | Parlament

Videobeitrag von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble zur Eröffnung der COSAC-Konferenz

1. Anrede, Begrüßung und Ankündigung des Einführungsfilms:

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen aus den nationalen Parlamenten der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments,

ich freue mich, Sie im Rahmen der deutschen EU-Ratspräsidentschaft begrüßen zu dürfen.

Natürlich wäre es viel schöner, wenn wir hier in Berlin zusammenkommen könnten. Die Pandemie lässt das, wie bei allen anderen Konferenzen zuvor, leider nicht zu. Ich bin aber sicher, dass wir auch auf diesem Weg eine produktive Debatte führen werden.

Darauf und auf die vor Ihnen liegende Konferenz soll Sie ein kurzer Film einstimmen.

(Es folgt der Film, der mit dem Ausspruch „Willkommen Europa“ endet.)

2. Einführungsrede

Europa ist uns sehr willkommen – das stimmt. Und genau deshalb sollten wir uns nichts vormachen: Die Europäische Union wird sich momentan selbst nicht gerecht. Die Blockade des Haushalts belastet die Gemeinschaft. Sie zeigt, wie dringend wir Austausch und Verständigung brauchen. Die Corona-Krise erfordert nicht weniger Europa, sondern mehr! Die ungelösten Fragen der Migration verlangen nicht weniger Einigung, sondern mehr! Der Schutz von Klima und Artenvielfalt erfordert ebenso gemeinschaftliches Handeln wie die Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie.

Europa ist kein Selbstzweck. Wir stehen im globalen Wettbewerb der Systeme und unser Modell ist längst nicht mehr unangefochten. Bisher stehen wir beispielhaft für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand. Stabilität und Solidarität zeichnen das demokratische Europa aus. Das sollten wir nicht aufs Spiel setzen. Die Welt nimmt jedenfalls keine Rücksicht auf europäische Binnenstreitigkeiten. Sie bietet derzeit, und daran kann auch der Ausgang der US-Wahl nicht schnell etwas ändern, wenig Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Vor allem China wirbt selbstbewusst für seine Art staatlicher und ökonomischer Effizienz – der neue Wohlstand dort hat einen hohen Preis: die totalitäre Machtstruktur und die Überwachung des Individuums. Aber auch die großen US-amerikanischen Internetkonzerne üben weit über ihre Marktmacht hinaus Einfluss aus und entziehen sich als global player nationalen Regelungsmechanismen.

Wir Europäer wollen einen anderen Weg gehen – dass es der bessere ist, muss sich immer neu beweisen. Im Konkreten. Indem wir uns bei den zentralen Herausforderungen unserer Zeit gemeinsam handlungsfähig zeigen. Das wird aber nur bei Anerkennung aller Positionen, nicht nur der eigenen, gelingen! Kompromisse erzielen wir nur auf dem Weg der Verhandlung, so mühsam das ist. Darum bietet die COSAC eine Chance – zur Auseinandersetzung auf parlamentarischer Ebene und zum Austausch zwischen den Gewalten auf europäischer Ebene. Deswegen begrüße ich es sehr, dass nicht nur die Bundeskanzlerin und der Bundesgesundheitsminister Rede und Antwort stehen, sondern dass auch die Kommissionspräsidentin und die Direktorin des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten zu Gast sein werden.

In der Pandemie haben wir Europäer aus anfänglichen Fehlern gelernt, aus Versäumnissen und Alleingängen. Es braucht die intensive Verständigung der europäischen Staaten untereinander, verlässliche Absprachen, wechselseitige Hilfe in den Grenzregionen. Die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie sind schon heute enorm und die finanzpolitischen Auswirkungen mittel- und langfristigen noch gar nicht abzusehen. Umso dringender kommt es darauf an, jetzt einen soliden Finanzrahmen zu verabschieden. Um Europa im globalen Wettbewerb zu stärken. Widerstandsfähiger zu machen – zukunftsfest, indem wir bei der Wiederbelebung unserer Wirtschaft besonderes Gewicht gerade auch auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit legen. Wir haben doch erlebt, wie verwundbar wir sind, wie abhängig von globalen Märkten und Lieferketten. Im Globalisierungsrausch der vergangenen Jahrzehnte haben wir vieles übertrieben und gleichzeitig versäumt, Vorsorge zu treffen. Das können und das müssen wir ändern. Damit stärken wir die Souveränität und Resilienz Europas.

Dass wir die Covax-Allianz mit 186 Staaten auf den Weg gebracht haben, zeigt: Die EU ist netzwerkfähig und übernimmt Verantwortung für globale Projekte. Dauerhaft werden wir unsere Relevanz in der Welt nur sichern, wenn wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen. Wenn wir echte Verantwortung übernehmen, vor allem für die Stabilität in unserer Nachbarschaft. Wir müssen insbesondere unsere Zusammenarbeit mit den afrikanischen Staaten intensivieren. Der afrikanische Kontinent benötigt dringend Investitionen – nicht nur aus China! Die immensen Wachstumspotenziale Afrikas liegen in der Bevölkerungsentwicklung. Sie werden nicht dadurch gestärkt, dass es gut ausgebildete Afrikaner nach Europa zieht – zumal der Druck der weltweiten Migration die Stabilität unsere Gesellschaften schon heute unter Druck setzt und die ungeklärte Flüchtlingsfrage im Mittelmeer die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union als Wertegemeinschaft in Frage stellt. Wie eine verantwortungsvolle Partnerschaft mit Afrika zu gestalten ist, darüber wird der frühere Bundespräsident Horst Köhler sprechen.

„Das Schwierige erscheint mir nie unmöglich“ – das hat Alexander von Humboldt gesagt. Nach ihm und seinem Bruder Wilhelm ist das Humboldt-Forum in Berlin benannt, das in wenigen Tagen eröffnet wird; ein Ort der Welt-Kultur im wiedererrichteten Stadtschloss der Hohenzollern. Es ist ein Symbol für die Suche nach Neuem. Auch die Europäische Union braucht Inspiration – und sie sollte sich dabei gleichzeitig auf ihre Stärken besinnen. Dazu kann die COSAC beitragen.

Marginalspalte