Worte von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble vor Eintritt in die Tagesordnung zum 60. Jahrestag des Amtsantritts des ersten Wehrbeauftragten
[Es gilt das gesprochene Wort]
Wir feiern in diesem Jahr 70 Jahre Grundgesetz. Nicht alle Artikel unserer Verfassung sind bekanntlich so alt. Auch nicht dieser: „Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen.“
Das ist der Wortlaut von Artikel 45 b – aufgenommen in das Grundgesetz im Zuge der heftig debattierten Wiederbewaffnung unseres Landes und das Ergebnis eines klugen politischen Kompromisses, den Regierungs- und Oppositionsfraktionen damals miteinander aushandelten.
Vor 60 Jahren, am 3. April 1959, nahm in Bonn der erste Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages seine Amtsgeschäfte auf: Helmuth von Grolman. Ich freue mich, dass der amtierende Wehrbeauftragte heute anwesend ist, und begrüße Sie, Herr Kollege Bartels, sehr herzlich.
Was unter den Parteien zunächst umstritten war, ist heute integraler Bestandteil unserer Wehrverfassung – und längst prägend für das Selbstverständnis unserer Streitkräfte. Der Wehrbeauftragte wurde nicht, wie seiner Zeit geunkt wurde, zu einem bloßen „Briefkasten-Onkel für Soldaten“. Im Gegenteil. Die persönliche Autorität und die jeweils eigene Handschrift der bisher zwölf Wehrbeauftragten sorgten für Ansehen und für politisches Gewicht – unter ihnen mit Claire Marienfeld zwischen 1995 und 2000 auch erstmals eine Frau. Ihnen allen sind wir zu Dank und Anerkennung verpflichtet. Gerade wir Abgeordnete, die besondere Verantwortung für die Bundeswehr als Parlamentsarmee tragen.
Die Soldatinnen und Soldaten nehmen uns zu Recht in diese Pflicht – und deshalb kann der Beschluss einer Hauptstadt-Partei auch nicht unwidersprochen bleiben, „militärischen Organisationen“ künftig den Zugang zu Schulen untersagen zu wollen. Mehr noch: Vorträge von Soldatinnen und Soldaten über ihren Dienst und ihre Arbeit als „militärische Propaganda“ zu denunzieren. Der Vorwurf, es würden dabei Kompetenzgrenzen überschritten, verkennt den Auftrag zur festen Verankerung der Bundeswehr in unserer demokratischen Gesellschaft, deren Teil sie ist. Der Wehrbeauftragte hat bereits klare und unmissverständliche Worte dazu gefunden. Aber alle, die als Staatsbürger in Uniform diese wichtige Aufgabe wahrnehmen, sollen dabei auch um die volle Unterstützung dieses Hauses wissen.
Mit dem Wehrbeauftragten verbinden Soldatinnen und Soldaten direkte und unmittelbare Hilfe und Unterstützung – eine Funktion, die sich auf die gesamte Organisation Bundeswehr erweitert hat. Die Wehrbeauftragten haben der Inneren Führung zum Durchbruch verholfen. Sie begleiteten die Entwicklungsprozesse, Neustrukturierungen und Neuausrichtungen der Bundeswehr über alle Umbrüche hinweg. Sie zeigten Defizite auf und forderten Reformen. Man hat sie deshalb zu Recht als „Modernisierer von Armee und Staat“ charakterisiert.
Befürchtungen, die jährliche parlamentarische und öffentliche Befassung mit den Mängelberichten des Wehrbeauftragten könnte zur Routine erstarren, bewahrheiteten sich nicht. Das ist ganz wesentlich dem hohen Niveau der Jahresberichte geschuldet, ihren Inhalten, die – so hat es Hans-Peter Bartels im vergangenen Jahr treffend formuliert – von den besten Experten stammen, die dieses Land in militärischen Fragen hat: von den Soldatinnen und Soldaten selbst.
Über 370.000 Vorgänge wurden vom Wehrbeauftragten seit 1959 bearbeitet. Ohne seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wäre das niemals möglich. Deshalb gebührt auch Ihnen unser Dank.
Das Amt des Wehrbeauftragten ist und bleibt ein unverzichtbares Aushängeschild erfolgreicher parlamentarischer Kontrolle in der Demokratie. Damit die Bundeswehr auch künftig ihren vielfach gewachsenen Verteidigungsaufgaben nachkommen kann – nicht zuletzt im Rahmen der Bündnisverpflichtungen unseres Landes, über die wir heute noch debattieren werden.