Reichstagsgebäude im geteilten Deutschland
1945 versank das durch den Brand von 1933 beschädigte Reichstagsgebäude in Trümmern. Blockade und Teilung der Stadt verhinderten den 1947 vom Gesamtberliner Magistrat bereits beschlossenen Abriss. Lediglich die stark einsturzgefährdete Kuppel wurde 1954 gesprengt. Das in West-Berlin gelegene Gebäude wurde nach der Teilung der Stadt rasch zu einem Symbol für die deutsche Einheit. So diente es während der Berlin-Blockade 1948 als Kulisse für die Rede des Regierenden Bürgermeisters Ernst Reuter, in der er mit eindringlichen Worten an das Durchhaltevermögen der Bevölkerung und an die Westmächte appellierte, den Westteil der Stadt nicht den Sowjets Preis zu geben.
Umstrittener Wiederaufbau
Nicht zuletzt aufgrund dieser Symbolik entschied sich der Deutsche Bundestag in Bonn 1955 für den Erhalt des Reichstagsgebäudes, ließ aber dessen zukünftige Nutzung offen. Ein Wiederaufbau als Parlamentsgebäude war umstritten, da das Gebäude inzwischen unter anderem als zu klein galt. Nichtsdestotrotz beschloss das Berliner Abgeordnetenhaus 1956 den Wiederaufbau des Gebäudes „zum Zwecke der gesetzgebenden Körperschaften“. 1957 sanierte der Bund unter Obhut der Bundesbauverwaltung zunächst ein Teilstück der Reichstagsfassade. Dieser „Stilbereinigung“ fielen Ornamente und Fassadenschmuck zum Opfer. Ende der 1950er-Jahre entschied sich ein von der Bundesbauverwaltung einberufenes Fachgremium gegen die Wiedererrichtung der Kuppel, um bei einer späteren Bebauung des Areals, so eines der Argumente, dem neuen Gebäude die Dominanz zu überlassen. 1960 schrieb der Bund schließlich einen Wettbewerb zum Umbau des Reichstagsgebäudes aus, den der Architekt Paul Baumgarten (1900-1984) gewann. Der Umbau des Reichstagsgebäudes zog sich länger hin als der Neubau von 1884 bis 1894. Obwohl bereits 1963 eine eingeschränkte Nutzung des Gebäudes möglich war, konnte der gesamte Umbau erst 1973 abgeschlossen werden.
Klare und transparente Strukturen
Wesentliche architektonische Merkmale des Umbaus waren die Bemühungen, der Monumentalität des alten Baus zeitgemäße klare und transparente Strukturen entgegenzusetzen. Es sollte eine Stätte der Begegnung für ein modernes Parlament geschaffen werden, Dies sollte nach den Vorstellungen Baumgartens vor allem im Inneren durch eine helle, leichte Architektur verwirklicht werden. Sandsteinmauern wurden verkleidet und weiß verputzt, Wandelgänge zugunsten neuer Büro- und Konferenzräume aufgegeben, Zwischengeschosse veränderten das Raumgefüge grundlegend und Ornamente wurden beseitigt. Baumgarten verband weniger Alt mit Neu, vielmehr setzte er einen eigenständigen Neubau in die erhaltene Hülle. Die Zeitgenossen beurteilten das Innere als „nüchtern“, „sachlich“ und „gegenwartsbezogen“. Moderne Kunstwerke unterstrichen diesen Charakter. Baumgartens Einsatz für die Wiedererrichtung einer Kuppel scheiterte am Widerstand der Bundesbaudirektion, die dem Architekten auch in anderen Fragen Auflagen machte, so dass Baumgarten noch 1982 schrieb: „So wie er [der Reichstag] heute dasteht, ist er das Werk der Bundesbaudirektion.“ Die Verglasung des deutlich vergrößerten Plenarsaales sollte demokratische Transparenz ausdrücken. Dieses architektonische Merkmal überdauerte auch den späteren Umbau durch Lord Norman Foster.
Ausschuss- und Fraktionssitzungen
Wiederholt fanden Sitzungen des Deutschen Bundestages in Berlin statt, zwischen 1955 und 1958 im Großen Hörsaal des Physikalischen Instituts der Technischen Universität, später in der neu erbauten Kongresshalle im Tiergarten. Zum letzten Mal vor der Wiedervereinigung tagte der Deutsche Bundestag am 7. April 1965 in der Kongresshalle in Berlin. Tiefflieger der Sowjets donnerten über den Versammlungsort, um die Sitzung zu stören. Seit 1971 war es dem Deutschen Bundestag aufgrund des Vier-Mächte-Abkommens untersagt, in Berlin zu tagen, was der Bedeutung des Reichstagsgebäudes keinen Abbruch tat: Die Lage der deutschen Nation, so der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, werde durch einen leer stehenden Reichstag am besten wiedergegeben. Die parlamentarische Nutzung des Reichstagsgebäudes beschränkte sich deshalb auf Ausschuss- und Fraktionssitzungen. Die Wandelhalle vor dem Plenarsaal wurde zwischen 1971 und 1994 für die sehr erfolgreiche Ausstellung „Fragen an die Deutsche Geschichte“ genutzt. Eine Außenstelle der Bundestagsverwaltung war in Büros im Obergeschoss untergebracht. Bis 1990 fanden jährlich zwischen 300 und 400 Veranstaltungen statt, darunter unter anderem Ausschusssitzungen des Bundesrates, der Länderparlamente und kommunaler Parlamente, Sitzungen europäischer Institutionen, Festveranstaltungen und Gedenkfeiern.
Spätestens in den 1980er-Jahren setzte eine zunehmend kritische Betrachtung des Reichstagsumbaus ein: Die Decken schienen zu niedrig, die Neonbeleuchtung zu grell. Der Historiker Jürgen Reiche urteilte: „Zum dritten Mal und am nachhaltigsten wurde das Gebäude erst durch den Wiederaufbau zerstört.“ Norman Foster bezeichnete den Umbau als einen „Akt bürgerlichen Vandalismus, verheerender als die Zerstörung durch die Rote Armee“, wenngleich er zugestand, dass man den Umbau aus seiner Zeit heraus beurteilen müsse, in der man das Erbe der deutschen Vergangenheit mit Unbehagen betrachtet habe. Der Politologe Galetti fragt, ob ein nochmaliger Umbau des Gebäudes nach 1990 möglicherweise kein Thema gewesen wäre, wenn man sich bereits beim „Baumgarten-Umbau“ einer denkmalnäheren Wiederaufbau-Variante bedient hätte.