Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel
Wortlaut der Empfehlung
„Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte ab einer Größe von 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel, die sie sonst entsorgen würden, an gemeinnützige Organisationen (zum Beispiel Tafeln) und für gemeinnützige Zwecke weiterzugeben.
Die Definition von Genießbarkeit soll sich nicht nur am Mindesthaltbarkeitsdatum, sondern auch an weiteren handelsüblichen Gütekriterien (zum Beispiel optische Begutachtung) orientieren.
Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte sollen mit einer Geldstrafe belegt werden, wenn sie Lebensmittel ungenießbar machen oder noch genießbare Lebensmittel wegwerfen.“
Die Begründung zur Empfehlung können Sie im Bürgergutachten (20/10300) nachlesen.
Stand der Beratungen und Umsetzung
Das Bürgergutachten wurde nach einer Plenardebatte am 14. März 2024 federführend an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft sowie mitberatend an den Finanzausschuss, den Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, den Ausschuss für Gesundheit und den Ausschuss für Klimaschutz und Energie überwiesen.
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft führte am Montag, den 23. September 2024 ein öffentliches Fachgespräch zur Empfehlung „Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel“ durch. Geladen waren neben Sachverständigen, die von den Fraktionen benannt werden, auch zwei Teilnehmerinnen des Bürgerrates sowie zwei Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirats.
Ausgangspunkt der Empfehlung war das Anliegen der Mitglieder des Bürgerrates, die vorhandenen Ressourcen besser zu nutzen. Sie wollten mit ihrer Empfehlung „den Stein endlich ins Rollen bringen“, sagte Melanie Morgen, ehemalige Teilnehmerin des Bürgerrates Ernährung.
Prof. Dr. Markus Grube, Rechtsanwalt und Co-Autor des im Juni 2024 zum Thema Vermeidung von Lebensmittelabfällen veröffentlichten Rechtsgutachtens, erklärte, das Lebensmittelrecht sei bislang auf das „perfekte“ Lebensmittel ausgerichtet und sehe den Fall der Weitergabe von Lebensmitteln nicht vor. Die übrigen Sachverständigen stimmten seiner Analyse zu, dass deswegen zuvorderst eine rechtliche Privilegierung von Lebensmittelspenden verankert werden müsse. Wegen der bereits bestehenden intensiven Kooperationen zwischen Handel und Zwischenempfängern von Lebensmittelspenden, wie z. B. den Tafeln, lehnten die Sachverständigen eine gesetzliche Pflicht zur Weitergabe von Lebensmitteln ab oder sahen sie zumindest derzeit als nachrangig an. Insofern sei laut Philipp Hennerkes, Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels e. V., die Situation in Deutschland auch nicht mit derjenigen in Frankreich vergleichbar, wo Lebensmitteleinzelhändler mit Verkaufsflächen über 400 m² gesetzlich zu Lebensmittelspenden verpflichtet sind.
Neben einer Absenkung der Haftungsrisiken für beteiligte Unternehmen sah Dr. Marcus Girnau, Lebensmittelverband Deutschland e. V., großes Änderungspotenzial bei Lebensmitteln mit Kennzeichnungsfehlern, da dort der gesundheitliche Verbraucherschutz nicht betroffen sei. Regina Treutwein, Tafel Deutschland e. V., forderte nicht nur die rechtssichere Weitergabe von Lebensmitteln, sondern auch, dass sich die Weitergabe in der gesamten Wertschöpfungskette lohnen müsse. Dies könne durch eine steuerliche Besserstellung, z. B. eine Befreiung von der Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden, erreicht werden.
Für diese Forderungen sah Prof. Dr. Markus Grube Spielräume im Lebensmittelrecht, das vom Recht der Europäischen Unio (EU) geprägt ist. Die EU-Institutionen seien in diesem Bereich tolerant gegenüber nationalen Ausgestaltungen. Viele Privilegien ließen sich über die Rechtsfigur des „karitativen Lebensmittelunternehmens“ einführen. Damit würde der deutsche Gesetzgeber europaweit einen wichtigen Impuls setzen. Außerdem bestehe die Möglichkeit, im nationalen Recht das Containern oder die Weitergabe von Lebensmitteln mit Kennzeichnungsfehlern zu entkriminalisieren.
Die ehemaligen Teilnehmerinnen des Bürgerrates Ernährung machten deutlich, dass es ihnen mit ihren Empfehlungen nicht nur darum gegangen sei, Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten solle auch durch Bildung und Aufklärung entgegengewirkt werden, betonte Melanie Morgen. Brigitte Bernhard sprach sich dafür aus, den Bürgerinnen und Bürgern mehr zuzutrauen. Diese könnten durchaus selbst einschätzen, ob Lebensmittel noch genießbar seien, wenn das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Prof. Dr. Antje Risius, Georg-August-Universität Göttingen und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bürgerrates Ernährung, regte in diesem Zusammenhang an, zu reflektieren, welche Haftungsrisiken bestünden und wo die Eigenverantwortung der Verbraucher beginne.
Dr. Marie Mourad, Beraterin für Abfallvermeidung und Nachhaltigkeit, plädierte dafür, Lebensmittelverschwendung ganzheitlicher zu sehen. Sie betonte, dass die Weitergabe von Lebensmitteln zwar wichtig sei, ansetzen müsse man aber schon beim Verhindern und Reduzieren von Lebensmittelabfällen. Durch Gesetze, die die Weitergabe von Lebensmitteln vorschreiben, dürften Unternehmen keine falschen Anreize gesetzt werden. Diese Aussage griff auch Astrid Fastenrath, Too Good To Go GmbH, auf. Sie sprach sich für gesetzliche Pflichten aus, selbst wenn sich dies auf ihr Geschäftsmodell auswirke.
Auch Prof. Dr. Melanie Eva-Maria Speck, Hochschule Osnabrück und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des Bürgerrates Ernährung, unterstützte den Ansatz, vorhandene Potenziale besser zu nutzen. Um diese identifizieren zu können, bedürfe es eines weiterreichenden Monitorings. Die bestehenden Daten seien nicht ausreichend aussagekräftig. Dabei sollten neben dem Einzelhandel und den Tafeln auch die Lebensmittelproduktion, der Bereich Logistik und Food-Sharing-Unternehmen einbezogen werden.
Antrag der Gruppe Die Linke
Am 12. November 2024 hat die Gruppe Die Linke einen Antrag mit dem Titel „Lebensmittelverschwendung durch Wegwerfverbot von Nahrungsmitteln stoppen“ (Bundestagsdrucksache 20/13740) in den Deutschen Bundestag eingebracht.
In dem Antrag fordert die Gruppe unter anderem für bestimmte Einzelhandelsunternehmen, verarbeitende Unternehmen, Großgastronomie und -küchen sowie große Erzeuger eine Verpflichtung, verzehrfähige Lebensmittel unentgeltlich an soziale Einrichtungen abzugeben. Existierende Selbstverpflichtungen des Einzelhandels griffen zu kurz, seien nicht flächendeckend und wenig wirkungsvoll. Kleinere Unternehmen sollten zunächst bei der Reduzierung der Lebensmittelverschwendung unterstützt werden und ab dem 1. Januar 2027 ebenfalls zur Spende überschüssiger Lebensmittel verpflichtet werden. Außerdem spricht die Gruppe sich beispielsweise dafür aus, auf Bundesebene eine unabhängige Kompetenzstelle zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten und -abfällen einzurichten, Haftungsfragen bei Lebensmittelspenden zu regeln und die Ernährungsbildung in Schulen und Kitas finanziell aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen.
Die Beratung des Antrags im Bundestag kann auf dieser Seite verfolgt werden.