Letzte Sitzung des Bürgerrats Ernährung: die neun Empfehlungen stehen fest
Zeit:
Dienstag, 20. Februar 2024,
18
bis 19.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus
Der Bürgerrat „Ernährung im Wandel“ hat vom 12. bis 14. Januar in Berlin zum letzten Mal getagt und neun Empfehlungen zum Thema „Ernährung im Wandel: zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben“ beschlossen. Basis für die Empfehlungen waren Empfehlungsentwürfe nach den ersten acht Sitzungen des Bürgerrats sowie das Feedback des Wissenschaftlichen Beirats dazu. Diese wurden am Freitag und Samstag intensiv in verschiedenen Formaten diskutiert und finalisiert, bevor sie am Sonntag abgestimmt wurden.
Folgende Empfehlungen an den Deutschen Bundestag haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beschlossen:
- Kostenfreies Mittagessen für alle Kinder: Bundesweit soll an allen Kindergärten und Schulen kostenfreies und gesundes Mittagessen angeboten werden.
- Bewusstes Einkaufen leicht gemacht durch ein verpflichtendes staatliches Label: Für alle in Deutschland und der Europäischen Union verkauften Produkte soll es ein verpflichtendes staatliches Label geben. Das Label soll die Bereiche Klima, Tierwohl und Gesundheit einzeln berücksichtigen und es soll wissenschaftlich fundiert sein.
- Verpflichtende Weitergabe von genießbaren Lebensmitteln durch den Lebensmitteleinzelhandel: Supermärkte und andere Lebensmittelgeschäfte ab einer Größe von 400 Quadratmetern Verkaufsfläche sollen verpflichtet werden, noch genießbare Lebensmittel, die sonst weggeworfen würden, an gemeinnützige Organisationen weiterzugeben.
- Lebensbedingungen und Herkunft von Tieren transparent darstellen: Ein verpflichtendes und staatlich kontrolliertes, ganzheitliches Tierwohllabel soll den gesamten Lebenszyklus von Nutztieren abbilden.
- Neuer Steuerkurs für Lebensmittel: Unter anderem soll die Definition von Grundnahrungsmitteln überarbeitet und auf Produkte wie unverarbeitetes und tiefgefrorenes Obst und Gemüse in Bio-Qualität, Hülsenfrüchte, Nüsse und Vollkorngetreide sowie Mineral- und Tafelwasser keine Mehrwertsteuer mehr erhoben werden.
- Gemeinschaftsverpflegung in Pflegeeinrichtungen: In Krankenhäusern, Reha-, Senioren- und anderen Pflegeeinrichtungen soll der Zugang zu gesunder und ausgewogener Ernährung sichergestellt werden.
- Verbrauchsabgabe zur Förderung des Tierwohls: Mit einer zweckgebundenen Verbrauchsabgabe auf tierische Produkte soll der Umbau der Tierhaltung hin zu einer artgerechten Nutztierhaltung finanziert werden.
- Altersgrenze für Energydrinks: Für den Kauf von Energydrinks und ähnliche Produkte soll ein Mindestalter von 16 Jahren eingeführt werden.
- Mehr Personal für Lebensmittelkontrollen und bessere Transparenz: Die Berufsordnung für Lebensmittelkontrolleure soll so geändert werden, dass die Zugangshürden für diesen Beruf gesenkt werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Kontrollergebnisse sollen der Öffentlichkeit auf einfache Weise zugänglich gemacht werden.
Die Reihenfolge entspricht den Prioritäten der Teilnehmenden, die darüber abstimmen konnten, welche Punkte ihnen besonders wichtig waren. Das kostenfreie Mittagessen für Kinder lag dabei an erster Stelle.
Zudem hat der Bürgerrat in einer übergreifenden Empfehlung festgestellt, dass Aufklärung und Bildung das Fundament für alle anderen Empfehlungen des Bürgerrats sind.
Des Weiteren stimmte eine Mehrheit im Bürgerrat dafür, schon bestehende Aufklärungsangebote zum Thema Lebensmittelverschwendung (z.B.„Zu gut für die Tonne“) zielgruppenspezifisch auszuweiten. Diese Empfehlung schaffte es jedoch nicht unter die ersten neun.
Keine Mehrheiten für Empfehlungen Pro und Contra Herstellerabgaben auf zucker- und zuckerersatzstoffhaltige Getränke
Umstritten in den Diskussionen des Bürgerrats die Frage, ob auf zuckerhaltige Getränke eine Herstellerabgabe erhoben werden soll, um diese zur Verringerung des Zuckeranteils in ihren Getränken zu motivieren. Kritiker dieser Abgabe im Bürgerrat befürchteten hierdurch eine zusätzliche finanzielle Belastung der Konsumenten durch eine Weitergabe der Kosten an die Verbraucher und befürworten daher andere Maßnahmen zur Reduktion des Zuckerkonsums. Bereits in der achten Sitzung entstanden daher zwei Empfehlungsentwürfe: einer für und einer gegen eine Steuer auf zucker- und zuckerersatzstoffhaltige Getränke. Am Ende erhielt keine der Empfehlungen eine Mehrheit im Bürgerrat.
Die ausführlichen Empfehlungstexte und Abstimmungsergebnisse (Zustimmung bzw. Anlehnung und Priorisierung) finden Sie in diesem PDF-Dokument.
Bundestagspräsidentin: „Im Bürgerrat wurde Demokratie gelebt“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas dankte den Mitgliedern des Bürgerrats: „Demokratie geht uns alle an. Im Bürgerrat ‚Ernährung im Wandel‘ wurde Demokratie gelebt, in einem Klima von Offenheit, Neugier und Mut zum sachlichen Austausch. Ich danke allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern dafür, dass sie sich die Zeit genommen haben, sich tief in das Thema Ernährung einzuarbeiten.
Durch ihre Empfehlungen haben sie wichtige Impulse für unsere parlamentarische Arbeit gegeben. Sehr konkrete Empfehlungen wie ein kostenfreies Mittagessen für alle Kinder oder eine Altersgrenze für Energydrinks sind nun auf dem Tisch, mit denen wir uns jetzt als Abgeordnete auseinandersetzen werden. Mit diesen Empfehlungen sollten sich alle Fraktionen im Deutschen Bundestag intensiv beschäftigen. Der erste Bürgerrat des Deutschen Bundestages ist ein gelungenes und innovatives Beispiel für lebendige Demokratie.“
Wissenschaftlicher Beirat: „Gelungenes Experiment“
Prof. Dr. Melanie Speck von der Hochschule Osnabrück sagte stellvertretend für den wissenschaftlichen Beirat: „Das Experiment Bürgerrat ist gelungen. Der Prozess war so offen, dass der Querschnitt der Bevölkerung erfolgreich abgebildet wurde. Die Gespräche haben im Zeichen der Verständigung und nicht der Polarisierung stattgefunden. Der Bürgerrat ist ein Vorbild für diskussionsfreudige Demokratie. Die Bürger sind in kürzester Zeit zu Experten geworden. Das ist eine tolle Leistung.“
Übergabe und Behandlung im Parlament
Die Empfehlungen des Bürgerrates werden nun gemeinsam mit einer Dokumentation des Prozesses in einem Bürgergutachten zusammengefasst. Das Bürgergutachten soll der Bundestagspräsidentin am 20. Februar ab 18.30 Uhr übergeben werden und wird als Bundestagsdrucksache veröffentlicht. Anschließend ist eine erste Diskussion der Empfehlungen mit Fachpolitikerinnen und Fachpolitikern geplant. Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Bürgerrates sind zur Übergabeveranstaltung eingeladen.