Einsatz von Peter Heidt für Abdulrahman al-Sadhan aus Saudi-Arabien
Eröffnet die Vergabe der Fußballweltmeisterschaft 2034 an Saudi-Arabien neue Chancen für rechtsstaatliche Reformen in dem Land? International steht Saudi-Arabien seit Jahren in der Kritik, elementare Menschenrechte zu verletzen. Man muss die Ambitionen der saudi-arabischen Führung im Bereich des Sports nutzen, um mit der Monarchie am Persischen Golf einen Dialog über den Stellenwert der Menschenrechte zu führen und sie zu weiteren Reformschritten zu drängen, sagt der Bundestagsabgeordnete Peter Heidt (FDP), Obmann im Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, der für den inhaftierten Menschenrechtler Abdulrahman al-Sadhan aus Saudi-Arabien eine Patenschaft im Rahmen des Programms Parlamentarier schützen Parlamentarier des Bundestages (PsP) übernommen hat.
Fast 100 Bundestagsabgeordnete haben sich in der zu Ende gehenden 20. Wahlperiode in insgesamt 170 Patenschaften im PsP-Programm für Kolleginnen und Kollegen, Parlamentarierinnen und Parlamentarier, Politikerinnen und Politiker, Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler in über 40 Ländern eingesetzt, deren Grundrechte verletzt, und die bedrängt und verfolgt werden, etwa weil sie ihre Meinung frei äußern.
Mit einer Patenschaft machen deutsche Abgeordnete auf diese Fälle aufmerksam und appellieren an die dortigen Verantwortlichen, diese Menschen, die sich, oft unter Gefahr von Leib und Leben, für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen, nicht weiter zu verfolgen.
„Kritiker müssen mit Sanktionen rechnen“
Die Golfmonarchie sei der Inbegriff des von einer arabischen Herrscherdynastie regierten Landes, einer Erdölgroßmacht, die sich, mit allen Verwerfungen und Irritationen, in die Moderne aufgemacht habe, vor allem, um ihre Volkswirtschaft vom Öl unabhängiger zu machen, erklärt Heidt. Und die sich, während einzelne Reformschritte des Kronprinzen Mohammad bin Salman durchaus mediale Würdigung erfahren, dabei wegen des Festhaltens an ihrem absoluten Herrschaftsanspruch und aufgrund andauernder schwerer Menschenrechtsverletzungen immer wieder internationaler Kritik ausgesetzt sehe.
Zwar könne man seit einigen Jahren einen gesellschaftlichen und sozialen Wandel beobachten, so erhielten Frauen „scheibchenweise neue Rechte zugesprochen“. Menschenrechte gelten in Saudi-Arabien allerdings nur unter Vorbehalt ihrer Vereinbarkeit mit dem islamischen Recht der Scharia. Ein freier gesellschaftlicher Diskurs finde nicht statt, so Heidt, die Medien stünden unter staatlicher Kontrolle, Kritiker müssten mit Sanktionen rechnen.
Abdulrahman al-Sadhan: mutige Stimme für Reformen
Sanktionen hat auch der Schützling von Peter Heidt im PsP-Programm, Abdulrahman al-Sadhan, erfahren. Es würde hierzulande als freie Meinungsäußerung durchgehen, was Al-Sadhan, ein ganz normaler Bürger, der in Saudi-Arabien für die Hilfsorganisation Roter Halbmond arbeitete, vor sechs Jahren immer mal wieder in seinem Account bei dem ehemaligen Nachrichtendienst Twitter, heute X, geschrieben hatte, so der FDP-Politiker. Seine satirischen Posts jedoch, in die er die Kritik an den gesellschaftlichen Umständen und an der monarchischen Regierung kleidete, haben ihn dann aber zur Zielscheibe der saudischen Behörden werden lassen.
Im Mai 2018 haben Mitarbeiter des Geheimdienstes Al-Sadhan bei seiner Arbeit ergriffen und verschleppt. Menschenrechtsorganisationen berichteten darüber. Seitdem befindet sich Al-Sadhan, den Heidt „eine mutige Stimme“ nennt, „die Reformen in dem autoritär regierten Land anmahnt und die saudische Führung kritisiert“, im Gefängnis.
Bei den Patenschafts-Fällen des PsP-Programms gehe es um einen der Kernbereiche der Menschenrechte und eines der absoluten Kernelemente, das Demokratie ausmacht – und „das Diktatoren am meisten verabscheuen“, erklärt Heidt: die Presse- und Meinungsfreiheit. Auch Al-Sadhan habe es umgetrieben, seine Meinung nicht frei äußern zu dürfen. Er habe es dann einfach getan und sich für das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung eingesetzt.
Die gegen Al-Sadhan von den staatlichen Anklägern erhobenen Vorwürfe – freie Meinungsäußerung, Störung der öffentlichen und religiösen Ordnung, Sympathie mit Terroristen - sind laut Heidt haltlos sowie durch nichts belegt, das Urteil - 20 Jahre Haft und ein daran anschließendes 20-jähriges Reiseverbot – und „die unmenschlichen Haftumstände unfair und unverhältnismäßig“. Das gesamte Verfahren, eine sich hinziehende „Untersuchungshaft XXL“, mittels Folter erpresste Geständnisse, widerspreche elementaren Rechtsstaatsgrundsätzen, so der Strafverteidiger Heidt. „Zunächst wussten Al-Sadhans Angehörige gar nicht, wo er ist. Erst zwei Jahre nach seiner Verhaftung konnten er und seine Familie zum ersten Mal miteinander telefonieren. Und schließlich wurde der Verteidigung kaum Zeit zur Akteneinsicht gewährt.“
„Nach unserem Verständnis ist Saudi-Arabien kein Rechtsstaat“, unterstreicht Jurist Heidt. International anerkannte und vereinbarte Grundrechte, darunter die Menschenrechte, das Recht auf freie Meinungsäußerung, in Deutschland grundgesetzlich garantiert, würden dort nicht geschützt oder sogar aktiv beschnitten. Es komme hinzu, dass die Tweets Al-Sadhans, die Gegenstand der Vorwürfe sind, veröffentlicht wurden, bevor die Gesetze in Kraft getreten sind, die Grundlage der Strafe sind – eine offensichtliche Verletzung des elementaren Rechtsgrundsatzes „keine Strafe ohne Gesetz“.
Social Media-Dienst als Handlanger?
Nicht nur wegen der aufsehenerregenden Menschenrechtsverletzungen habe der Fall von Abdulrahman al-Sadhan von Beginn an eine internationale Dimension, sondern auch wegen der zweifelhaften Rolle, die das amerikanische Unternehmen Twitter dabei gespielt habe, erzählt Heidt. Mitarbeiter sollen Straftaten begangen haben. Es geht um die Verletzung des Datenschutzes und der Privatsphäre.
Eine US-amerikanische Kanzlei vertritt die Familie von Al-Sadhan mittlerweile in einer Klage vor einem New Yorker Gericht gegen den Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter, sowie gegen drei Mitarbeiter, die für den saudischen Staat bei Twitter spioniert haben sollen. Diese hätten den anonyomisierten Twitter-Account al-Sadhan zugeordnet und Al-Sadhan schließlich ausfindig gemacht. Es folgte die Verschleppung, eine jahrelange Inhaftierung, halt- und belanglose Vorwürfe, ein unfaires Verfahren.
Neben Menschenrechtsorganisationen, Rechtsanwälten und der internationalen Politik haben sich auch amerikanische Regierungsstellen eingeschaltet. Der Tenor: Amerikanische Unternehmen dürften sich nicht zum Handlanger für autokratische Regime machen und dabei Kundendaten klauen und missbrauchen. Die Vorwürfe richten sich also sowohl gegen das Königshaus und die Regierung in Riad als auch gegen den Social Media-Dienst Twitter/X. Heidt: „In einem Land wie Saudi-Arabien kommt Twitter eine ganz besondere Verantwortung zu.“
Saudi-Arabien als bedeutender Wirtschaftspartner
Neben den Meinungsverschiedenheiten in Grundsatzfragen wie dem Stellenwert und der Durchsetzung der Menschenrechte besteht zwischen Deutschland und Saudi-Arabien wirtschaftlich ein dichter Austausch, egal, ob man auf das Investitionsgeschehen oder den Handel schaut. So ist die Golfmonarchie nach den Vereinigten Arabischen Emiraten Deutschlands zweitwichtigster Handelspartner im arabischen Raum und Deutschland wiederum ist Saudi-Arabiens viertgrößter Lieferant von Waren und Dienstleistungen.
Während das Königreich für Deutschland und den Weltmarkt weiterhin einer der wichtigsten Energielieferanten auf Basis fossiler Rohstoffe ist, wachse seine Rolle als regionaler, geopolitischer Player im Zuge der Spannungen und Umbrüche im Nahen Osten gerade deutlich, so Heidt. Saudi-Arabien sei ein wichtiger außen- und sicherheitspolitischer Partner für Deutschland in der Region, insbesondere wenn es darum gehe, eine Friedenslösung für den Nahen Osten zu erarbeiten: „Das wird nur mit Saudi-Arabien gehen.“
Machtsicherung auf Kosten der Menschenrechte
Während nach außen hin die PR-Maschinerie der saudischen Regierung das Bild von einem Land des Fortschritts produziere, das mit Hightech-Lösungen den Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft begegne, würden im Hintergrund weiterhin Gefängnisse mit Kritikern und Oppositionellen gefüllt, um abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen so Heidt. „Die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien ist sehr problematisch.“
Frauenfeindlichkeit, ja -diskriminierung durch Gesetze, sei trotz medienwirksam inszenierter Veränderungen – Frauen dürfen in Saudi-Arabien seit 2018 Auto fahren - an der Tagesordnung ebenso wie Homophobie. Zahlreiche aus politischen Gründen oder wegen Terrorismusvorwürfen Gefangene würden in Haftanstalten teils Jahre ohne Gerichtsverfahren festgehalten, fasst der Menschenrechtspolitiker die beunruhigende Lage in dem Land zusammen. 170 Menschen sind 2023 laut Amnesty International in dem Königreich hingerichtet worden.
Der Wille zum Machterhalt, die Angst vor der Erosion der eigenen Herrschaft, vor Umsturzversuchen, treibe das Herrscherhaus in Riad dazu, Bürger, die eigene Gedanken wagen, Reformen anmahnen, Regierung und Behörden kritisieren, Unzufriedenheit äußeren oder gar die Herrschaft des saudischen Königshauses infrage stellen, zu inhaftieren, und zu jahrzehntelangen Gefängnisstrafen, Reisesperren oder gar zum Tode zu verurteilen.
„In saudischen Gefängnissen befinden sich zahlreiche Unschuldige, die sich einfach nur für das Recht auf freie Meinungsäußerung eingesetzt haben“, sagt Heidt. Saudi-Arabien verfolge „eine Null-Toleranz-Politik gegenüber allem, was sie als Kritik verstehen“. Amnesty International berichtet von zahlreichen Fällen, in denen Social-Media-Posts, in denen freie Meinungsäußerung oder Frauenrechte eingefordert werden, zu langen Haftstrafen mit anschließendem Reiseverbot führen.
Heidt: Mit Saudi-Arabien über Menschenrechte sprechen
Aber es gibt Möglichkeiten, mit der Regierung in Riad über das Thema Menschenrechte ins Gespräch zu kommen, sagt Heidt. Man müsse die wirtschaftlichen, technologischen und nicht zuletzt die Ambitionen im Sport nutzen, die das Herrscherhaus habe, und mit dem Thema Menschenrechtsschutz verknüpfen. Saudi-Arabien bleibe zur Verwirklichung seiner Ziele auf den Westen als wirtschaftlichen und technologischen Partner angewiesen.
Zu diesem Zweck polieren sie ihr Image und können sich keine schlechten Nachrichten, keine negative Presse leisten, erklärt Menschenrechtspolitiker Heidt. „Diesen Zusammenhang müssen wir nutzen. Da können und müssen wir Druck ausüben und sagen: Wenn Du das haben möchtest, dann musst Du Dich auch bewegen und wenigstens ansatzweise anfangen, Menschenrechte zu schützen“, findet Heidt.
Dasselbe habe man schließlich auch mit Katar gemacht, das 2022 als erstes arabisches Land eine Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten durfte. „Da ist einiges in die richtige Richtung bewirkt worden, zum Beispiel in Bezug auf Arbeitnehmerrechte“, stellt Heidt fest. Nach wie vor gebe es das Büro der internationalen Arbeitsorganisation in Katar. „Katar ist in gewisser Weise in der Region Vorreiter. Wir müssen nun erreichen, dass das, was in einem so kleinen Land wie Katar, auch in einem großen Land wie Saudi-Arabien geschieht“, sagt Heidt. Dabei dürfe man allerdings auch nicht verkennen, dass die menschenrechtliche Lage in Saudi-Arabien heute schlechter ist als sie es bei der Vergabe der WM an Katar 2010 gewesen ist.
„Meine Vorstellung ist, dass auf der arabischen Halbinsel ein Prozess in Gang kommt, der insgesamt in der Region etwas verändert im Blick auf die Menschenrechte.“ Es gebe momentan auf der Welt so viele Problemfelder, die Menschenrechte würden immer mehr eingeschränkt. „Aber vielleicht kann man dort eine Gegenbewegung in Gang setzen.“ Den Gesprächsfaden abreißen zu lassen, kommt für Heidt nicht in Frage. Stattdessen gelte es, im Dialog zu blieben.
Die wirtschaftliche Vernetzung müsse dazu genutzt werden, das zu erleichtern. Mit seinem Eintreten für Abdulrahman al-Sadhan wolle er nicht nur diesem helfen, sondern insgesamt einen Beitrag zu einem Wandel hin zu mehr Menschenrechtsschutz leisten. „Deshalb setze ich mich bewusst für einen saudischen Gefangenen ein, weil ich als Menschenrechtspolitiker in dieses Land hineinwirken und mit denen über Menschenrechte ins Gespräch kommen will.“
„Haben Verpflichtung etwas zu tun“
Sich als deutscher Parlamentarier für Abdulrahman al-Sadhan einzusetzen, entspreche seinem Selbstverständnis als Abgeordneter, erklärt Heidt. „Aus dem sicheren Umfeld der Freiheit“ erwachse „eine Verpflichtung, etwas zu tun“. Als Mitglied im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe und als Sprecher für Menschenrechte seiner Fraktion habe er fast täglich mit Menschen aus den verschiedensten Ländern zu tun, die sich, oft unter Gefahr für Leib und Leben, für die Menschenrechte einsetzen.
Die Möglichkeiten der Einwirkung von außen seien natürlich, auch für deutsche Parlamentarier, beschränkt, man dürfe keine Bedingungen stellen, weiß Heidt. „Aber wir können schon ordentlich Druck aufbauen, über die Öffentlichkeit, die Medien. Wenn wir es schaffen, die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Fall zu lenken, dann bekommen die Verantwortlichen das durchaus mit und bewegen sich.“
Hinzu komme die persönliche Ansprache der Verantwortlichen, selbst an höchster Stelle. In einem Schreiben habe er vor einigen Monaten an den saudischen König Salman ibn Abd al-Aziz appelliert, Abdulrahman al-Sadhan zu begnadigen. Eine Antwort habe er bislang nicht erhalten, so Heidt. Aber der Monarch spiele vermutlich momentan seine Macht aus. Man müsse eben warten, bis der Erfolg sich einstelle.
Dem König geschrieben zu haben sei aber, egal wie die Reaktion ausfallen werde, wichtig gewesen. „Wir müssen diesem Land, dass sich der Welt zuwendet, sei es wirtschaftlich, im Sport oder im Tourismus, zeigen, dass wir dann auch überall genau hinsehen.“ Damit helfe man im Einzelfall, aber auch insgesamt, die Menschenrechte zu stärken.
Erfolge, die beflügeln
Die Freilassung des Whistleblowers Julian Assange im Sommer 2024 habe ihn sehr glücklich gemacht, so Heidt. Das, wie auch die Absage der Eishockeyweltmeisterschaft 2019 in Belarus, zeige, dass der beharrliche Einsatz für die Menschenrechte am Ende von Erfolg gekrönt sein könne. Das Engagement vieler entfalte auf jeden Fall eine Wirkung, so der Menschenrechtspolitiker. Die Arbeit der Parlamentarier sei dabei ein kleines, aber besonderes Mosaiksteinchen.
„Wir unterschätzen manchmal, was wir für Aufmerksamkeit bekommen, wenn wir uns für einen Menschenrechtler einsetzen“, sagt Heidt. „Wir haben als deutsche Parlamentarier eine unglaubliche Resonanz in der Welt.“ Unzählige Protestbriefe der Parlamentarier an den Eishockeyverband gegen Belarus als Austragungsort hatten 2019 schließlich Wirkung gezeigt, als der Hauptsponsor die Reißleine zog und verkündete: Da gehen wir nicht hin.
Zu den Erfolgen gehört für Heidt auch, wenn ein vietnamesischer Menschenrechtsverteidiger, für dessen Freilassung er sich eingesetzt habe und der mit seiner Familie schließlich Asyl in Deutschland erhalten habe, nach einem langen Gespräch zu ihm sage: Gerade hat meine Frau das erste Mal wieder gelächelt. „Das hat mich bewegt. Da war dann wieder etwas Menschlichkeit vorhanden. Am Einzelfall zeigt sich immer wieder wie sehr die Menschen leiden.“
Im Kleinen zeige sich damit auch, wie wichtig Menschenrechtspolitik ist und was sie bewirkt. Einzelnen Politikern und Menschenrechtsaktivisten lässt auch das PsP-Programm Schutz und Hilfe zukommen. Gleichzeitig mit diesem starken individuellen Statement zielt es darauf, dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Universalität der Menschenrechte Rückenwind zu verleihen. Für die kommende Wahlperiode seien dem Programm weitere Unterstützerinnen und Unterstützer zu wünschen, so Peter Heidt. (ll/28.12.2024)