Parlament

Hermann Otto Solms will Vertrauen in eine wehr­hafte Demokratie stärken

Das Amt des Alterspräsidenten ist parlamentarische Tradition und Teil der Geschäftsordnung des Bundestages. Ein Amt von hoher Würde, aber nur von kurzer Dauer. Es hat sich nach traditioneller Praxis mit der Wahl des neuen Bundestagspräsidenten erschöpft. Obwohl er nicht in sein Amt gewählt wird, ist es anerkannte Tradition, dass der Alterspräsident die erste Rede vor dem Plenum hält. Bisher haben alle Alterspräsidenten der Bundesrepublik von dieser Tradition Gebrauch gemacht und dabei eigene Akzente gesetzt.

2017: Dr. Hermann Otto Solms (FDP) eröffnet die konstituierende Sitzung des 19. Deutschen Bundestages am 24. Oktober. Mit 709 Abgeordneten ist es die bisher größte Volksvertretung in der Geschichte der Bundesrepublik. Erstmals seit 60 Jahren sind sieben Parteien und sechs Fraktionen im Parlament vertreten. Neben CDU, CSU, SPD, der Linken und Bündnis 90/Die Grünen ist auch die FDP, nach ihrem Ausscheiden 2013, wieder dabei. Neu dabei ist die AfD.

33 Jahre Parlamentszugehörigkeit

Solms ist der erste Alterspräsident seit Bestehen des Deutschen Bundestages 1949, der nicht in seiner Eigenschaft als ältester Abgeordneter, sondern nach einer Neuregelung der Geschäftsordnung als dienstältester Abgeordneter die erste Rede vor dem Plenum hält. Dabei ist der 13. Alterspräsident weder der älteste noch der dienstälteste Parlamentarier. Mit fast 45 Jahren Parlamentszugehörigkeit hätte dieses Privileg eigentlich Dr. Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) zugestanden. Nach seinem Verzicht auf das Amt, als von seiner Fraktion für das Amt des Bundestagspräsidenten nominierter Kandidat, ist Solms nun als zweitdienstältester Abgeordneter für dieses Amt im 19. Deutschen Bundestag qualifiziert.

Mit 33 Jahren als Bundestagsabgeordneter kann auch der Liberale auf eine lange Parlamentserfahrung zurückgreifen. Nach einem Studium der Wirtschaftswissenschaften und der Landwirtschaft war Solms zunächst von 1973 bis 1976 als persönlicher Referent der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke (FDP) tätig. 1977 und 1978 war er Steuer- und Finanzreferent der FDP-Fraktion, bevor er 1980 selbst in den Bundestag einzog und dort fünf Jahre später Fraktionsvize wurde.

1991 übernahm er den Fraktionsvorsitz, den er bis 1998, dem Ende des schwarz-gelben Regierungsbündnisses, innehatte. 1998 wählten ihn die Abgeordneten zu einem seiner Vizepräsidenten – ein Amt, dass er bis zu seinem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 ausübte. 2017 kehrt der 76-Jährige in den Bundestag zurück und eröffnet als Alterspräsident die erste Sitzung des 19. Deutschen Bundestages.

Verweis auf die Geschäftsordnung

Anders als seine Amtsvorgänger eröffnet er als erster Alterspräsident nach der Neuregelung die konstituierende Sitzung nicht mehr mit dem Verweis auf sein Alter und der Frage, ob es noch einen älteren anwesenden Abgeordneten gebe, sondern mit einem Verweis auf die Geschäftsordnung: „Es entspricht der ständigen Übung, zu Beginn der konstituierenden Sitzung nach den Regelungen der bisherigen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu verfahren.“

Entsprechend der Neuregelung des Paragrafen 1 Absatz 2 sagt er: „Herr Dr. Wolfgang Schäuble ist das Mitglied, das dem Deutschen Bundestag am längsten angehört. Er hat jedoch auf das Amt des Alterspräsidenten verzichtet. Damit rückt das am zweitlängsten dem Bundestag angehörende Mitglied nach. Ich war von 1980 bis 2013, also 33 Jahre, Mitglied des Deutschen Bundestages. Ist jemand unter Ihnen, der dem Bundestag länger angehört? – Das scheint offenkundig nicht der Fall zu sein. Dann trifft es also tatsächlich zu, dass die Rolle des Alterspräsidenten auf mich zukommt. Es ist mir eine Ehre und Freude zugleich, den Vorsitz bis zur Amtsübernahme durch den neu gewählten Präsidenten des Deutschen Bundestages zu übernehmen.“

Persönliche Bemerkung zum Auftakt 

Bevor der Alterspräsident seine traditionelle Ansprache beginnt, begrüßt er auf der Tribüne Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier sowie die ehemalige Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth und die ehemaligen Bundestagspräsidenten Dr. h. c. Wolfgang Thierse und Prof. Dr. Norbert Lammert. Darüber hinaus gilt sein Gruß Inge Deutschkron, die als Überlebende in der Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus am 30. Januar 2013 vor dem Bundestag die Rede gehalten hatte.

Hermann Otto Solms stellt seiner Ansprache eine persönliche Bemerkung voran: „Ich freue mich ganz außerordentlich, dass gerade ich als Mitglied der Fraktion der Freien Demokraten die Sitzungsperiode des 19. Deutschen Bundestages eröffnen darf. Nach vier schwierigen Jahren in der außerparlamentarischen Opposition haben wir das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler zurückgewonnen.“

Verantwortung und Verpflichtung für die staatliche Ordnung

Wie viele seiner Vorgänger verbindet auch er seine Rede mit einem Appell an das Verantwortungsbewusstsein der Parlamentarier. „Abgeordneter des Deutschen Bundestages zu sein ist eine große Ehre, aber eine noch viel größere Verpflichtung; dieser müssen wir alle in den nächsten Jahren gerecht werden. Der Deutsche Bundestag ist das einzige direkt vom Volk legitimierte Staatsorgan. Er steht damit im Mittelpunkt unserer staatlichen Ordnung, auf den sich alle anderen Organe beziehen.“

Solms ermuntert sie auch zu mehr Selbstbewusstsein: Der Bundestag wähle die Bundesregierung und nicht umgekehrt. „Der Bundestag bestimmt die politischen Zielsetzungen und die grundsätzlichen Lösungswege. Die Regierung führt sie aus.“ Er warnt davor „Sonderregelungen zu schaffen, auszugrenzen oder gar zu stigmatisieren.“

Bezugnehmend auf das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 sagt er: „Das Wahlergebnis vom 24. September hat die Kräfteverhältnisse im 19. Deutschen Bundestag stärker verändert, als gemeinhin erwartet wurde, und zugleich auch die politischen Rollen neu verteilt.“ Diese Wählerentscheidung sei zu akzeptieren. „Wir alle haben das gleiche Mandat, gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten.“

Plädoyer für eine lebensnahe Debattenkultur

Solms beklagt, dass die „gefühlte Distanz zwischen Bürgern und Politik“ in den vergangenen Jahren gewachsen sei. Er fordert „lebendige und lebensnahe Debatten“, die die Bürger auch verstehen. Der Bundestag sei der zentrale Ort der Entscheidungen und müsse das Vertrauen in eine wehrhafte Demokratie stärken. Strittige Themen müssten im Bundestag demokratisch ausgetragen werden.

Es sei notwendig, dass ab sofort im Parlament wieder mehr und über alles diskutiert werde. Hier kämen die unterschiedlichen Strömungen in dem Verhältnis zur Geltung, wie sie von den Wählern Unterstützung erhalten haben. Dabei müsse allerdings gelten: „Maßvoll im Ton, bestimmt in der Sache.“ Die gemeinsame Aufgabe aller sei es deshalb, „die gesellschaftlichen Debatten unserer Zeit wieder dahin zurückzuholen, wo sie hingehören, nämlich hierhin, in den Deutschen Bundestag“.

Angesichts der Größe des Bundestages spricht er sich für eine rasche Reform des Wahlrechts aus, um die Funktionsfähigkeit des Bundestags nicht zu schwächen. Abschließend ruft er die Abgeordneten auf, den Bürgern zu beweisen, „dass unsere Demokratie hohe Integrationskraft besitzt, dass wir nicht sprachlos gegenüber Hetze und Parolen sind, dass wir Provokationen Argumente entgegensetzen und dass wir ernsthaft Lösungen für die Probleme der Zukunft finden“. (klz/15.03.2021)