Vor 30 Jahren: Der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ wird unterzeichnet
„Er ist eines der herausragenden europäischen Vertragswerke der Nachkriegsperiode.“ Lothar de Maizière scheute keine Superlative, als er die DDR-Volkskammer am 20. September 1990 über die abschließenden Verhandlungen zum Zwei-Plus-Vier-Vertrag unterrichtete. Der Vertrag, der zum 15. März 1991 in Kraft treten sollte, sei, so betonte der DDR-Ministerpräsident, „ein Grundstein für ein Zeitalter des Friedens, der Freiheit und der Zusammenarbeit, und er beschreitet gleichzeitig den Weg dafür, dass das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt“.
Wenige Tage zuvor, am 12. September 1990, hatte de Maizière gemeinsam mit dem westdeutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher und seinen vier Amtskollegen aus der Sowjetunion, den USA, England und Frankreich seine Unterschrift unter jenen Vertrag gesetzt, der eine diplomatische Meisterleistung genannt werden kann.
Schwierige Verhandlungen
In vier Verhandlungsrunden zwischen Mai und September 1990 waren die Verhandlungsführer der beiden deutschen Teilstaaten mit den vier Siegermächten des Zweiten Weltkriegs in allen außen- und sicherheitspolitischen Fragen der deutschen Einheit übereinkommen. Dabei war der Ausgang der Verhandlungen bis zuletzt ungewiss, ein Scheitern jederzeit möglich gewesen.
Hochbrisant waren die Punkte, die es zu klären galt: Wo sollten die Grenzen eines vereinten Deutschlands verlaufen? Welchem Militärbündnis sollte es angehören? Was hatte mit den deutschen und ausländischen Streitkräften zu geschehen, die noch auf deutschem Boden stationiert waren? In einer anderen politischen Konstellation, mit anderen Köpfen an der Spitze der Staaten und einer vor allem in finanzieller Hinsicht stabileren Sowjetunion wäre eine Einigung wohl niemals so schnell zustande gekommen.
„Abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“
Am Ende unterzeichneten die Verhandlungspartner ein Werk von historischer Tragweite. Hinter dem – wie er in korrektem Amtsdeutsch heißt – „Vertrag über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland“ verbarg sich nicht weniger als die Rückgabe der 1945 eingebüßten vollen Souveränität an Deutschland. Bis Ende 1994 sollten alle sowjetischen Truppen aus der DDR abziehen und die Rechte der vier Mächte in Berlin und ganz Deutschland erlöschen.
Indessen mischte sich in die Freude einer bevorstehenden Einheit bei den europäischen Nachbarn auch Unbehagen vor einem Deutschland, das Mitteleuropa flächenmäßig dominieren würde. Um dem entgegenzuwirken, sollten die bestehenden Grenzen und damit insbesondere die Oder-Neiße-Linie als Grenze zu Polen endgültig anerkannt und damit Gebietsansprüche ausgeschlossen werden.
Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze
Polen hatte vergeblich versucht, am bei den Verhandlungen am Konferenztisch neben den vier Siegermächten zu sitzen. US-Präsident George Bush versuchte zu vermitteln, man solle den Deutschen vertrauen. Als ausschließlich deutsch-polnische Angelegenheit wurde die Oder-Neiße-Frage dann in einem eigenen Vertrag im November 1990 geregelt. Eine entsprechende Garantie, zumindest ein Teilerfolg für Polen, fand dennoch Eingang in den Zwei-plus-Vier-Vertrag.
Darin heißt es gleich im ersten Artikel: „Das vereinte Deutschland wird die Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, der Deutschen Demokratischen Republik und ganz Berlins umfassen.“ Die Außengrenzen dieser Gebiete seien „endgültig“, dies sei „ein wesentlicher Bestandteil der Friedensordnung in Europa“.
Die Frage des militärischen Status
Ein weiterer Streitpunkt war die Frage nach dem künftigen militärischen Status Deutschlands. Seit 1955 war die Bundesrepublik Mitglied im westlichen Verteidigungsbündnis Nato, und die amerikanische Regierung ließ von Anfang keinen Zweifel daran, dass Deutschland auch nach einer Wiedervereinigung seinen Verpflichtungen in dem westlichen Militärbündnis nachkommen solle. Die Sowjetunion indessen drang zunächst auf ein neutrales Deutschland, gab diese Position aber im Zuge der Verhandlungen auf, jedoch nicht ohne Sicherheitsgarantien innerhalb der Nato zu fordern.
So verpflichtete sich Deutschland im „Zwei-plus-Vier-Vertrag“, seine Streitkräfte auf 370.000 Mann zu beschränken. Ebenso durften fortan der Nato angehörende deutsche Truppen, aber keine ausländischen Streitkräfte, keine Atomwaffen und keine Atomwaffenträger auf ostdeutschem Gebiet stationiert werden. Zudem, so regelt es Artikel 3 des Vertrages, sollte ein vereintes Deutschland auch künftig auf atomare, biologische und chemische Waffen verzichten.
Ende der Nachkriegszeit
Einhellig gaben sich die Fraktionen der DDR-Volkskammer in einer Aussprache über den Vertrag am 20. September 1990. „Auf uns kommt eine Zeit neuartiger Bewährung zu“, betonte die PDS-Abgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann. „Denn das, was Deutschland vor 1945 Europa und der Welt angetan hat, hat sich tief in das Gedächtnis unserer Nachbarvölker und der jüdischen Menschen eingegraben.“ Die Unterzeichnung des Vertrages solle daher zum Markstein und Motor der europäischen Einigung werden. „Ein wirklich souveränes Deutschland“, so Kaufmann, „kann nur ein zutiefst europäisches Deutschland sein.“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Ortleb hielt fest: „Bisher haben Verträge, die Krieg beziehungsweise die Nachkriegszeit beenden sollten, den Keim für kommendes Unheil in sich getragen. Die Ergebnisse, die heute und hier zu würdigen sind, eröffnen hingegen Friedensperspektiven, weil sie Rache und Vergeltung, Niederhaltung und Demütigung nicht kennen, weil sie vom Geist der Demokratie, der Gerechtigkeit inspiriert sind.“
„Verpflichtendes Erbe des neuen Deutschland“
Für die zurückerhaltene Souveränität, forderte der SPD-Abgeordnete Markus Meckel in seiner Rede, habe man allen Staaten zu danken. „Voraussetzung aber dafür war – und das sollten wir nicht vergessen –, dass die Völker Ost- und Mitteleuropas und die Deutschen in der DDR die Fesseln des Stalinismus abwarfen, sich für Freiheit und Demokratie entschieden und diese erkämpften.“ Die Solidarität und Verbundenheit mit diesen Völkern, unterstrich Meckel, der von April bis August 1990 als DDR-Außenminister amtierte, „gehört in das verpflichtende Erbe des neu entstehenden Deutschland“.
Dreizehn Tage später war die DDR Geschichte. 45 Jahre nach Kriegsende hatte Deutschland seine Einheit und volle Souveränität zurückerhalten. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag markiert damit auch das Ende der Nachkriegszeit in Europa. (rad/03.09.2020)