Enquete-Kommission Afghanistan

Afghanistan-Enquete über­gibt Abschluss­bericht an Bärbel Bas

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nimmt den Abschlussbericht der Afghanistan-Enquete entgegen. Neben ihr: Michael Müller (rechts) und Peter Beyer (links).

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas nimmt den Abschlussbericht der Afghanistan-Enquete entgegen. Neben ihr: Michael Müller (rechts) und Peter Beyer (links). (© DBT/Juliane Sonntag/photothek)

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat am Dienstag, 28. Januar 2025, den Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ entgegengenommen. Das mehr als 100 Seiten umfassende Dokument (20/14500) wurde ihr von Michael Müller (SPD), Vorsitzender der Enquete-Kommission und Peter Beyer (CDU/CSU), Mitglied der Enquete-Kommission, überreicht.

Der Bericht war am Montag von der Kommission verabschiedet worden und soll am Freitag, 31. Januar 2025, Gegenstand einer Plenardebatte im Bundestag sein. Die Bundestagspräsidentin würdigte bei dem Fototermin die knapp dreijährige Arbeit der Enquete und wünschte dem Bericht Gehör seitens der Verantwortlichen der nächsten Bundesregierung sowie seitens der Parlamentarier der kommenden Wahlperiode. 

Mit der trotz des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode rechtzeitigen Vorlage des Berichts habe das parlamentarische Gremium aus Politikern und Wissenschaftlern seine schnelle Reaktionsfähigkeit und Professionalität unter Beweis gestellt. Das sei auf die konstruktive Zusammenarbeit innerhalb der Kommission zurückzuführen, lobte Müller die gute Arbeitsatmosphäre in dem Gremium. „Alle waren an dem Thema interessiert. Es gab keine parteipolitischen Spielchen.“

Empfehlungen auch nach innen

Mit seinen mehr als 70 ins Detail gehenden Empfehlungen wolle der Abschlussbericht ein Handlungskompendium für die Politik in der Zukunft sein, sagte Beyer, nachdem man in dem Zwischenbericht vom vergangenen Jahr den Fokus auf die Analyse des zwanzig Jahre dauernden Afghanistaneinsatzes gerichtet habe.

Im Kern habe die Analyse des Afghanistaneinsatzes eine mangelnde Kohärenz und Effizienz des damaligen Regierungshandelns ergeben, so Beyer. Die Empfehlungen, die man nun im Abschlussbericht ausspreche, bezögen sich daher nicht nur auf Auslandseinsätze der Bundeswehr und das Geschehen im Krisengebiet, sondern seien auch nach innen und auf organisatorische und strukturelle Veränderungen und Verbesserungen gerichtet.

Rolle des Parlaments bei der Kontrolle der Regierung

Daher rate die Enquete-Kommission künftigen Entscheidungs- und Handlungsträgern nicht nur, die einzelnen Bereiche des außen- und sicherheitspolitischen Handelns, vom Streitkräfteeinsatz bis zur humanitären Hilfe, von der Führungs- bis zur Arbeitsebene, besser miteinander zu vernetzen, erklärte Müller. Vielmehr müsse es darum gehen, dass auch die Abgeordneten im Parlament von der Regierung ein umfassendes, einheitliches Lagebild erhielten, um auf dieser Grundlage über Mandate entscheiden zu können. 

Die Enquete-Kommission schlage vor, dass sich die einzelnen, am internationalen Krisenmanagement beteiligten Ministerien künftig gemeinsam, abgestimmt, an ein einziges zuständiges parlamentarisches Gremium, etwa einen Unterausschuss für Kriseneinsätze, wenden müssten. „Da werden dann die Abgeordneten nochmal ganz anders unterrichtet.“

Bundestagspräsidentin Bas unterstrich die wichtige Rolle des Parlaments bei der Kontrolle der Regierung, was insbesondere auch für die Mandatierung und insgesamt die Begleitung von Auslandseinsätzen gelte. In einem Unterausschuss des Bundestages, wie man ihn etwa im Bereich der Unterausschüsse des Auswärtigen Ausschusses oder vom Unterausschuss Globale Gesundheit her kenne, könnte man entsprechend im Bereich des internationalen Krisenmanagements von Fall zu Fall schnell alle Kompetenzen gebündelt zusammenbringen.

72 Empfehlungen verfasst

Der nun über 100 Seiten umfassende Abschlussbericht enthält 72 Empfehlungen an Bundesregierung und Bundestag, wie der deutsche Beitrag zum internationalen Krisenmanagement vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan sowie angesichts sich wandelnder sicherheitspolitischer Herausforderungen in Zukunft aussehen sollte.

Nach Einschätzung der Enquete-Kommission sollte Deutschland dem internationalen Krisenmanagement weiter eine hohe Bedeutung beimessen und sich auch in Zukunft an Einsätzen beteiligen trotz der jüngsten Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung sowie der Fokussierung auf neue Herausforderungen wie die Abwehr von Cyberangriffen, Desinformationskampagnen und Sabotageaktivitäten.

„Ressortübergreifendes Gesamtbild zusammenführen“

„Zahlreiche Konflikte, globale Machtverschiebungen und zunehmende Instabilität in vielen Regionen der Welt, haben direkten Einfluss auf Deutschland und Europa“, heißt es in dem Bericht. Dies alles zusammen werde man künftig im Rahmen eines integrierten sicherheitspolitischen Ansatzes im Blick behalten müssen. 

Um Planung und Durchführung von Einsätzen des internationalen Krisenmanagements zu verbessern, komme es vor allem auf die Koordinierung innerhalb der Bundesregierung und ein optimales, vernetztes Zusammenwirken der unterschiedlichen Instrumente von Militär, Polizei, Diplomatie, Entwicklungspolitik, humanitärer Hilfe und wirtschaftlicher Zusammenarbeit an.

Die Kommission schlägt vor, zu diesem Zweck einen „neuen Kabinettsausschuss einzurichten oder den Sicherheitspolitischen Jour Fixe auf Ebene der Staatssekretäre auszuweiten und zu intensivieren“. In einem „gemeinsamen Lagezentrum“ sollten dabei „strategische Lagebilder, Analysen und Prognosen zu einem ressortübergreifenden Gesamtbild zusammengeführt“ werden. 

Nach Ansicht der Enquete gilt es außerdem, den Informationsfluss zwischen Ministerien und Bundestag zu intensivieren. Die Bundesregierung solle den Abgeordneten dazu „jährlich einen eingestuften Bericht zur sicherheitspolitischen Lage und strategischen Vorausschau vorlegen“.

Plädoyer für eigenständigen Unterausschuss

Um die Kontrollfunktion des Parlamentes zu stärken schlägt die Kommission zudem vor, einen „eigenständigen (Unter-)Ausschuss zu Vernetzten bzw. Integrierten Kriseneinsätzen“ einzurichten. Vor allem aber bedürfe es bei einem Krisenmanagement-Engagement aufseiten der Regierung einer klaren Strategie und realistischer Ziele. Sowohl die Erreichung der Ziele als auch die Ziele selbst seien regelmäßig zu überprüfen. 

Um eine angemessene personelle und materielle Ausstattung von Einsätzen zu gewährleisten, empfiehlt die Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht den „Aufbau einer strategischen zivilen Personalreserve“. Ebenso sollten bei der Bundeswehr einsatzrelevante Fähigkeiten für Internationales Krisenmanagement vorgehalten werden, heißt es in dem Bericht.

Auf internationaler Ebene weist der Bericht den Vereinten Nationen eine zentrale Rolle für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu und mahnt, die Handlungsfähigkeit der Welt-Organisation zu sichern. Um durch kollektives Handeln bessere Ergebnisse beim internationalen Krisenmanagement und bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen zu erzielen, müsse Deutschland aber auch die europäische Ebene stärken, die Kooperation innerhalb der Nato ausbauen und Partnerschaften mit Drittstaaten eingehen.

„Desinformationskampagnen vorbeugen“

„Für das Ziel selbsttragender Reform- und Wiederaufbauprozesse sollten nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure im Einsatzland sowie kleinere, vor Ort umsetzbare und in der lokalen Bevölkerung verankerte Projekte verstärkt berücksichtigt werden“, heißt es weiter.

Die Enquete-Kommission ist laut ihrem Bericht auch zu dem Schluss gekommen, dass „mehr öffentliche Diskussionen über die Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik erforderlich sind und dazu mehr Informationen verfügbar sein sollten“. Weiter heißt es in dem Bericht, „Einsätze sollten von einer klaren Kommunikation durch die Bundesregierung begleitet werden“. Und „um Desinformationskampagnen zu begegnen, sollten die Analysefähigkeiten, insbesondere auf Social-Media-Plattformen verbessert und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zwischen Bund und Ländern, aber auch auf internationaler Ebene intensiviert werden.“ Der Bericht enthält Sondervoten der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, AfD, CDU/CSU, FDP.

Auftrag der Kommission

Arbeitsauftrag der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ war, die Erfahrungen aus dem Afghanistaneinsatz der Bundeswehr und ziviler Kräfte zwischen 2001 und 2021, versehen mit konkreten Handlungsempfehlungen, für zukünftige internationale Einsätze nutzbar zu machen. 

Erstmals befasste sich eine Enquete-Kommission des Bundestages mit einem außen- und sicherheitspolitischen Thema. Die Enquete war im Juli 2022 auf Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingesetzt worden (20/2570) und ist nicht zu verwechseln mit dem etwa zeitgleich eingesetzten Untersuchungsausschuss, der die Verantwortlichkeiten für den überhasteten Rückzug aus Afghanistan klären sollte.

Das Gremium aus elf Parlamentariern aller Fraktionen und elf ständigen Sachverständigen unter dem Vorsitz von Michael Müller (SPD) und der stellvertretenden Vorsitzenden Serap Güler (CDU/CSU) legte nach eineinhalb Jahren, im Februar 2024, einen Zwischenbericht vor, in dem ein strategisches Scheitern des Afghanistan-Einsatzes festgestellt, aber dem internationalen Engagement auch Teilerfolge bescheinigt wurden (20/10400).

Soldaten, Diplomaten, Ministerialbeamte, Politiker, Polizisten, Entwicklungshelfer, Vertreter von internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftler und Mitglieder der ehemaligen afghanischen Regierung: Die Enquete-Kommission hat nicht nur eine Fülle von Dokumenten ausgewertet, sondern Beteiligte und Verantwortliche aus allen Bereichen des Afghanistan-Einsatzes als externe Sachverständige befragt. Davon zahlreiche in öffentlichen Anhörungen. Zu den hochrangigen Befragten gehörten Bundesminister a. D. Joschka Fischer, US-General a. D. David H. Petraeus und der ehemalige Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler. (ll/28.01.2025)