Enquete-Kommission Afghanistan

Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan“

Der Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ (20/14500) war am Freitag, 31. Januar 2025, Gegenstand einer Plenardebatte im Deutschen Bundestag.

SPD: Werden künftig stärker gefordert sein

Trotz der verkürzten Wahlperiode sei es der Enquete-Kommission gelungen, rechtzeitig ihren Abschlussbericht vorzulegen und diesen einstimmig zu verabschieden. Das sei keine Selbstverständlichkeit, sagte Michael Müller (SPD), der den Vorsitz des Gremiums innehatte, das gemäß seinem Auftrag den Einsatz ziviler und militärischer Kräfte in Afghanistan zwischen 2001 und 2022 analysieren und daraus Handlungsempfehlungen für das internationale Krisenmanagement in Zukunft ableiten sollte.

In Afghanistan sei die Staatengemeinschaft strategisch gescheitert. In ihrem Zwischenbericht vom Februar 2024 habe die Enquete-Kommission aufgeschrieben, was nicht gut gelaufen sei. Aber nun gelte es nach vorne zu blicken. „Wir können nicht beiseite stehen angesichts vieler Konflikte und werden künftig stärker gefordert sein“, erklärte Müller. 

Der Abschlussbericht ziele darauf, das internationale Krisenmanagement zu verbessern. Sämtliche Bereiche müssten stärker miteinander vernetzt und ein ressortübergreifendes Lagezentrum eingerichtet werden. Einer ressortgemeinsamen Struktur auf Regierungsebene müsse auf parlamentarischer Ebene mindestens ein Unterausschuss entsprechen, der im Bereich des internationalen Krisenmanagements von der Regierung ein abgestimmtes Bild einfordere. 

Union: Solide Handlungsgrundlage

Mit dem Bericht mit seinen „72 sehr konkreten Empfehlungen“ gebe man den künftigen Bundesregierungen eine „solide Handlungsgrundlage“, sagte Peter Beyer (CDU/CSU). Um eine „echte Zeitenwende“ zu erreichen, gelte es die Außen- und Sicherheitspolitik Deutschlands „deutlich effektiver“ zu gestalten. 

Haupterkenntnis der Analyse des Afghanistaneinsatzes sei gewesen, dass es bei dem zwanzigjährigen Engagement Koordinierungsdefizite zwischen den einzelnen Ministerien gegeben habe, sagte Beyer. Um dem Rechnung zu tragen und mehr als nur die bisherigen Instrumente „aufzumöbeln“, habe seine Fraktion sich in einem Sondervotum zum Bericht für die Einrichtung eines nationalen Sicherheitsrates ausgesprochen.

Ein solches neues Gremium würde sämtliche sicherheitsrelevanten Informationen im Bundeskanzleramt zusammenführen, die Entscheidungsfindung der Regierung erleichtern und so die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik erheblich stärken, die dann mit einer einheitlichen Stimme spreche. Damit werde Deutschland den gewandelten Herausforderungen gegenüber besser gewappnet sein und komme seiner Verantwortung für ein handlungsfähiges Europa nach. 

Grüne: Kompass für künftige Politik

In Afghanistan habe die Bundesrepublik eine ihrer größten außenpolitischen Niederlagen erlitten, sagte Schahina Gambir (Bündnis 90/Die Grünen). Es sei wichtig aus diesen Fehlern zu lernen. „So wie wir in Afghanistan gescheitert sind, dürfen wir nie wieder scheitern.“ Die Enquete-Kommission „Lehren aus Afghanistan für das künftige vernetzte Engagement Deutschlands“ habe „zum ersten Mal einen Auslandseinsatz vollständig aufgearbeitet und ausgewertet“. 

Die Lehren, niedergelegt in dem Bericht der Kommission, sollten zu einem „Kompass für die künftige Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik“ werden. Es müsse ein Umdenken stattfinden, um, sei es in der Ukraine oder in Syrien, alte Fehler nicht zu wiederholen und flexibel auf neue, dynamische Herausforderungen reagieren zu können.

AfD: Einsatz ist absehbar gescheitert

Der Afghanistaneinsatz sei „absehbar gescheitert“, erklärte Jan Ralf Nolte (AfD). „Je länger der Einsatz dauerte“, desto deutlicher habe sich das Scheitern dieses verlustreichsten und teuersten Einsatzes der deutschen Nachkriegsgeschichte abgezeichnet. Das Jahr 2011 habe dabei einen „Kipppunkt“ markiert, von wo an die Sicherheitslage in dem Land immer schlechter geworden sei und die Taliban immer mehr an Zulauf gewonnen hätten. 

Einer fremden Kultur eine neue Staatsform, andere Werte und Normen geben zu wollen, von dieser Zielsetzung müsse man sich künftig verabschieden. Um das Engagement immer wieder zu verlängern, hätten sich Regierung und Parlament bei der Formulierung der Mandatsziele nicht ehrlich gemacht. Hauptsächlich habe Deutschland mit seinem Afghanistan-Engagement unterstreichen wollen, ein verlässlicher Partner der USA zu sein. 

FDP: Kritische Bestandsaufnahme

In so kurzer Zeit doch noch den Abschlussbericht vorgelegt zu haben, das sei man sowohl den damaligen als auch künftigen Einsatzkräften schuldig, sagte Christian Sauter (FDP). Der Bericht der Enquete-Kommission stelle eine „kritische und deutliche Bestandsaufnahme“ des „als gescheitert geltenden“ Engagements dar. Nicht gescheitert seinen jedoch die beteiligten Einsatzkräfte, denen man zu Dank verpflichtet sei. 

Nachdem die Kommission in dem 2024 vorgelegten Zwischenbericht Lehren aus dem zwanzig Jahre dauernden Einsatz gezogen habe, liefere der Abschlussbericht Handlungsempfehlungen für künftige vernetzte Einsätze. Die FDP-Fraktion unterstütze die Idee eines nationalen Sicherheitsrates beim Bundeskanzleramt, wo alle Informationen zusammenlaufen sollten. 

72 Empfehlungen verfasst

Der nun über 100 Seiten umfassende Abschlussbericht enthält 72 Empfehlungen an Bundesregierung und Bundestag, wie der deutsche Beitrag zum internationalen Krisenmanagement vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Afghanistan sowie angesichts sich wandelnder sicherheitspolitischer Herausforderungen in Zukunft aussehen sollte.

Nach Einschätzung der Enquete-Kommission sollte Deutschland dem internationalen Krisenmanagement weiter eine hohe Bedeutung beimessen und sich auch in Zukunft an Einsätzen beteiligen trotz der jüngsten Rückbesinnung auf die Landes- und Bündnisverteidigung sowie der Fokussierung auf neue Herausforderungen wie die Abwehr von Cyberangriffen, Desinformationskampagnen und Sabotageaktivitäten.

„Ressortübergreifendes Gesamtbild zusammenführen“

„Zahlreiche Konflikte, globale Machtverschiebungen und zunehmende Instabilität in vielen Regionen der Welt, haben direkten Einfluss auf Deutschland und Europa“, heißt es in dem Bericht. Dies alles zusammen werde man künftig im Rahmen eines integrierten sicherheitspolitischen Ansatzes im Blick behalten müssen. Um Planung und Durchführung von Einsätzen des internationalen Krisenmanagements zu verbessern, komme es vor allem auf die Koordinierung innerhalb der Bundesregierung und ein optimales, vernetztes Zusammenwirken der unterschiedlichen Instrumente von Militär, Polizei, Diplomatie, Entwicklungspolitik, humanitärer Hilfe und wirtschaftlicher Zusammenarbeit an.

Die Kommission schlägt vor, zu diesem Zweck einen „neuen Kabinettsausschuss einzurichten oder den Sicherheitspolitischen Jour Fixe auf Ebene der Staatssekretäre auszuweiten und zu intensivieren“. In einem „gemeinsamen Lagezentrum“ sollten dabei „strategische Lagebilder, Analysen und Prognosen zu einem ressortübergreifenden Gesamtbild zusammengeführt“ werden. 

Nach Ansicht der Enquete gilt es außerdem, den Informationsfluss zwischen Ministerien und Bundestag zu intensivieren. Die Bundesregierung solle den Abgeordneten dazu „jährlich einen eingestuften Bericht zur sicherheitspolitischen Lage und strategischen Vorausschau vorlegen“.

Kontrollfunktion des Parlaments 

Um die Kontrollfunktion des Parlamentes zu stärken schlägt die Kommission zudem vor, einen „eigenständigen (Unter-)Ausschuss zu Vernetzten bzw. Integrierten Kriseneinsätzen“ einzurichten. Vor allem aber bedürfe es bei einem Krisenmanagement-Engagement aufseiten der Regierung einer klaren Strategie und realistischer Ziele. Sowohl die Erreichung der Ziele als auch die Ziele selbst seien regelmäßig zu überprüfen. 

Um eine angemessene personelle und materielle Ausstattung von Einsätzen zu gewährleisten, empfiehlt die Enquete-Kommission in ihrem Abschlussbericht den „Aufbau einer strategischen zivilen Personalreserve“. Ebenso sollten bei der Bundeswehr einsatzrelevante Fähigkeiten für Internationales Krisenmanagement vorgehalten werden, heißt es in dem Bericht.

Auf internationaler Ebene weist der Bericht den Vereinten Nationen eine zentrale Rolle für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu und mahnt, die Handlungsfähigkeit der Welt-Organisation zu sichern. Um durch kollektives Handeln bessere Ergebnisse beim internationalen Krisenmanagement und bei der Bekämpfung hybrider Bedrohungen zu erzielen, müsse Deutschland aber auch die europäische Ebene stärken, die Kooperation innerhalb der Nato ausbauen und Partnerschaften mit Drittstaaten eingehen.

„Desinformationskampagnen vorbeugen“

„Für das Ziel selbsttragender Reform- und Wiederaufbauprozesse sollten nichtstaatliche und zivilgesellschaftliche Akteure im Einsatzland sowie kleinere, vor Ort umsetzbare und in der lokalen Bevölkerung verankerte Projekte verstärkt berücksichtigt werden“, heißt es weiter.

Die Enquete-Kommission ist laut ihrem Bericht auch zu dem Schluss gekommen, dass „mehr öffentliche Diskussionen über die Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik erforderlich sind und dazu mehr Informationen verfügbar sein sollten“. Weiter heißt es in dem Bericht, „Einsätze sollten von einer klaren Kommunikation durch die Bundesregierung begleitet werden“. 

Und „um Desinformationskampagnen zu begegnen, sollten die Analysefähigkeiten, insbesondere auf Social-Media-Plattformen verbessert und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zwischen Bund- und Ländern, aber auch auf internationaler Ebene intensiviert werden.“ Der Bericht enthält Sondervoten der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen, AfD, CDU/CSU, FDP. (ll/hau/31.01.2025)