Debatte zum Afghanistan-U-Ausschuss: Erkenntnisse der Fraktionen decken sich
Bei einer Vereinbarten Debatte über die Arbeit des Afghanistan-Untersuchungsausschusses am Donnerstag, 30. Januar 2025, im Bundestag priesen, bis auf die AfD, fast alle Obleute die konstruktive Zusammenarbeit im Ausschuss. Die Erkenntnisse der Fraktionen deckten sich überwiegend. Hintergrund der Aussprache war der Abschluss der Beweisaufnahme im 1. Untersuchungsausschuss.
SPD fordert strukturelle Korrekturen
Nachdem er die intensive Arbeit des Ausschusses umrissen hatte, erklärte der Ausschussvorsitzende Dr. Ralf Stegner (SPD), der Ausschuss habe seinen Auftrag, den Abzug aus Afghanistan und den Umgang mit den afghanischen Ortskräften gründlich aufzuklären, erfüllt. Noch zwei Tage vor dem Fall Kabuls, habe das BND das für unwahrscheinlich gehalten und das sei „eine Fehleinschätzung mit dramatischen Konsequenzen“ gewesen. Er beanstandete die mangelnde Abstimmung zwischen Ministerien, warf dem Bundeskanzleramt vor, zu wenig gesteuert zu haben.
Jörg Nürnberger (SPD) sagte, die damalige Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) habe die eskalierende Lage in Afghanistan zu spät erkannt und keinen belastbaren Notfallplan für ein Worst-Case-Szenario gehabt. Deshalb sei, trotz der eskalierenden Lage, das Ortskräfteverfahren nicht zügiger vereinfacht geworden. Er forderte die Einführung klarer Verantwortlichkeiten und schnellerer Entscheidungsprozesse.
Union kritisiert „Wunschdenken“
Der Stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses Thomas Erndl (CDU/CSU) teilte die Kritik seiner Kollegen der SPD, wies jedoch zusätzlich darauf hin, dass das damals SPD-geführte Auswärtige Amt (AA) das zentrale Schaltstelle der Afghanistan-Politik gewesen ist. Die Bemühungen des AA, das Doha-Abkommen nachträglich mit Bedingungen zu verknüpfen, sei richtig gewesen, aber am Ende seien das Wunschdenken und die Realität auseinandergefallen.
Thomas Röwekamp (CDU/CSU) analysierte das Geschehene in vier Punkten: Die deutsche Politik habe keinen Einfluss auf den Zeitpunkt des Abzugs gehabt, die Bundeswehr habe sowohl den ursprünglichen Auftrag, dass kein Terror mehr aus Afghanistan ausgeht, erfüllt als auch den Abzug perfekt gemeistert, Deutschland habe sich nicht hinreichend um die Ortskräfte gekümmert und niemand habe die Entwicklungen gegen Ende des Einsatzes vorausgesehen.
Grüne: Es mangelte es politischer Wachsamkeit
Aus Sicht der Obfrau von Bündnis 90/Die Grünen, Sara Nanni, seien „die dramatischen Bilder“ im August 2021, trotz des „de facto Kapitulationsabkommens“ des damaligen US-Präsidenten Donald Trump, zu vermeiden gewesen. Die Bundesregierung habe gewusst, welche Folgen das Abkommen haben würde. Ihre Schlussfolgerung: „Es ist kein technisches Problem, kein Problem der Gremien gewesen, es war ein Problem der mangelnden politischen Aufmerksamkeit.“
Laut Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) seien noch Ortskräfte in Afghanistan und ihnen gegenüber habe Deutschland sein Wort nicht eingehalten. „Die dramatische Situation vor Ort für die Menschen in Afghanistan sollte uns weiterhin Warnung sein und Auftrag zugleich“, sagte sie.
FDP fordert Nationalen Sicherheitsrat
Dr. Ann-Veruschka Jurisch (FDP) mahnte, das sicherheitspolitische Denken stecke in Deutschland immer noch in den Kinderschuhen. Man sei von den Informationen und Kapazitäten der USA abhängig. „Wir brauchen ein strategisches Frühwarnsystem, robuste Strukturen und Prozesse“ sagte sie. Dafür brauche man einen Nationalen Sicherheitsrat.
Peter Heidt (FDP) bekräftigte diese Forderung: „Angesichts der zunehmenden sicherheitspolitischen Herausforderungen ist es essenziell, dass Deutschland seine Sicherheitsstruktur an die neuen geopolitischen Realitäten anpasst und die Schwachstellen konsequent adressiert.“
AfD: Ortskräfte nie bedroht gewesen
Stefan Keuter (AfD) beschuldigte Ex-Bundeskanzlerin Merkel und Ex-Außenminister Heiko Maas (SPD) zu lügen. Er äußerte den Verdacht, dass das Parlament bewusst getäuscht und „mit dem Leben unserer deutschen Landsleute“ gespielt wurde. Die Ortskräfte seien nie gefährdet gewesen und die Luftwaffe sei verfassungswidrig zum Transport von ausländischen Zivilisten eingesetzt worden.
Keuter kritisierte auch den Untersuchungsausschuss, dem er selbst angehört. Es sei eine Aufklärung nach dem Motto, „wasch mich, aber mach mich nicht nass“. Dem Vorsitzenden Stegner unterstellte Keuter den Ausschuss in ein „Zeugenschutzprogramm zu verwandeln.“ E-Mails und Dokumente des AA seien unterschlagen worden, behauptete er. Für diese Beschuldigungen wurde Keuter von allen Fraktionen heftig kritisiert.
Linke: Politisches Versagen ohne Entschuldigung
Die Abgeordnete Clara Bünger (Gruppe Die Linke), die Mitglied des Ausschusses war, bis Die Linke ihren Fraktionsstatus verlor, beschuldigte die Bundesregierung ihre afghanischen Verbündete im Stich gelassen zu haben. Das sei ein politisches Versagen ohne Entschuldigung.
Sie nannte es beschämend, dass heute sogar Menschen nach Afghanistan abgeschoben werden. „Mit Taliban arbeitet man nicht zusammen“, sagte sie.
Auftrag des 1. Untersuchungsausschusses
Der vom Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzte Ausschuss befasste sich mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Betrachtet wurde der Zeitraum vom 29. Februar 2020 – dem Abschluss des sogenannten Doha-Abkommens zwischen der US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump und Vertretern der Taliban – bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.
Der Ausschuss hatte den Auftrag, sich ein Gesamtbild zu den Erkenntnissen, dem Entscheidungsverhalten und dem Handeln der Bundesregierung einschließlich involvierter Bundesbehörden und Nachrichtendienste zu verschaffen, inklusive des Zusammenwirkens zwischen deutschen und ausländischen Akteuren. Ebenfalls aufgeklärt werden sollte, inwiefern die Bundesregierung auf die Umsetzung des Doha-Abkommens und die Gestaltung des Truppenabzugs durch die USA Einfluss genommen hat. Anhand der Untersuchungsergebnisse sollte der Ausschuss zudem in seinen Schlussfolgerungen empfehlen, welche Konsequenzen aus seinen gewonnenen Erkenntnissen zu ergreifen sind. (crs/31.01.2025)