Verbesserung des Opferschutzes im Strafgesetzbuch
Die CDU/CSU-Fraktion hat die Vorlage eines Gesetzentwurfs „zur Änderung des Strafgesetzbuches und weiterer Gesetze – Gesetz zur Verbesserung des Opferschutzes, insbesondere für Frauen und verletzliche Personen“ (20/12085) vorgelegt. Der Bundestag hat den Entwurf nach erster Lesung am Donnerstag, 4. Juli 2024, an den federführenden Rechtsausschuss zur weiteren Beratung überwiesen.
CDU/CSU: Gewaltkriminalität auf höchstem Stand seit 2007
Die zunehmende Verrohung der Gesellschaft stelle Deutschland vor immer ernstere Probleme und seine Rechtsordnung vor zusätzliche Aufgaben, sagte Prof. Dr. Günter Krings (CDU/CSU) zu Beginn der Debatte. Tagtäglich könne man von Messerangriffen, sexuellen Übergriffen und Gewalt gegen Frauen lesen. Wer hier von tragischen Einzelfällen rede, den belehre die aktuelle polizeiliche Kriminalstatistik und das Lagebild „Häusliche Gewalt“ eines Schlechteren, sagte Krings.
Im Jahre 2023 seien 256.000 Menschen, meist Frauen, Opfer häuslicher Gewalt geworden. 155 Frauen und 24 Männer seien im letzten Jahr durch ihre Partner oder Ex-Partner getötet worden. In Deutschland gebe es im Durchschnitt zudem pro Tag zwei Gruppenvergewaltigungen. „Die Gewaltkriminalität stieg im letzten Jahr um 8,2 Prozent und befindet sich inzwischen auf dem höchsten Stand seit 2007“, so der Unionsabgeordnete. Zu dieser Steigerung hätten nicht zuletzt 9.000 Messerangriffe beigetragen.
Diese Zahlen, so Krings, seien eine bittere Mahnung an den Gesetzgeber. „Wir als Unionsfraktion lassen es nicht zu, dass die Bundesregierung sie einfach abheftet und zur Seite legt“, sagte er. Daher schlage man in dem Gesetzentwurf ein Bündel an Maßnahmen vor.
SPD: Patriarchales Besitzdenken von Männern
Carmen Wegge (SPD) zeigte sich erfreut, dass die Union das Thema Gewalt gegen Frauen aufgreife. Es müsse aber auch als das anerkannt werden, was es ist: ein systemisches und strukturelles Problem in der Gesellschaft. „Gewalt gegen Frauen ist eine Manifestation des Patriachats“, sagte Wegge. Wenn die Union aber nun fordere, dass bei gefährlicher Körperverletzung, schwerem Raub und bei Mord als neues Qualifikationsmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Unterlegenheit“ eingefügt werden soll, so könne sie dem damit transportierten Menschenbild nicht zustimmen.
Gewalt richte sich vor allem gegen die Selbstbestimmung der betroffenen Personen. „Nein, liebe Union, diese Taten treffen nicht nur körperlich unterlegene Menschen“, sagte die SPD-Abgeordnete. Sie träfen „ganz klar“ starke Menschen, selbstbestimmte Frauen, queere Menschen und auch Betroffene mit Mehrfachdiskriminierungen. All diese Taten seien meistens geprägt von „patriarchalem Besitzdenken von Männern“.
AfD: Richtige Stellschrauben ausgemacht
Tobias Matthias Peterka (AfD) nannte den Gesetzentwurf der Union erfreulich, „auch wenn er 2015 oder 2016 besser angebracht gewesen wäre“. Die Union habe es sich aber viel zu lange im „links-mittigen Liegestuhl“ bequem gemacht. Als Opposition komme nun solch ein Gesetzentwurf. „Und wir sollen Ihnen glauben, es läge Ihnen irgendetwas an bedrohten und eingeschüchterten Bürgern in diesem Land?“ Das sei „scheinheilig und durchschaubar“, befand der AfD-Abgeordnete.
Gleichwohl habe die Union die richtigen Stellschrauben ausgemacht, räumte Peterka ein. Ihr Befund zeige: „Unsere Gesellschaft kippt – zu einem schlechten Abklatsch einer beliebigen arabischen Großstadt.“ Bei den Männern bedeute das: Frech und aggressiv gewinnt. Bei den Frauen bedeute das: Bloß nicht aufmucken, sonst setzt es was. Bereits für die erstgenannte Gruppe sei das eine zivilisatorische Degradierung. Für Frauen jedoch „schlicht und einfach eine Katastrophe“.
Grüne: Zu wenig Schutzräume und Frauenhausplätze
Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, aus ihrer Erfahrung als Rechtsanwältin wisse sie, dass Frauen, die von Gewalt betroffen sind „häufig schon im Vorfeld sich dieser Gewalt und diesen Drohungen ausgesetzt fühlen“. Insofern springe der Entwurf der Union zu kurz. Die Gewalt müsse nämlich präventiv bekämpft werden. „Wir können doch nicht erst anfangen, die Frauen zu schützen, wenn das Schreckliche passiert ist“, sagte sie.
In anderen Ländern, so die Grünen-Abgeordnete, gebe es „Child-Hood-Häuser“, in denen Frauen und auch das Schicksal ihrer Kinder umfassend in den Blick genommen werden. Zur Realität in Deutschland gehöre, „dass wir leider zu wenig Schutzräume, zu wenig Frauenhausplätze haben“. Außerdem müssten Polizei und Justiz geschult werden, damit den Frauen und Mädchen frühzeitig geholfen wird.
Von einer Erhöhung des Strafrahmens hält Bayram nichts. 80 Prozent der Taten seien Beziehungstaten. Diese zeichneten sich dadurch aus, „dass wir mit einer Erhöhung des Strafmaßes die Menschen nicht abschrecken“. Man dürfe den Menschen nichts vormachen, was man dann mit den Gesetzen nicht erreicht.
FDP: Wirksam gegen häusliche Gewalt ist Prävention
Das Bundeslagebild zur häuslichen Gewalt 2023 gebe Anlass zu großer Sorge, sagte Katrin Helling-Plahr (FDP). Im Dunkelfeld dürften es „leider noch viel mehr Fälle“ sein. Zu oft dringe von der Not in den eigenen vier Wänden nichts nach außen. Daher sei es richtig, dass die Bundesregierung eine Studie mit einer umfangreichen Opferbefragung für die Bereiche Partnerschaftsgewalt, sexualisierte Gewalt, Stalking und digitale Gewalt gestartet habe, um das Gesamtbild und die Hintergründe besser zu erfassen, sagte Helling-Plahr.
Auch die FDP-Abgeordnete wies darauf hin, dass sich Taten „im Beziehungs- und Näheverhältnis“ so gut wie nicht durch Strafandrohung verhindern ließen. „Kein Täter häuslicher Gewalt schaut vorher im Strafgesetzbuch nach dem Strafrahmen und lässt sich von einer kleinen Verschiebung oder Umgestaltung eines Strafrahmens abhalten“, sagte sie. Was die Union vorgelegt habe, sei „reine Symbolpolitik“. Wirksam gegen häusliche Gewalt sei vor allem Prävention.
Gesetzentwurf der Unionsfraktion
Die Fraktion der CDU/CSU will mit dem Entwurf den Staat die verpflichten, die verletzlichen Personen – neben Kindern insbesondere auch Frauen und Senioren sowie Menschen mit Behinderung – besonders zu schützen. Der aktuelle Rechtszustand werde als unbefriedigend empfunden. Vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verrohung, die ein immer größer werdendes gesellschaftliches Problem darstelle, und eines Anstiegs von Gewaltkriminalität soll der Vorlage zufolge bei der gefährlichen Körperverletzung, dem schweren Raub und bei Mord als neues Qualifikations- beziehungsweise Mordmerkmal „unter Ausnutzung der körperlichen Überlegenheit“ eingefügt werden.
Damit könnten künftig Gewalttaten insbesondere zum Nachteil von Kindern, Frauen, Senioren und Menschen mit Behinderungen angemessen bestraft werden. Zudem solle Paragraf 211 („Mord“) des Strafgesetzbuches (StGB) sprachlich angepasst werden. Für Gruppenvergewaltigungen solle der Strafrahmen erhöht werden. Die gemeinschaftliche Tatbegehung nach Paragraf 177 StGB solle von Absatz 6 in Absatz 7 beziehungsweise im Fall der Vergewaltigung in Absatz 8 verschoben werden, womit derartige Taten künftig eine Mindeststrafe von drei beziehungsweise fünf Jahren hätten.
Weitere Anpassungen betreffen die ungewollte Schwangerschaft als Tatfolge und die Körperverletzung gemäß Paragraf 223. Körperverletzungen mittels einer Waffe oder eines Messers beziehungsweise mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung sollen künftig als Verbrechen geahndet werden, und der Strafrahmen solle auf ein Jahr bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe angehoben werden.
Elektronische Fußfessel als gerichtliche Maßnahme
Die Höchststrafe im Grundtatbestand der Nachstellung (Stalking) solle auf fünf Jahre erhöht werden. Im Gewaltschutzgesetz solle die elektronische Aufenthaltsüberwachung („elektronische Fußfessel“) als weitere mögliche gerichtliche Maßnahme eingefügt werden. Des Weiteren solle die Höchststrafe für Verstöße nach dem Gewaltschutzgesetz von zwei auf fünf Jahre erhöht werden.
Der Gesetzentwurf sieht schließlich hinsichtlich minderjähriger Zeugen eine Angleichung der Voraussetzungen für die Anordnung einer audiovisuellen Vernehmung vor. Künftig solle eine audiovisuelle Vernehmung eines minderjährigen Zeugen bereits möglich sein, wenn bei der Vernehmung in Gegenwart der in der Hauptverhandlung Anwesenden ein erheblicher Nachteil für das Wohl des Zeugen zu befürchten ist. (hau/04.07.2024)