Zeit:
Mittwoch, 9. Oktober 2024,
15
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3 101
Gesundheitsexperten haben sich in einer Anhörung mit der Kassenzulassung des nichtinvasiven Pränataltests (NIPT) befasst und neben den Vorteilen auch die Nachteile und Besonderheiten diskutiert. Einige Sachverständige sprachen sich dafür aus, die Auswirkungen der aktuellen Rechtslage systematisch zu überprüfen und auf diese Weise an aufschlussreiche Daten zu kommen. Die ExpertInnen äußerten sich am Mittwoch, 9. Oktober 2024, in der Anhörung des Gesundheitsausschusses sowie in schriftlichen Stellungnahmen.
Interfraktioneller Antrag
In einem interfraktionellen Antrag fordern Abgeordnete, die Folgen der Kassenzulassung des NIPT systematisch auszuwerten. Nach der Einigung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sei der NIPT seit Juli 2022 eine Kassenleistung, sofern die Schwangere zusammen mit der Gynäkologin zu dem Schluss komme, dass der Test notwendig sei, heißt es in dem Antrag (20/10515). Jedoch regele der G-BA weder in den Mutterschaftsrichtlinien (MuRL) noch in der „Versicherteninformation Bluttest auf Trisomien / Der nicht invasive Pränataltest (NIPT) auf Trisomie 13, 18 und 21“ ausreichend klar, wann dieser Bluttest angewendet werden solle.
Es sei zu befürchten, dass den Schwangeren unabhängig von einer medizinischen Relevanz empfohlen werde, den NIPT vornehmen zu lassen, auch damit sich Ärzte absichern können. Dies könnte dazu führen, dass der Test so regelmäßig angewendet werde, dass es faktisch einer Reihenuntersuchung gleichkomme.
Die Abgeordneten fordern ein Monitoring zur Umsetzung und zu den Folgen der Kassenzulassung, um zeitnah belastbare Daten zu verschiedenen Aspekten erheben und auswerten zu können. Zudem sollte ein interdisziplinäres Expertengremium eingesetzt werden, das die rechtlichen, ethischen und gesundheitspolitischen Grundlagen der Kassenzulassung des NIPT prüft.
„Aufklärung und Beratung auf höchstem Niveau“
Der Berufsverband der Frauenärzte erklärte, Aufklärung und Beratung der Frauen fänden auf höchstem Niveau statt. Die fachgebundene genetische Beratung zur NIPT-Trisomie dürfe nur von dafür qualifizierten Ärzten erbracht werden. Daher stelle sich die Frage, welches übergeordnete Gremium die Qualität weitergehend überprüfen solle. Die Notwendigkeit der Einführung eines weiteren Gremiums zur Datenerfassung und Interpretation werde nicht gesehen. Die Inanspruchnahme des NIPT-Tests habe auch keinen Bezug zu einer unterstellten Absicherung der beratenden Ärzte, sondern sei die freie Entscheidung der Schwangeren.
Der Verein „mittendrin“, ein Zusammenschluss von Eltern behinderter Kinder, kritisierte, mit der Kassenfinanzierung des NIPT werde die gesellschaftliche Vereinbarung getroffen, dass ein Kind mit Trisomie vermeidbar sei. Der Test verschiebe den Blick auf Behinderung von einer sozialen zu einer individuellen Verantwortung. Behinderung lasse sich aber nicht wegtesten.
Es sei besorgniserregend, dass es bei einer breiten Anwendung des NIPT auch bei jüngeren Schwangeren vermehrt zu falsch-positiven Befunden komme. Nach Ansicht des Vereins sind das vorgeschlagene Monitoring und das Expertengremium dringend geboten. Ähnlich äußerten sich in der Anhörung andere Sachverständige.
Große Angst vor einem kranken Kind
Prof. Dr. Wolfgang Henrich von der Berliner Charité, der über eine langjährige Erfahrung als Pränatalmediziner verfügt, sagte, viele schwangere Frauen hätten große Angst vor einem kranken Kind. Die meisten Frauen wollten daher alles an Informationen zur Schwangerschaft wissen und erkundigten sich nach den verfügbaren Untersuchungsmethoden.
Die Bremer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle Cara erklärte, bei einem auffälligen Testergebnis gerieten die betroffenen Frauen und ihre Partner in Schockzustände und Krisen. Der erste Impuls sei, die Schwangerschaft abzubrechen. Anders als der NIPT ermögliche das Ersttrimester-Screening (ETS) eine sehr weitgehende Beurteilung des Feten.
Wenn wegen des NIPT auf das ETS verzichtet werde, fielen fetale Anomalien jenseits der Trisomien 13,18 und 21 deutlich später auf. Viele Betroffene seien sich nicht im Klaren darüber, dass ein positives Testergebnis invasiv abgeklärt werden müsse. Mit einem systematischen Monitoring könnten die Voraussetzungen, Anwendungsfehler, Ergebnisse und psychosozialen Implikationen analysiert werden.
Fundamentale ethische Grundfragen
Der G-BA-Vorsitzende Professor Josef Hecken erinnerte in der Anhörung an vergebliche Bitten in den vergangenen Jahren, die Nutzung molekulargenetischer Testverfahren in der Schwangerschaft politisch zu regeln, da es sich um fundamentale ethische Grundfragen handele. Der G-BA habe darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber gefordert sei, Grenzen und Bedingungen für den Einsatz solcher Testverfahren zu definieren.
Eine Gesetzesinitiative habe es jedoch nicht gegeben. Hecken betonte, der Bluttest sei nicht als Einstieg in ein Massen-Screening gedacht, denn zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stehe der Test nur in begründeten Einzelfällen und nach ärztlicher Beratung als Leistung zur Verfügung. Zuvor sei er in erheblichem Umfang schon als individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) erhältlich gewesen.
Prof. Dr. Marion Baldus von der Hochschule Mannheim gab zu bedenken, dass der niederschwellige Test von den Frauen als geprüfte und sinnvolle Maßnahme eingeschätzt werde. Im Vordergrund stehe die Sicherheit und Sorgenfreiheit und der Wunsch nach Bestätigung, ein gesundes Kind zu bekommen. Es erscheine daher aus Sicht der Frauen naheliegend, den Test zu nutzen. Davon ausgehend entwickle sich eine gesellschaftliche Erwartungshaltung, dass ein solcher Test vernünftig ist. Sie betonte, sobald der NIPT als Kassenleistung breit eingesetzt werde, werde er zur Norm. Dies sei derzeit zu beobachten.
„Wir leben auch gerne“
Zu Wort kam in der Anhörung auch Carina Kühne, die selbst das Down-Syndrom hat und eindringlich dafür warb, mehr Verständnis aufzubringen für Menschen mit einer Anomalie. Sie sehe den NIPT kritisch. Es mache sie traurig, wenn Schwangerschaften abgebrochen werden.
Sie betonte mit Blick auf ihre eigene Lage: „Ich lebe damit und weiß nicht, wie es wäre, wenn ich das nicht hätte.“ Sie wolle werdenden Eltern die Angst nehmen. Sie sagte: „Wir leben auch gerne.“ (pk/09.10.2024)