Kontroverse Debatte über die geplante Krankenhausreform
In einer kontroversen und teilweise emotionalen Debatte hat der Bundestag am Donnerstag, 27. Juni 2024, über die geplante Krankenhausreform beraten. Der aktuelle Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/11854, Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz) sieht unter anderem eine Änderung der Vergütungsstrukturen vor.
Die Oppositionsfraktionen von Union und AfD machten in der ersten Beratung des Entwurfs deutlich, dass eine Krankenhausreform zwar grundsätzlich sinnvoll sei, aber in der jetzt geplanten Form unzulänglich. Redner der Koalition werteten die Vorlage hingegen als wichtigen Schritt zur überfälligen Neustrukturierung der Krankenhauslandschaft. Nach der Debatte überwiesen die Abgeordneten den Entwurf an die Ausschüsse. Bei den weiteren Beratungen übernimmt der Gesundheitsausschuss die Federführung.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Ziel der großen Krankenhausreform ist die Sicherung und Steigerung der Behandlungsqualität, die Gewährleistung einer flächendeckenden medizinischen Versorgung, die Steigerung der Effizienz und eine Entbürokratisierung, wie es im Entwurf für das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) heißt. Das derzeit auf Fallpauschalen (DRG) basierende System der Krankenhausvergütung sei stark mengenorientiert. Für die Kliniken bestehe ein ökonomischer Anreiz, möglichst viele Patienten zu behandeln.
Künftig sollen 60 Prozent der Betriebskosten über eine Vorhaltepauschale abgegolten werden. Die Mittel für die Vorhaltevergütung würden generiert, indem die Fallpauschalen abgesenkt werden, heißt es in dem Entwurf. In einer Konvergenzphase soll ein fließender Übergang von den Fallpauschalen hin zu einer um eine Vorhaltevergütung ergänzte Finanzierungssystematik vollzogen werden.
Vorhaltevergütung für Leistungsgruppen
Die Krankenhäuser erhalten die Vorhaltevergütung für Leistungsgruppen, die ihnen von der Planungsbehörde der jeweiligen Länder zugewiesen werden. Die insgesamt 65 Leistungsgruppen sind mit Qualitätskriterien und Mindestvorhaltezahlen verknüpft. So soll sichergestellt werden, dass Krankenhäuser ein bestimmtes Maß an technischer Ausstattung, qualifiziertes Personal und die erforderlichen Fachdisziplinen aufweisen. Die Medizinischen Dienste sollen regelmäßig prüfen, ob Krankenhäuser die erforderlichen Qualitätskriterien für die Leistungsgruppen einhalten.
Festgelegt werden sollen die Leistungsgruppen und Qualitätskriterien durch eine zustimmungsbedürftige Rechtsverordnung. Die notwendige elektronische Datenübermittlung soll über digitale Informationsportale ermöglicht werden. Das soll zu mehr Effizienz und weniger Bürokratie beitragen. Um strukturschwache Regionen zu unterstützen, ist der Ausbau der sektorenübergreifenden und integrierten Gesundheitsversorgung vorgesehen. Die Länder erhalten die Möglichkeit, sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen zu bestimmen mit stationären und erweiterten ambulanten Leistungen.
Transformationsfonds mit 50 Milliarden Euro
Neben der Vorhaltevergütung werden für die Bereiche Pädiatrie, Geburtshilfe, Stroke Unit, Traumatologie und Intensivmedizin sowie für die Teilnahme an der Notfallversorgung zusätzliche Mittel gewährt. Um die Strukturreform der Krankenhäuser finanziell abzusichern, soll über einen Zeitraum von zehn Jahren (2026 bis 2035) ein sogenannter Transformationsfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro bereitgestellt werden, jeweils zur Hälfte getragen von den Ländern und aus Mitteln der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds des Bundes.
Die Liquidität der Krankenhäuser wird der Vorlage zufolge außerdem durch die vollständige Tarifrefinanzierung sowie durch die Anwendung des vollen Orientierungswertes verbessert. Für bedarfsnotwendige ländliche Krankenhäuser sollen die jährlichen Förderbeträge erhöht werden.
Minister: Die Ökonomie ist zu weit gegangen
Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) sprach vom Einstieg in eine wichtige Reform. Deutschland weise mehr Krankenhausbetten aus als andere Länder und auch mehr stationäre Behandlungen, aber jedes dritte Bett stehe leer. Die Fallkosten explodierten, die Krankenhäuser beklagten zugleich Personalmangel, Schichten seien unterbesetzt. Viele Krankenhäuser auf dem Land erwirtschafteten Defizite und kämpften gegen die Insolvenz. Der Minister warnte, ohne die Krankenhausreform müssten bis 2030 vermutlich rund 25 Prozent der Kliniken in die Insolvenz gehen.
Lauterbach kritisierte die übertriebene Ökonomisierung in der Abrechnung über Fallpauschalen. So liefen die Patienten quasi mit einem Preisschild herum. Er räumte ein: „Die Ökonomie ist zu weit gegangen.“ Problematisch sei auch die ausufernde Bürokratie in den Krankenhäusern. Die vielen Mitarbeiter würden durch bürokratische Vorgaben erdrückt, das müsse sich ändern. Er nannte zudem die mangelhafte Spezialisierung. So böten in einigen Ballungsräumen zahlreiche Kliniken bestimmte Leistungen an, für die sie streng genommen nicht qualifiziert seien. „Das ist nicht die Qualität, die wir wollen und brauchen.“ Lauterbach geht von weiter kontroversen Gesprächen mit den Ländern aus, sieht sich aber insgesamt auf einem guten Weg. So würden die künftigen Leistungsgruppen allein von den Ländern zugeteilt. „Die Länder sind die Herren der Sicherstellung“, sagte er, fügte jedoch hinzu: „Wir machen keine Zugeständnisse bei der Qualität.“
Union: Unausgegoren und Verschlimmbesserung
Die Unionsfraktion sieht die Krankenhausreform grundsätzlich auch als geboten an, erneuerte aber ihre Kritik am Vorgehen Lauterbachs. Tino Sorge (CDU/CSU) hielt dem Minister vor, sich mit den entscheidenden Akteuren nicht ausreichend ausgetauscht zu haben. Der Minister habe die Reform damit an den Rand des Scheiterns geführt. So sei der neu eingeführt Klinik-Atlas „unausgegoren“.
Lauterbach habe offenbar die Orientierung und das Koordinatensystem verloren. Die Länder kritisierten, dass der Minister sich nicht an Absprachen halte. Es wäre sinnvoll gewesen, mehr mit Kliniken und Ländern zu sprechen sowie eine Bedarfs- und Auswirkungsanalyse zu erstellen, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker. Nötig seien auch Öffnungsklauseln und eine Übergangsfinanzierung. Sorge betonte: „Wir brauchen mehr gemeinsames Handeln.“
Sepp Müller (CDU/CSU) ergänzte, die Reform laufe auf eine „Verschlimmbesserung“ hinaus und wies auf die regional unterschiedlichen Bedingungen hin. Die Regierung setze sich zudem über das Planungshoheitsrecht der Länder hinweg, weshalb die Länder aufbegehrten. Zu erwarten seien auch steigende Beiträge, sagte Müller in Anspielung auf den geplanten Transformationsfonds und sprach von einer „Teuerkoalition“.
AfD: Defizite deuten auf falsche Rahmenbedingungen hin
Ähnlich kritisch zu den Reformplänen äußerte sich Thomas Dietz (AfD), der das hochmotivierte Personal in den Krankenhäusern lobte. Viele Mitarbeiter beklagten einen Personalmangel. Auch Dietz forderte die Regierung auf, stärker auf die Betroffenen zu hören. Die Defizite vieler Häuser deuteten auf falsche Rahmenbedingungen hin. Vorhaltepauschalen und die Überwindung der Sektorengrenzen seien richtig, aber der Gesetzentwurf bleibe hinter den Möglichkeiten zurück.
Dietz mahnte, die Krankenhäuser häuften ein immer größeres Defizit an und stünden mit dem Rücken zur Wand. Er sprach von einem „totalen politischen Kontrollverlust“. Das reiche Deutschland finanziere alles Mögliche in der Welt, aber zu Hause brächen die Strukturen weg. Die Regierung handele planlos. Nötig sei eine umfassende und geeignete Reform mit nachhaltigen Lösungen.
Grüne: Wohnortnahe Versorgung verbessern
Ricarda Lang (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, die Krankenhausreform sei unverzichtbar, nachdem jahrelang nichts gegen Fehlentwicklungen unternommen worden sei. Kosten explodierten, Kliniken in der Grundversorgung schrieben trotzdem rote Zahlen, Patienten würden unzureichend versorgt. Leidtragende dieser Fehlentwicklung seien die Mitarbeiter im Gesundheitssystem und die Bürger, die sich auf eine gute Versorgung verlassen können müssen.
Einige Privatkliniken machten hohe Profite, während andere Kliniken vor der Insolvenz stünden. Es gehe darum, die wohnortnahe Versorgung zu verbessern, ein unkontrolliertes Kliniksterben zu verhindern und Qualität abzusichern, auch über bessere Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Die Ökonomisierung habe nicht geholfen, jetzt werde ein relevanter Schritt nach vorne unternommen. „Wir trauen uns an eine große Reform heran.“
FDP: Gesundheitssystem auf der Intensivstation
Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) formulierte die Problemlage noch drastischer und sagte: „Das Gesundheitssystem in Deutschland liegt auf der Intensivstation.“ Es sei eines der teuersten und ineffektivsten der ganzen Welt. Die Krankenhäuser seien zu einer reinen Reparaturwerkstatt geworden mit Reparaturen am Fließband. Es gebe zu wenig Personal, Fehlanreize und überbordende Bürokratie. „Wir müssen das ändern, und das tun wir jetzt.“ Mit der Reform würden „Unwuchten“ zerstört. Ein Ziel sei, dem Personal wieder Luft zum Atmen zu geben.
Um die Krankenhäuser für die Zukunft fit zu machen, sei eine Strukturreform nötig mit einer „Entfesselung der Ambulantisierung“. Zudem gehe es um eine verbessere Patientensteuerung im Notfall, die mit einer separaten Notfallreform angegangen werde. Ullmann betonte, die Länder seien weiter für die Planung verantwortlich und mahnte: „Ohne gute Schienen kann die Lokomotive nicht fahren.“ Er versicherte zugleich, Einwände, Ängste und Sorgen würden ernst genommen. Es gebe die Chance, das Gesundheitssystem fair, modern und zeitgemäß zu gestalten.
SPD: Notwendige Reformen zu lange aufgeschoben
Dagmar Schmidt (SPD) erinnerte an die enorme Bedeutung von Krankenhäusern für die Gesundheitsversorgung der Menschen. Wenn Patienten in ein Krankenhaus kämen, werde vielen sofort klar, dass ihre Beiträge zur Krankenversicherung auch ihren Wert hätten. Sie erinnerte daran, dass komplexe Operationen sehr viel Geld kosten. „Die Hochleistungsmedizin kostet einiges, und das ist es uns auch wert.“
Wer jeden Monat Beiträge zahle, erwarte eine gute, wohnortnahe Versorgung. Viel zu lange seien notwendige Reformen aufgeschoben worden. Sie versicherte, dass mit allen Betroffenen gesprochen werde, aus der Summe von Einzelinteressen ergebe sich aber noch keine gute Reform. Im Vordergrund stünden die Patienten. Schmidt mahnte, die Bürger dürften das Vertrauen in das Gesundheitssystem nicht verlieren. Das System müsse besser und effizienter werden. (pk/27.06.2024)