Zeit:
Montag, 11. November 2024,
16
bis 17 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 600
Gesundheits- und Technikexperten begrüßen die Initiative zur Stärkung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen, sehen den vorgelegten Gesetzentwurf zur Gründung einer Digitalagentur in Teilen aber als problematisch an. Kritisch gesehen werden die Fristsetzungen mit Sanktionen und die umfassenden Kompetenzen der Digitalagentur, wie eine Anhörung des Gesundheitsausschusses zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung (20/13249) ergab. Die Sachverständigen äußerten sich am Montag, 11. November 2024, in der Anhörung sowie in schriftlichen Stellungnahmen.
DKG warnt vor unrealistischen Fristsetzungen
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) warnte vor unrealistischen Fristsetzungen und Sanktionen. Es bestünden erhebliche Zweifel, dass die Neuregelungen zu einer besseren Versorgung, mehr Patientensicherheit und zur Entlastung der Leistungserbringer von Bürokratie führen werden.
Die Sanktionierung der Krankenhäuser und Industrie würde voraussichtlich nur zu einer Kostensteigerung führen. Stattdessen sollte ein kooperativer Ansatz zwischen gematik, Selbstverwaltung und Industrie verfolgt werden. Ein solcher Abstimmungsprozess könne zu realistisch umsetzbaren Fristen führen. Der Regierungsentwurf lasse den kooperativen Ansatz vermissen. Vielmehr würden Krankenhäuser und Industrie zur Umsetzung der Festlegungen der gematik gezwungen.
BAGFW: Selbststeuerung ist nicht akzeptabel
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (BAGFW) erklärte, es sei zu begrüßen, dass die Digitalagentur mit einem neuen Mandat sicherstellen solle, dass Standards eingehalten und Nutzungshürden zur Steigerung der Wirksamkeit digitaler Anwendungen beseitigt werden. Jedoch müssten Aufgaben, mit denen die Digitalagentur beauftragt wird, einschließlich der Fristsetzungen auch künftig vom Gesetzgeber festgelegt werden. Eine Selbststeuerung der Digitalagentur sei nicht akzeptabel.
BÄK: Keine breit getragene Umsetzungsstrategie
Die Bundesärztekammer (BÄK) befürwortete gesetzliche Änderungen, um die offensichtlichen Defizite der Telematikinfrastruktur (TI) anzugehen. Der Gesetzentwurf führe jedoch nicht zu einer strukturell besseren Einbindung derjenigen Institutionen, die die Nutzerperspektive einbringen könnten.
Die unveränderte Anteilsmehrheit von 51 Prozent bei der künftigen Digitalagentur durch den Bund sei kritisch zu sehen. Diese Entscheidungsstruktur bilde nur unzulänglich eine von allen Betroffenen breit getragene Entwicklungs- und Umsetzungsstrategie ab.
Bitkom: Hemmt Innovationsfähigkeit
Kritisch zu dem Entwurf äußerte sich auch der Branchenverband Bitkom. Die Umsetzung des Gesetzes würde nicht nur das verfassungsrechtliche Marktmodell gefährden, sondern auch die für eine zukunftsfähige medizinische Versorgung unabdingbare Innovationsfähigkeit der Gesundheitswirtschaft hemmen.
Vorgesehen sei, dass die Digitalagentur als Marktakteur und Regulierungsinstanz agieren könne. Diese Doppelfunktion führe zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen. Durch die staatliche Kontrolle zentraler IT-Komponenten entstünden Monopole, die das Risiko flächendeckender Ausfälle erhöhten. Statt Flexibilität und Innovation zu unterstützen, fördere das Gesetz starre Strukturen, die den Anforderungen der digitalen Welt nicht gerecht würden.
GKV befürchtet Interessenkonflikt
Ähnliche Bedenken kamen vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der eine beschleunigte Digitalisierung des Gesundheitswesens grundsätzlich befürwortet. Obwohl für neue Aufgaben auch Geldmittel benötigt würden, fänden Kostensteigerungen im Gesetzentwurf keine Berücksichtigung. Der Mittelbedarf werde überwiegend aus Beitragsmitteln aufgebracht werden müssen.
Es sei zudem unerlässlich, dass sich innovative Kräfte eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs entfalten könnten. Daher sollten Kompetenzen, Aufträge für die Entwicklung und den Betrieb von Komponenten und Diensten der TI zu vergeben, gesetzlich normiert auf zentral und einmalig vorhandene Systeme beschränkt werden. Der Spitzenverband warnte vor einem Interessenkonflikt, weil die Digitalagentur an der Zulassung von Komponenten beteiligt sei. Dies werfe grundlegende Fragen zur Konzeption der gematik als Zulassungsstelle auf.
Die geplante Doppelrolle der neuen Digitalagentur als Akteurin einerseits und Regulierungsbehörde andererseits wurde in der Anhörung in zahlreichen Stellungnahmen aufgegriffen und kritisiert. Zwar sei eine starke Instanz notwendig, um die Digitalisierung effektiv voranzubringen, etwa die elektronische Patientenakte (ePA), die Kompetenzen der neuen Agentur gingen aber womöglich zu weit, hieß es übereinstimmend von verschiedenen Sachverständigen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Mit einer neuen Digitalagentur soll die technische Transformation im Gesundheitswesen effektiver umgesetzt werden. Es fehle an einer zentralen Verantwortlichkeit für die Steuerung des komplexen Zusammenwirkens von Regelungen und Vorgaben, an den dafür erforderlichen Steuerungskompetenzen sowie an deren Umsetzung, heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Um die Transformationsziele zu erreichen, soll die Gesellschaft für Telematik (gematik) zu einer Digitalagentur Gesundheit ausgebaut und damit gestärkt werden. Die gematik sei ein Schlüsselakteur für die Digitalisierung im Gesundheitswesen und verantworte die Telematikinfrastruktur (TI). Derzeit führten Defizite in der Interoperabilität, Performanz, Stabilität und Nutzerfreundlichkeit dazu, dass die digitalen Potenziale zu unzureichend erschlossen würden.
Steuerung der Telematikinfrastruktur
Zentrale Aufgabe der Digitalagentur sei weiter die Steuerung der Entwicklung und Bereitstellung von Komponenten und Diensten der TI. Wesentliche Komponenten und Dienste der TI sollen künftig über ein Ausschreibungsverfahren von der Digitalagentur beschafft und bereitgestellt werden können.
Um die Stabilität und Funktionalität der TI zu gewährleisten, soll die Agentur „externe Stakeholder“ früher einbinden, damit Anwendungen schneller und in höherer Qualität für Nutzer bereitstehen. Die Agentur soll zudem „hoheitliche“ Aufgaben erhalten. Neben der Zulassung umfasse dies das Zertifizierungsverfahren sowie die Erteilung von Anordnungen zur Abwehr von Gefahren für die Funktionsfähigkeit und Sicherheit der TI. Insbesondere in der Gefahrenabwehr soll die Digitalagentur durch das hoheitliche Mandat auf Gefahren und Störungen der TI reagieren.
Kompetenzzentrum für Interoperabilität
Das Kompetenzzentrum für Interoperabilität im Gesundheitswesen (KIG) erhält weitere Aufgaben, zum Beispiel, quantitative und qualitative Anforderungen an informationstechnische Systeme im Gesundheitswesen festzulegen. So werde sichergestellt, dass die Systeme miteinander kommunizieren können und praktisch nutzbar sind, etwa in Arztpraxen.
Die Digitalagentur erhält außerdem die Zuständigkeit für die Festlegung von Standards der Benutzerfreundlichkeit der Komponenten, Dienste und Anwendungen der TI. Sie soll sicherstellen, dass Standards eingehalten und Nutzungshürden beseitigt werden. Auch soll die Digitalagentur die Institutionen der Selbstverwaltung bei der Digitalisierung von Versorgungsprozessen im Gesundheitswesen und in der Pflege unterstützen.
Aufgabe der koordinierenden Stelle
Die koordinierende Stelle bei der Digitalagentur erhält die zusätzliche Aufgabe, Anliegen entgegenzunehmen, die mit dem elektronischen Rezept (E-Rezept) sowie den sicheren Kommunikationsverfahren „Kommunikation im Medizinwesen“ und dem TI-Messenger im Zusammenhang stehen. Geplant ist überdies eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). (pk/11.11.2024)