Heftiger Streit über die Finanzierung der Pflegeversicherung
Die aktuellen Finanzprobleme in der sozialen Pflegeversicherung (SPV) sorgen für heftigen politischen Streit und für Forderungen nach einer langfristigen Stabilisierung der Sozialversicherungen. In einer von der AfD-Fraktion verlangten Aktuellen Stunde mit dem Titel „Drohender Finanzkollaps der Pflegeversicherung“ warfen Redner der Opposition der Regierungskoalition am Donnerstag, 10. Oktober 2024, vor, sich vor einer nachhaltigen Lösung der Probleme zu drücken und die Beitragszahler immer stärker zu belasten.
Redner der Ampelkoalition hielten dagegen, dass wichtige Pflegereformen bereits umgesetzt seien oder in der Planung. Mehrere Gesundheitspolitiker forderten nachdrücklich, sogenannte versicherungsfremde Leistungen aus der Pflege herauszunehmen.
AfD: Es brennt an allen Ecken und Enden
Martin Sichert (AfD) stellte fest: „Im Gesundheitswesen brennt es an allen Ecken und Enden.“ Medikamente seien knapp, Krankenhäuser gingen in die Insolvenz, die ärztliche Versorgung in ländlichen Regionen werde immer schlechter und Zehntausende Pflegekräfte fehlten. Es sei höchste Zeit für echte Reformen im Gesundheitssystem. Schon seit drei Jahren kündige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) große Reformen an.
Union und SPD hätten das Gesundheitssystem an die Wand gefahren. Immer wenn es Probleme gebe, würden die Beiträge erhöht. So wolle die Bundesregierung die Pflegebeiträge um 0,3 Prozentpunkte anheben, zugleich stiegen die Zusatzbeiträge in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) um 0,75 Prozentpunkte.
Sichert verwies auf 5,5 Milliarden Euro an versicherungsfremden Leistungen bei der SPV und 20 Milliarden Euro versicherungsfremde Leistungen bei der GKV. Versicherungsfremde Leistungen gehörten aus den Sozialversicherungen herausgenommen.
SPD: Kein Grund für Kassandrarufe
Gesundheitsfachleute von SPD, Grünen und FDP hielten der AfD vor, Panik zu verbreiten und mit den Ängsten der Bürger zu spielen. Redner der Ampelkoalition versicherten mit Blick auf Berichte, wonach bei der Pflegeversicherung zeitnah ein Finanzkollaps drohe, es werde keine Leistungseinschränkungen geben.
Heike Baehrens (SPD) räumte ein, die SPV stehe vor großen Herausforderungen. Die Fakten seien ernst zu nehmen und erforderten politisches Handeln. Es gebe aber keinen Grund für „Kassandrarufe“. Es sei unverantwortlich, in welcher Weise die AfD Menschen verunsichere und Ängste schüre, nur um Aufmerksamkeit zu wecken. Das sei „blanke Panikmache“. Sie versicherte: „Die Pflegeversicherung wird auch im kommenden Jahr ihre Aufgaben im vollen Umfang erfüllen. Es wird keine Einschränkungen der Leistungen für pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen geben.“
Auch Baehrens forderte eine Ausgliederung versicherungsfremder Leistungen. Die Pflegeversicherung müsse auf den Kern ihres Auftrags zurückgeführt werden. Alles, was nicht originär Aufgabe der Pflege sei, müsse aus anderen Quellen finanziert werden. Sie rechnete vor: Wären allein alle Pandemiekosten über Steuern bezahlt worden, hätte die SPV heute 4,5 Milliarden Euro mehr.
Grüne: Ein Kollaps ist nicht zu befürchten
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, ein Kollaps der Versicherung sei nicht zu befürchten. Sie versicherte: „Es kann nicht dazu kommen.“ Jeder, der einen Pflegebedarf habe, werde diesen auch finanziert bekommen. Es sei gesetzlich geregelt, was passieren müsse, wenn Mittel nicht ausreichten.
Sie rief die Bürger auf: „Lassen Sie sich nicht in Angst und Panik versetzen, ihre Ansprüche werden finanziert.“ Allerdings seien die Herausforderungen groß, denn der Pflegebedarf steige, viele Menschen fänden keinen Pflegedienst oder einen Platz in der stationären Versorgung. Daher sei es wichtig gewesen, den Pflegeberuf wieder attraktiver zu machen. Sie räumte ein, es habe Kostensteigerungen gegeben, die finanziert werden müssten, auch mit Beitragsanhebungen.
FDP: Die Lage ist ernst
Jens Teutrine (FDP) stellte fest, die Pflegefinanzen seien nicht nachhaltig gesichert, das könne so nicht bleiben. Die Pflege stehe zwar nicht vor einem Finanzkollaps, aber die Lage der SPV sei ernst. Das sei vorhersehbar gewesen, denn mit guten Absichten werde immer mehr Geld ausgegeben, ohne sich um eine Gegenfinanzierung zu kümmern. Das sei respektlos auch gegenüber Beitragszahlern und es schade einer guten Pflege.
Teutrine warb dafür, den Pflegevorsorgefonds zu stärken. „Wir brauchen mehr Kapitaldeckung in den sozialen Sicherungssystemen.“ Zudem sollte die betriebliche Pflegevorsorge ebenso ausgebaut werden wie die private Pflegevorsorge.
CDU/CSU: Schleppendes Reformtempo der Koalition
Tino Sorge (CDU/CSU) beklagte das aus seiner Sicht schleppende Reformtempo der Koalition. Seit drei Jahren warte die Opposition auf Gesetzentwürfe und Initiativen, um die finanzielle Lage der Pflegeversicherung zu verbessern. „Das ist der Skandal.“ Auch Sorge ging auf die versicherungsfremden Leistungen ein, die allein bei den Corona-Aufwendungen rund sechs Milliarden Euro ausmachten und aus dem Pflegetopf herausgenommen worden seien.
Lauterbach könne sich offenbar nicht durchsetzen, es werde immer wieder Geld aus dem System entnommen. Sorge forderte ein breiteres finanzielles Fundament für die Pflege, die Umlage allein reiche nicht zur Finanzierung der komplexen Pflegeangebote. Neben einer steuerlichen Säule seien die betriebliche Pflegevorsorge und eine private Pflegezusatzversicherung sinnvoll. (pk/10.10.2024)