Zeit:
Montag, 23. September 2024,
13
bis 15 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600
Mit einem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Terrorismusbekämpfung hat sich der Rechtsausschuss am Montag, 23. September 2024, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung befasst. Mit dem Gesetz (20/11848) soll die Richtlinie (EU) 2017/541 zur Terrorismusbekämpfung in deutsches Recht umgesetzt werden.
Die neun Sachverständigen schätzten die Vorlage unterschiedlich ein. Übereinstimmung bestand in der Notwendigkeit der Umsetzung, besonders aus dem Bereich der Rechtswissenschaft kamen aber auch Warnungen, dass sie in einigen Bereichen zu weit gehe und nicht mehr verfassungskonform sein könnte. Vertreter aus der Justizpraxis begrüßten die Vorlage.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Laut Entwurf soll das Terrorismusstrafrecht an EU-Vorgaben angepasst werden. Hintergrund ist eine Rüge der EU, dass die Vorgaben im deutschen Recht nicht ausreichend umgesetzt worden seien. „Mit dem Gesetzentwurf werden diese Rügen – soweit sie nachvollziehbar erscheinen – unter Wahrung der deutschen Strafrechtssystematik ausgeräumt“, heißt es im Entwurf.
Konkret sind Änderungen vor allem in den Paragrafen 89a („Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“) und 89c („Terrorismusfinanzierung“) des Strafgesetzbuchs geplant.
Rechtswissenschaft sieht Vorverlagerung kritisch
Prof. Dr. Katharina Beckemper von der Universität Leipzig sagte in ihrem Einführungsstatement, der Entwurf sei „richtig gut“ und komme zur rechten Zeit. Der deutsche Gesetzgeber habe auf die Mahnung der EU reagiert, „aber nicht immer und an allen Stellen elegant“. Der Entwurf entspreche den Vorgaben des europäischen Rechts. Allerdings werde die Versuchsstrafbarkeit sehr weit nach vorn gedehnt. Man müsse sich fragen, ob Deutschland dabei nicht zu weit nach vorne gehe und unter der Hand das sogenannte Feindstrafrecht einführen könne. Dabei würden strafprozessuale Grundrechte missachtet. So weit sei es aber noch nicht.
Dr. Anneke Petzsche von der Humboldt-Universität zu Berlin begrüßte die im Entwurf enthaltenen terminologischen Klarstellungen und tatbestandliche Umstrukturierungen. Darüber hinaus seien die im Zentrum der Reform stehenden Normen des Terrorismusstrafrechts aufgrund ihrer erheblichen Vorverlagerung kritisch zu sehen.
Eine erneute Erweiterung müsse sich an rechtsstaatlichen Grundsätzen messen lassen. Soweit sich aus der Richtlinie europarechtliche Verpflichtungen ergäben, seien diese – bis auf äußerste Randbereiche, in denen es zu unhaltbaren Friktionen mit dem nationalen Recht kommt – zu erfüllen. Erweiterungen, die über die europäischen Vorgaben hinausgehen, sollten auf ihren europarechtlichen Kern zurückgeführt werden.
„Teilweise nicht unionsrechtlich determiniert“
Prof. Dr. iur. Arndt Sinn von der Universität Osnabrück erklärte, der Regierungsentwurf nehme das Ziel der Terrorismusbekämpfungsrichtlinie auf, einer sich rasch wandelnden Bedrohungslage gerecht zu werden. Bei der Umsetzung halte sich der Regierungsentwurf überwiegend an die europarechtlichen Vorgaben. Einige der geplanten Änderungen seien jedoch nicht unionsrechtlich determiniert, weshalb von ihnen abgesehen werden sollte.
Bei einer verfassungskonform restriktiven Auslegung gebe es bei den durch die Richtlinie vorgegebenen Änderungen keinen Bruch mit der deutschen Verfassungsidentität. Zudem sollte nochmals überlegt werden, ob an der bestehenden Regelungsstruktur des Paragrafen 89a – wie es der Regierungsentwurf vorsieht – festgehalten werden soll. Vorzugswürdig wäre aus seiner Sicht eine Regelung, die sich an der Struktur der Richtlinie orientiert.
„Entscheidungsspielraum eingeschränkt“
Prof. Dr. Mark A. Zöller von der Ludwig-Maximilians-Universität München erklärte im Fazit seiner Stellungnahme, dass entscheidende Fehler für die Ausgestaltung des deutschen Terrorismusstrafrechts bereits vor dem Jahr 2017 bei der Aushandlung der EU-Richtlinie zur Terrorismusbekämpfung gemacht worden seien.
Damals habe man eine viel zu weite Verlagerung der Strafbarkeit in das bloße Vorfeld terroristisch motivierter Verhaltensweisen mitgetragen, deren Realisierung zu massiven Verwerfungen mit dem deutschen Strafrechtssystem führe. Im Ergebnis sei damit der Entscheidungsspielraum des deutschen Gesetzgebers durch zwingende europarechtliche Vorgaben erheblich eingeschränkt.
Zwingende europäische Vorgaben
Der Rechtsanwalt Stefan Conen sprach davon, dass die Stellungnahmen der Sachverständigen durchzogen seien von der Skepsis, ob die Grundlagen des Strafrechts mit diesem Gesetzentwurf nicht überschritten würden. Diese Diskussion könne aber nicht national geführt werden, weil es sich um zwingende europäische Vorgaben handele und dem Gesetzgeber ganz wenig Spielraum bei der Umsetzung bleibe.
Es sei das Bemühen erkennbar, mit dem Entwurf weitgehend nicht über die zwingenden europarechtlichen Vorgaben hinauszugehen und ihn auf Strafbarkeiten auszuweiten. Trotzdem gehe er teilweise über die Richtlinie hinaus. Präventiv ausgerichtetes Polizeirecht aus Sicht Conens nicht in repressives Strafrecht umgewandelt werden. Insofern sollte an keiner Stelle über das Notwendige bei der Umsetzung hinausgegangen werden.
Erweiterung des Straftatenkatalogs
Aus der Sicht von Dirk Peglow, Bundesvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter, finden sich in dem Entwurf eine Vielzahl von Regelungen, die geeignet seien, bisherige Lücken im Bereich der Strafverfolgung zu schließen und eine noch effektivere Verfolgung des Terrorismus zu ermöglichen. Im Einzelnen begrüßte Peglow unter anderem, dass der Katalog der terroristischen Straftaten präzisiert und auch erweitert worden sei.
Zudem erscheine es sachgerecht, die bislang nur teilweise gegebene Strafbarkeit von Versuchshandlungen auf alle Tatbestandsalternativen auszudehnen. Sie ermögliche es, eine Vielzahl von Vorfeldaktivitäten nunmehr als Straftaten zu verfolgen.
Praktiker begrüßen Ausweitung der Strafbarkeit
Alexander Poitz, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, erklärte, mit dem Entwurf werde gesetzgeberischer Handlungsbedarf erkannt. Angesichts der europaweit andauernden herausfordernden Sicherheitslage sei es aber auch notwendig, dass die Polizei und Sicherheitsbehörden personell gestärkt und mit wirksamen Befugnissen im Kampf gegen den Terrorismus ausgestattet werden. Auch Poitz zufolge sind vor allem die Paragrafen 89a und 89c geboten, um die Richtlinienvorgaben in nationales Recht umzusetzen. Stärker bekämpft werden müsse aber auch die Terrorismusfinanzierung.
Wolfram Nettersheim, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof, sprach sich in seiner schriftlichen Stellungnahme eindeutig für eine Ausweitung der Strafbarkeiten im Terrorismusstrafrecht aus. Das gelte insbesondere für die einheitliche Definition der terroristischen Straftat und die damit einhergehende Vereinheitlichung und Erweiterung der im Entwurf in Bezug genommenen Straftaten.
Diese Strafbarkeitserweiterungen könnten aber nur dann zu der von der Richtlinie und dem vorliegenden Entwurf beabsichtigten umfassenderen und effektiveren Verfolgung terroristischer Handlungen führen, wenn auch die Eingriffsermächtigungen der Strafprozessordnung auf die entsprechenden neuen Varianten und Tatbestände erstreckt werden.
Umsetzungsdefizite werden geschlossen
Dr. Andreas Schmidtke, Richter am Oberlandesgericht Düsseldorf, erklärte, dass der Entwurf die bestehenden und von der Europäischen Kommission im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens bemängelten Umsetzungsdefizite schließe und aus praktischer Sicht uneingeschränkt zu begrüßen sei. Allerdings sollten die vorgeschlagenen Änderungen des Strafgesetzbuches an verschiedenen Stellen noch angepasst werden. Hingegen begegneten die vorgeschlagenen Änderungen der Strafprozessordnung, nach denen insbesondere die Ermittlungsbefugnisse nicht ausgeweitet werden sollen, durchgreifenden Bedenken.
Die Sachverständigen Nettershein, Schmidtke und Sinn wurden auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zu der öffentlichen Anhörung eingeladen, Beckemper, Peglow und Poitz auf Vorschlag der SPD, Zöller auf Vorschlag der FDP und Conen und Petzsche auf Vorschlag von Bündnis 90/Die Grünen. (mwo/23.09.2024)