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Sara Nanni: Wiederaufbau der Ukraine ist Gebot europäischer Solidarität

Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen)

Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen) ist Mitglied der Bundestagsdelegation zur Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (IPK GASP/GSVP). (© Ninagraphie)

Der russische Angriff auf die Ukraine und die Drohungen Russlands gegenüber EU und Nato gehörten, ebenso wie der Wiederaufbau der Ukraine, zu den Top-Themen bei der außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Herbsttagung der Europäischen Union, der Interparlamentarischen Konferenz für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (IPK GASP/GSVP), die am 9. und 10. September 2024 in Budapest stattfand.

Der Ukraine die Tür zu einer EU-Mitgliedschaft zusätzlich zu dem formalisierten Beitrittsverfahren „noch mal symbolisch aufzumachen“, sei richtig gewesen, sagt Sara Nanni (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied der Delegation zur IPK, im Interview. Das Land beim Wiederaufbau zu unterstützen sei „ein Gebot der Solidarität und des europäischen Zusammenhalts“. Im Interview spricht die Verteidigungspolitikerin darüber, was die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei der Herbsttagung beschäftigte und welche Erwartungen sie an die neue EU-Außenbeauftragte hat. Das Interview im Wortlaut:

Frau Nanni, was beschäftigte die Parlamentarierinnen und Parlamentarier bei der diesjährigen Herbsttagung?

Für die Außen- und Verteidigungspolitiker der 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind selbstverständlich der andauernde und durch nichts zu rechtfertigende Krieg gegen die Ukraine und die Drohungen Russlands gegenüber EU und Nato von besonderer Bedeutung. In einer Dringlichkeitsdebatte haben wir über die Auswirkungen der wahllosen russischen Angriffe auf die ukrainische Wirtschaft und Infrastruktur debattiert. Es gab aber auch Gelegenheit, über andere aktuelle Herausforderungen für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und die gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu sprechen, wie beispielsweise die geopolitischen Verschiebungen in der Welt oder über das zukünftige Europa und die Länder, die der EU beitreten wollen.

Wie stark geopolitisch aufgeladen ist die Beitrittsfrage momentan angesichts des neuen Ost-West-Gerangels um Einflusszonen? 

Die EU ist ein Tanker. Aufnahmeentscheidungen werden nur dann getroffen, wenn ein Land die Kriterien erfüllt und den sogenannten Acquis Communautaire, also den gemeinsamen Besitzstand an Rechtsnormen und Regeln, umgesetzt hat. Trotzdem war es richtig, in einer Situation, in der die Ukraine von Russland erneut angegriffen wurde, die Tür noch mal symbolisch aufzumachen. Die Ukraine ist sehr schnell bei ihren Fortschritten. Ich hoffe, dass wir bald zu einem Zeitplan für die Aufnahme kommen. Das wird dann auch die Aufgabe der neuen Kommission sein.

In der Dringlichkeitsdebatte ging es um den Wiederaufbau der durch russische Angriffe zerstörten Infrastruktur in der Ukraine. Was sind dabei für Sie die wichtigsten Punkte? Ist das auch ein politisches Signal an den Kreml? 

Die Ukraine hat insbesondere 2022 viele Gebiete wieder befreit. Dort findet seitdem auch Wiederaufbau statt. Die Menschen möchten zurück in ihre Häuser und Wohnungen, sie wollen ein normales Leben führen soweit es eben im Krieg möglich ist. Dabei geht es nicht darum, ob der Kreml das als Signal versteht. Das ist ein Gebot der Solidarität und des europäischen Zusammenhalts. Ich denke, Wladimir Putin ist nicht mal in der Lage, den Wert dieser Solidarität zu verstehen.

Der scheidende EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, ist so mancher Einladung der IPK nicht gefolgt und hat sich jetzt noch einmal per Videobotschaft an die Parlamentarier gewandt. Welche Erwartungen haben Sie an die neue, von den europäischen Staats- und Regierungschefs im Sommer designierte EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas?

Mit der estnischen Politikerin Kaja Kallas erwarten wir eine Nachfolgerin, die sehr sortiert und orientiert an die wirklich massiven, multiplen außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen unserer Zeit herangehen wird. Für sie spricht, dass sie sich gut mit der EU-Politik auskennt und in der Vergangenheit immer wieder klar gegen Putins anachronistische Machtpolitik Stellung bezogen hat, von der auch ihr Land bedroht ist. Wir sind gespannt auf ihre Vorstellung bei der IPK. Gespannt bin ich außerdem darauf, wie die Job-Beschreibung für den oder die Brüsseler Verteidigungskommissar/in aussehen wird und natürlich, wer es wird! Auch die Frage, ob der Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament zum ordentlichen Ausschuss erhoben wird ist noch nicht geklärt. Das so aufgewertete Gremium könnte auch für die Arbeit bei der IPK neue Impulse bringen.

Bei aller Kritik an der ungarischen Ratspräsidentschaft: Wie wichtig ist die Interparlamentarische Konferenz als europäisches „Branchentreffen“ für die Parlamentarier, um als Fachleute zusammenzukommen und zu networken

Budapest ist wirklich eine schöne und geschichtsträchtige Stadt mitten in Europa. Mit dem Agendasetting des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán gehen wir im Zweifel so um, dass wir es einfach über uns ergehen lassen und umso mehr die Pausen und am Rande der Konferenz als Gelegenheit zum Gedankenaustausch und Netzwerken nutzen. Was man hier aus den anderen 26 Mitgliedstaaten zu den Themen der Außen- und Sicherheitspolitik an Eindrücken mitbekommt, kann man sich niemals selbst, etwa im „nationalen Kämmerlein“, erarbeiten. Wir haben also auch in Budapest wieder viel voneinander gelernt, was uns als Parlamentarierinnen und Parlamentarier in die Lage versetzt, angesichts der globalen Herausforderungen europäische Antworten zu geben. 

(ll/16.09.2024)