Parlament

Paul Ziemiak: Neustart für die deutsch-polnischen Beziehungen

Gruppenfoto mit 15 Männern und vier Frauen im Paul-Löbe-Haus

Treffen der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe des Bundestages mit Abgeordneten der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe des Sejms: vordere Reihe von links Dariusz Pawłoś (polnischer Botschafter), Kinga Gajewska (Sejm), Paul Ziemiak (Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe), Dr. Ewa Schädler (Sejm), Marek Krząkała (Vorsitzender der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe), Kazimierz Gołojuch (Sejm), Krzysztof Bosak (stellvertretender Sejm-Marschall); zweite Reihe von links Dietmar Nietan, Nyke Slawik, Agnieszka Brugger, Lennard Oehl, Dr. Götz Frömming, Dr. Markus Reichel, Maximilian Mörseburg, Axel Schäfer (alle Bundestag); hintere Reihe von links Johannes Schraps, Max Straubinger, Joachim Wundrak, Knut Abraham (alle Bundestag). (© DBT/Inga Haar)

Die gemeinsame Unterstützung für die Ukraine und die Einrichtung einer deutsch-polnischen parlamentarischen Versammlung standen im Mittelpunkt der Gespräche zwischen deutschen und polnischen Abgeordneten während des Besuchs einer Delegation der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe aus dem polnischen Sejm Anfang des Monats, vom 2. bis 5. Juli 2024, auf Einladung der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag.

Breites Themenspektrum der bilateralen Beziehungen

Gruppenbild mit drei Männern und drei Frauen vor der deutschen und der EU-Fahne.­

Abgeordnete der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe des Sejms zu Gast im Bundestag: von links Krzysztof Bosak, Vizemarschall des Sejms, Kazimierz Gołojuch, Kinga Gajewska, Bundestagsvizepräsidentin Yvonne Magwas, Marek Krząkała, Vorsitzender der Parlamentariergruppe, Dr. Ewa Schädler. (© DBT/Photothek/Kira Hofmann)

Der Besuch zum jetzigen Zeitpunkt, nach den Wahlen in dem Nachbarland im Oktober, sei genau richtig, um dem nötigen Neustart der deutsch-polnischen Beziehungen einen Impuls zu geben, resümiert Paul Ziemiak (CDU/CSU), Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe im Bundestag, den Gedankenaustausch mit den polnischen Kolleginnen und Kollegen unter der Leitung des Abgeordneten Marek Krząkała (PO). Zeitgleich hatten am 2. Juli deutsch-polnische Regierungskonsultationen in Warschau stattgefunden, auf deren Wiederaufnahme Ziemiak schon länger gedrungen hatte.

Um über das breite Themenspektrum der bilateralen Beziehungen zu sprechen, trafen sich die polnischen Delegierten in Berlin auch mit Vertretern der Bundesministerien des Innern und für Heimat und des Auswärtigen Amtes und mit der Abteilungsleiterin „Erinnerungskultur“ bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie wurden zudem von der Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Yvonne Magwas (CDU/CSU), empfangen und statteten dem Bundesrat einen Besuch ab. 

Ein besonderer Höhepunkt war laut Ziemiak ein Treffen der polnischen Delegation mit Bundespräsident Dr. Frank-Walter Steinmeier: „Dass unser Staatsoberhaupt sich Zeit für unsere polnischen Freunde genommen hat, unterstreicht die hohe Bedeutung der deutsch-polnischen Freundschaft.“

Breite Perspektive parlamentarischer Zusammenarbeit 

Die Zusammensetzung der polnischen Delegation gebe das Ergebnis der jüngsten Parlamentswahlen in Polen wider, die zu neuen Mehrheiten und einem Regierungswechsel geführt hatten, gibt Ziemiak zu bedenken. Der frühere Vorsitzende der Polnisch-Deutschen Parlamentariergruppe, Kazimierz Gołojuch (PiS), sei jetzt Stellvertreter. 

Wie üblich in Demokratien und unter Demokraten arbeite man aber wie bisher zusammen mit Vertretern sowohl der Regierungs- als auch der Oppositionsfraktionen. Die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse spiegelten die Machtverhältnisse der Exekutive, eröffneten aber eine breitere Perspektive und wiesen so darüber hinaus. 

„Politisches Klima hat sich aufgehellt“

Das politische Klima in den deutsch-polnischen Beziehungen habe sich nach den Wahlen in Polen aufgehellt, berichtet Ziemiak. Die nationalkonservative Regierung war dabei durch eine neue Koalitionsregierung aus der Bürgerkoalition (Koalicja Obywatelska, bestehend aus der liberalkonservativen Bürgerplattform „PO“, der liberalen „Moderne“, der linksliberalen „Initiative Polen“ und den polnischen Grünen), dem konservativen Bündnis „Dritter Weg“ (Zusammenschluss aus der Polnischen Volkspartei „PSL“ und der neuen Partei „Polen 2050“) sowie der polnischen Linken abgelöst worden. 

Allerdings sei die „Zusammenarbeit zwischen den Parlamentariern beider Länder schon immer besser gewesen als die Regierungszusammenarbeit“, wo in den letzten Jahren die Misstöne überwogen hätten, so Ziemiak. Der Wert der parlamentarischen Dimension der zwischenstaatlichen Beziehungen könne kaum hoch genug eingeschätzt werden. Die Gesprächsatmosphäre auch während des Besuchs sei entsprechend gut und vertrauensvoll gewesen, berichtet Ziemiak. 

Idee einer parlamentarischen Versammlung nimmt Fahrt auf

Die Einrichtung einer parlamentarischen Versammlung nach deutsch-französischem Vorbild ist aus Sicht des CDU-Abgeordneten Ziemiak genau das Richtige, um die Vorteile der parlamentarischen Zusammenarbeit auf eine breitere Basis zu stellen. Für den von ihm initiierten Vorschlag gebe es nun sowohl im neu gewählten Sejm als auch im Bundestag fraktionsübergreifende Zustimmung.

Die deutsch-französische Aussöhnung und Kooperation mit ihrem dichten Netzwerk an politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakten und ihrem institutionellen Fundament ist für den Europapolitiker Ziemiak beispielhaft. Elysée-Vertrag, Deutsch-Französisches Jugendwerk, Regierungskonsultationen und die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung stünden dafür, wie aus Kriegsgegnern Partner geworden sind, die miteinander die Herausforderungen der Zukunft angehen. 

„Die Zeichen stehen wieder auf Zusammenarbeit“

„Auch zwischen Deutschland und Polen gibt es erfolgreiche binationale Institutionen“ wie die Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit (SdpZ) oder das Deutsch-Polnische Jugendwerk. „Jedoch ist das Maß an Zusammenarbeit noch nicht auf dem gleichen Niveau wie mit Frankreich“, erklärt Paul Ziemiak: „Gemeinsam mit Polen, unserem wichtigsten östlichen Nachbarn in der EU, sollten wir ähnliche Ambitionen entwickeln.“ Es sei „an der Zeit, eine Deutsch-Polnische beziehungsweise eine Polnisch-Deutsche Parlamentarische Versammlung zu gründen, um den Austausch zwischen beiden Ländern zu intensivieren und die Zusammenarbeit zu vertiefen.“ 

Sein Vorschlag sei bereits während der Delegationsreise nach Warschau vor einem Jahr sowohl bei den Mitgliedern in der Parlamentariergruppe als auch den polnischen Partnern auf ein sehr positives Echo gestoßen, erzählt Ziemiak. Die jüngsten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen, die erstmals seit dem Jahr 2018 wieder stattfanden, stellen laut Ziemiak ein weiteres positives Zeichen dar, dass man auch auf dieser Ebene auf den Weg der Kooperation zurückgefunden habe. Auf allen Ebenen stünden also die Zeichen wieder auf Zusammenarbeit, so der Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe. 

Wirtschaftliche Verflechtung, gesellschaftliche Verbindungen

Während es in den vergangenen Jahren auf politischer Ebene zu einigen Provokationen und Verletzungen zwischen Polen und Deutschland gekommen sei, habe dennoch niemand ernsthaft die Brücken zwischen beiden Ländern abbrechen wollen, sei die große Bedeutung beider Länder füreinander nie ernsthaft infrage gestellt worden, betont der Abgeordnete aus dem nordrhein-westfälischen Iserlohn. Die Arbeit der Parlamentariergruppen habe dazu einen entscheidenden Beitrag geleistet und der Austausch Anfang Juli die Wiederannäherung nun beflügelt. 

Die Bedeutung der deutsch-polnischen Beziehungen finde ihren Ausdruck in der seit dem EU-Beitritt Polens 2004 zunehmenden Verflechtung beider Volkswirtschaften und in den historisch begründeten, unzähligen gesellschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Völkern. Daran werde man jetzt politisch verstärkt anknüpfen, versichert der Vorsitzende der Parlamentariergruppe.

Immer noch Vorurteile statt Wissen und Verständnis

Die Potenziale der Zusammenarbeit beider Länder in Europa seien groß, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit sei es auch. Für Paul Ziemiak ist angesichts der Geschichte klar: „Die Einheit der Europäischen Union gibt es nicht ohne die enge Beziehung zwischen Deutschland und Polen. Viele beschwören immer wieder die Bedeutung der Achse Berlin-Paris für die Stabilität Europas. Aber genauso wichtig ist die Achse Berlin-Warschau.“ 

Allerdings entspreche das geringe gegenseitige Wissen voneinander und Verständnis füreinander nicht diesen Aufgabenstellungen und Ambitionen. Dagegen herrschten weiterhin große Vorurteile. 

Deutsch-polnisches Haus als Erinnerungs- und Begegnungsstätte

Um das zu ändern, nehme das Projekt eines deutsch-polnischen Hauses als Erinnerungs- und Begegnungsstätte in Berlin mittlerweile Gestalt an. Als Parlamentariergruppe habe man dieses Thema auch gegenüber der Bundesregierung auf der Agenda gehalten und nun den polnischen Gästen über Fortschritte berichten können. Die Verzögerungen seien sehr bedauerlich, äußert sich Ziemiak zu dem Vorhaben. Seit dem Bundestagsbeschluss vom Oktober 2020 seien fast vier Jahre vergangen. 

Mit dem deutsch-polnischen Haus solle eine Dokumentations-, Bildungs- und Begegnungsstätte geschaffen werden, an der der deutschen Besatzungsherrschaft und der Opfer Polens im Zweiten Weltkrieg gedacht werde und wo sich Polen und Deutsche begegnen könnten. Für das auf eine zivilgesellschaftliche Initiative zurückgehende Projekt, das nun vom Deutschen Polen-Institut und der Stiftung Denkmal umgesetzt wird, laufe momentan die Suche nach einem Standort im Parlaments- und Regierungsviertel, der diesen Ansprüchen gerecht werde. 

Entschädigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter

Als Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag habe man außerdem den polnischen Gästen versichert, mit dem Thema der Opferentschädigung ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter eine letzte Lücke im Bereich der Entschädigung zu schließen, sagt Ziemiak. Es sei traurig, dass immer noch überlebende Opfer der nationalsozialistischen Zwangsherrschaft leer ausgingen, ja in Armut lebten. Diese hätten eine würdige Entschädigung verdient. Hier bestehe akuter Handlungsbedarf.

Kein Gesprächsthema hingegen seien die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland gewesen, wie sie vor zwei Jahren von der ehemaligen polnischen Regierung formuliert und in einer Resolution des Sejms beschlossen worden waren, berichtet Ziemiak. Rechtlich könne man die Angelegenheit als bereits vor Jahrzehnten entschieden betrachten. Dennoch finde die Idee, erneut Reparationen zu fordern, in Polen gesellschaftlich einige Unterstützung, und es sei ein verständliches Anliegen, wenn die Polen darüber reden wollten. 

„Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte stärken“

Angesichts der historischen deutschen Verbrechen in und an Polen, Land wie Leuten, gelte es vor allem in Deutschland „das Bewusstsein für die gemeinsame Geschichte, für das, was die Deutschen mit den Polen gemacht haben, sowie für die Befindlichkeiten und die Leistungen des Nachbarlandes zu stärken“, so der Bundestagsabgeordnete.

„In Deutschland wird unterschätzt, wie massiv es auf eine Gemeinschaft wirkt, wenn sie von der Nachbargesellschaft über Jahrhunderte geknechtet wird. Wir sollten den Polen daher mehr Anerkennung entgegenbringen und zeigen, dass wir sie sowie ihre historischen Erfahrungen und ihre heutigen Leistungen ernst nehmen und zu unserer Verantwortung stehen.“

„Ein neues Kapitel europäischer Geschichte aufschlagen“

So manches politische, diplomatische oder auch persönliche Missverständnis beruhe zudem auf Unkenntnis voneinander und mangelndem Verständnis füreinander. Daher sei es besonders wichtig, nun rasch den Bundestagsbeschluss von 2020 zur Schaffung eines Erinnerungs- und Begegnungsortes umzusetzen. 

Polen sei bereit zusammen mit Deutschland ein neues Kapitel europäischer Geschichte aufzuschlagen und die Zukunft gemeinsam zu gestalten, in einer Welt voller Herausforderungen, die niemand allein stemmen könne. Trotz mancher Meinungsverschiedenheit überwiegen die gemeinsamen Interessen beider Länder und die enge Zusammenarbeit mit Polen liegt im vitalen Interesse Deutschlands und sollte in unserer Außen- und Sicherheitspolitik eine herausragende Rolle einnehmen, sagt Paul Ziemiak.

„Mehr als nur ein Nachbarland“

„Polen ist für Deutschland mehr als nur ein Nachbarland“, sagt der CDU-Abgeordnete, der 1985 in der polnischen Stadt Szczecin an der Odermündung, dem früheren deutschen Stettin, geboren wurde. Die Partnerschaft, ja Freundschaft, sei nicht nur für beide Länder wichtig, sondern auch für ein stabiles, friedliches und prosperierendes Europa. 

Die Parlamentarier seien sich darüber längst einig und wollten nach den jüngsten Gesprächen alle Themen von bilateralem Interesse im europäischen Sinne weiter verfolgen. Die neuen Mehrheitsverhältnisse im Sejm erleichterten die Chance zu einem fälligen Neustart. Dazu sei mit dem Besuch der polnischen Delegation in Berlin der Aufschlag gelungen. (ll/19.07.2024)