Bürgerschaftliches Engagement

Wie Inklusion im kultur­politischen Engagement berücksichtigt wird

Zeit: Mittwoch, 24. April 2024, 16.30 bis 18.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 4.800

Die Gesellschaft geht zunehmend auf die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen ein, aber es gibt noch viel zu tun. Dieser Eindruck bleibt nach dem Fachgespräch des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement zum Thema „Kulturpolitisches Engagement und Inklusion“ am Mittwoch, 24. April 2024, in dem Kulturschaffende der freien Szene aus ihren Einrichtungen, Vereinen und Verbänden und über ihre Erfahrungen und Pläne berichteten. 

Inklusions- und Integrationspreis ausgelobt

Ein Mädchen im Rollstuhl habe dieses Jahr zu Fastnacht eine Büttenrede im Bayerischen Rundfunk gehalten, rief Tobias Brand, Bezirkspräsident des Fastnacht-Verbands Franken e. V., in Erinnerung. Zum einen wolle man damit das Thema Inklusion, das für die Karnevalsvereine ein großes Thema sei, stärker in die Öffentlichkeit bringen. Zum anderen solle damit unterstrichen werden, dass dies etwas ganz Selbstverständliches sei. 

Um Vereine, die man bei dem Thema mit Workshops unterstütze, zu motivieren, habe man in Franken zudem einen Inklusions- und Integrationspreis ausgelobt. Beim Thema Barrierefreiheit von Spielstätten könnten die Kommunen es den Vereinen zukünftig noch leichter machen. Ob mit Handicap auf der Bühne zu reden oder im Rollstuhl zu tanzen: „Inklusion soll alltäglich sein. Wir wollen das öffentlich machen und den Menschen die Angst nehmen.“ 

Inklusion wird bei Förderprogrammen mitgedacht

Die Amateurmusikszene, einschließlich der Fachvereine, lebe in großen Teilen vom freiwilligen Engagement und vom Ehrenamt, erklärte Sirid Heuts, Bereichsleiterin Öffentlichkeitsarbeit des Bundesmusikverbandes Chor und Orchester e. V., des Dachverbands der Amateurmusik. Dabei spreche man „alle Menschen an, die Freude an der Musik haben, ganz gleich welche Einschränkungen oder Vorlieben sie haben“. Musik habe erwiesenermaßen positive Effekte für die Persönlichkeitsentwicklung, die Gesundheit und den sozialen Zusammenhalt. 

„Zum musikalischen Erleben ist jeder Mensch auf seine individuelle Weise fähig. Jeder kann sich auf seine Weise mit seinen Fähigkeiten einbringen“, sagte Heuts. Bei den Förderprogrammen werde „das Thema Inklusion immer aktiv mitgedacht“. Die Möglichkeit zu musizieren solle allen Menschen offenstehen. Menschen mit Beeinträchtigungen gehörten ganz selbstverständlich mit dazu. Nicht sie sollten sich an die vorhandenen Strukturen anpassen müssen, sondern umgekehrt. Es müsse jetzt darum gehen, noch mehr Menschen, an die sich die Angebote richten, zu erreichen, die Spielstätten ebenso wie das Publikum zu ertüchtigen und das Bundesförderprogramm für die Amateurmusik zu verstetigen.

Vermittlung kostenloser Plätze in Kulturveranstaltungen 

Kostenlose Plätze in Kulturveranstaltungen an Menschen mit geringem Einkommen zu vermitteln, sei die Aufgabe ihres Vereins, sagte Angela Meyenburg, Gründerin und Geschäftsführerin von KulturLeben Berlin – Schlüssel zur Kultur e. V. An fast 30.000 Mitglieder habe der Verein im Jahr 2023 etwa 35.000 Tickets vermittelt, vor der Pandemie seien es bereits über 50.000 im Jahr gewesen. Die Telefonate mit den Mitgliedern führten ausschließlich Ehrenamtliche, die136 von 150 Kolleginnen und Kollegen stellten, 18 Prozent davon hätten eine Behinderung. 

Es sei ihr und ihrem Team „ein großes Anliegen, dass wir ehrenamtlich, inklusiv und breit aufgestellt arbeiten“. Kürzlich habe man die interne Vermittlungsanwendung mit einer barrierefreien Benutzeroberfläche ergänzt, sodass auch Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen sich im Verein engagieren können. 

Einziges inklusives Laienorchester in Deutschland

Mit Theatern, Künstlern und in Kooperation mit einer Schule produziere man auch selber Veranstaltungen und betreibe mit Werkstatt Utopia „das erste und bislang einzige inklusive Laienorchester in Deutschland“. An „Veranstaltungsorte, die sich das Thema Inklusion vorbildhaft auf die Fahnen geschrieben haben“, verleihe man neuerdings ein Inklusionssiegel. Auf der Webseite www.barrierefrei.berlin würden Veranstaltungsorte mit ihren Barrieren erfasst, sodass Nutzer mit einem Filter nach Art ihrer Behinderung selbstbestimmt auswählen könnten, welche Barrieren es vor Ort gibt und welche Veranstaltung sie besuchen wollen. 

Zu den Voraussetzungen für eine gelungene Inklusion gehörten neben barrierefreie Räumen auch eine barrierefreie IT, ebensolche Büros, die Finanzierung von Begleitassistenten, Pauschalen an die Ehrenamtlichen und ein bewusstes Team, das bereit sei, Kolleginnen und Kollegen mit Einschränkungen zu unterstützen. Seitens der Gesellschaft wünsche man sich dafür Wertschätzung, betonte Meyenburg. 

Kosten für einen Dolmetscher als Engpass

Heike Klier, Gesamtleiterin der Regens-Wagner-Stiftung Zell, die sich seit 150 Jahren um Menschen mit Hörbehinderung sowie zusätzlichen Einschränkungen kümmert, sagte, diese Art der Beeinträchtigung und ihre spezifischen Bedarfe wie Gebärdensprache würden allzu oft vergessen. Diesen Menschen falle es schwer, sich öffentlich zu vertreten. Inklusive Kulturveranstaltungen für diese Gruppe gebe es viel zu wenige. Lediglich Gebärdendolmetscher zu Theateraufführungen oder Vorführungen zu schicken, reiche zudem nicht aus. 

Menschen mit Hörbehinderung müssten von vornherein ihre Bedürfnisse in Projekte und Produktionen einbringen können, man habe da gute Erfahrungen gesammelt. Solche Aufführungen seien ganz „anders als für uns Hörende“. Oft scheitert das Eingehen auf Hörbehinderungen laut Klier aber bereits an den Kosten für einen Dolmetscher. Vereine könnten diese  Kommunikation nicht einkaufen. 

Theater mit barrierefreier Ausstattung

„Wir sind ein Inklusionstheater, das für Vielfalt steht“, sagte Schauspielerin Kamilla Taller, Ensemblemitglied des Klabauter Theaters Hamburg. Als eine von 13 Schauspielerinnen und Schauspielern mit Einschränkungen spiele sie mit Mitgliedern des Ensembles und Gastschauspielern, erlebe unterschiedliche Spielstätten und Regisseure. Teilnehmer des Freiwilligen Sozialen Jahres unterstützten die Schauspieler, die dies bräuchten, stünden auch mal selbst auf der Bühne und brächten auch die eine oder andere Einschränkung mit.

Die Ausstattung des Theaters sei sowohl für die Mitarbeiter als auch für die Zuschauer barrierefrei, Zuschauerraum und Bühne seien mit Rampen ausgestattet. Das Publikum setze sich ebenso wie die Belegschaft aus Menschen mit und ohne Beeinträchtigung zusammen. Die Stücke würden für Menschen mit unterschiedlichen Sinneswahrnehmungen produziert, erläuterte Taller. Blinde etwa dürften die Schauspieler und Requisiten anfassen, um das Stück zu erleben. 

Gemeinsames künstlerisch-ästhetisches Erlebnis 

Sozialassistenten, Auszubildende und Praktikanten verstärkten das Team, ergänzte Karin Nissen-Rizvani, Künstlerische Leiterin des Theaters. Die Finanzierung des Hauses basiere auf einem Träger und einer institutionellen Förderung durch die Kulturbehörde einerseits sowie durch die einzeln projektgeförderten Produktionen. An allen Stellen des Hauses arbeiteten sowohl Menschen mit als auch ohne Beeinträchtigung zusammen, ob im Ensemble, im Büro oder im Garten. 

Die Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen brächten ganz unterschiedliche Behinderungen mit. Es sei eine bunte Vielfalt, man gehe aufeinander ein, lerne voneinander, habe gemeinsam ein künstlerisch-ästhetisches Erlebnis, so Nissen-Rizvani. Entsprechend verhalte es sich mit dem Publikum. Die Überzeugung des Teams sei: Nicht die Mitarbeiter und Besucher müssten sich irgendwie anpassen, sondern die Strukturen hätten sich an sie anzupassen. Zur besseren Betreuung der Ehrenamtlichen wünsche sie sich die Stelle einer hauptamtlichen Betreuung. (ll/25.04.2024)