Auswärtiges

Experten bewerten die Zu­kunft des LNG-Marktes

Zeit: Mittwoch, 20. März 2024, 18.30 bis 19.30 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800

Die Gasversorgung Deutschlands ist mittelfristig gesichert durch den Import von Flüssiggas (LNG) aus verschiedenen Lieferländern. Das zu erwartende steigende Angebot werde zu weiter sinkenden Preisen führen und den sogenannten „Brückenrohstoff“ attraktiv halten, wodurch sich ein Zielkonflikt mit dem Klimaschutz ergibt, erklärten die Sachverständigen im öffentlichen Fachgespräch des Unterausschusses Internationale Klima- und Energiepolitik am Mittwoch, 20. März 2024, zum Thema „Entwicklung des Gasmarktes und globaler LNG-Kapazitäten“.

Von den russischen Exporten habe man sich mittlerweile „vollkommen unabhängig“ gemacht, während noch vor nur zwei Jahren 55 Prozent der deutschen Gasimporte direkt aus Russland kamen, rief Marcus Hicken, Beauftragter für Energieaußenpolitik, Klima und Sicherheit im Auswärtiges Amt, in Erinnerung. Geschafft habe Deutschland das durch Einsparungen, den Ausbau der erneuerbaren Energien und die Diversifizierung seiner Bezugsquellen. Im Rekordtempo habe man eine LNG-Infrastruktur aufgebaut.

Zunahme der LNG-Importe um 78 Prozent

Politische Entscheidungen und Ereignisse würden den Gasmarkt auch weiterhin beeinflussen, von der Klimapolitik bis zur Sicherheitslage. Die jüngste UN-Klimakonferenz habe gerade noch einmal das 1,5 Grad-Ziel und die Abkehr von fossilen Energieträgern bekräftigt. Europas Reaktion auf die durch Russland verursachte Energiekrise sei das Programm „Repower EU“, mit dem die Gemeinschaft bis zum Jahr 2027 komplett auf den Import fossiler Brennstoffe aus Russland verzichten will. Europa habe bislang 20 Prozent seine Gasverbrauchs eingespart. Der Anteil der Erneuerbaren am Strommix sei auf 45 Prozent gestiegen.

Deutschland habe sich nun einem wachsenden LNG-Weltmarkt zugewendet. Um 78 Prozent hätten die LNG-Importe im Vergleich zum Jahr 2021 zugenommen. „Die Abwesenheit externer Schocks vorausgesetzt“ erscheine die Versorgung in den kommenden Jahren stabil. Neue Kapazitäten würden auf eine sinkende Nachfrage treffen und die Preise entsprechend beeinflussen.

„Eine völlig neuen Angebotslage“

Die Knappheitserfahrung der Jahre 2021, 2022 werde sich nicht fortschreiben, „der Weltmarkt wird sich deutlich entspannen“, unterstrich auch Felix Heilmann vom Think Tank Dezernat Zukunft und rief in Erinnerung, dass zwischen 2025 und 2030 eine große Zahl neuer LNG-Exportanlagen, vor allem in den USA und Katar, den beiden größten Exporteuren, ihren Betrieb aufnehmen werde. Zu dem bisherigen Volumen von 650 Milliarden Kubikmetern Flüssiggas würden dann 280 Milliarden Kubikmeter zusätzlich angeboten - eine Erhöhung um etwa 50 Prozent. Das sei mehr als das Doppelte des Gases, das ehemals aus Russland importiert wurde.

Man stehe vor eine völlig neuen Angebotslage, die Versorgungssicherheit biete kurz- und mittelfristig keinen Grund zur Sorge. LNG sei eine Brücke, um kurzfristig eine Mangellage zu vermeiden. Mit den Klimaschutzzielen seien die angebotenen Mengen und die vorhersehbar fallenden Preise allerdings inkompatibel. Die Anbieter würden fast um jeden Preise versuchen, ihre Exportterminals in den kommenden 30 Jahren zu füllen. Oder andersherum: „70 Prozent der im Bau befindlichen Projekte werden nicht wirtschaftlich betrieben werden können, wenn die Klimaziele erreicht werden.“

Nachfragewettlauf zwischen China, Japan und Europa

Aus Gründen des Klimaschutzes und auch sicherheitspolitisch sei eine sinkende Nachfrage nach fossilen Rohstoffen wie Erdgas und LNG zu begrüßen. Die technologische Transformation werde eines Tages weit genug fortgeschritten sein, um ganz darauf verzichten zu können. Abnehmer wie Deutschland müssten jetzt darauf achten, sich nicht zu stark mit Langfristverträgen zu binden und auch in der Außenpolitik auf eine alternative Energieproduktion hinzuarbeiten und entsprechende Nachfragesignale zu senden.

Die Auswirkungen der europäischen Energiekrise und der dadurch gestiegenen Nachfrage nach LNG „kann man nicht hoch genug einschätzen“, sagte Clark William Starry vom Institute for Energy Economics and Financial Analysis. Aus Sicht der USA ergebe sich dieses Bild: Nachdem 2021 die Russen begonnen hätten, den europäischen Gasmarkt zu manipulieren, sei es zu einem Nachfragewettlauf zwischen China, Japan und Europa gekommen, mit der Folge in die Höhe schießender Preise. „Profiteure waren die Gasproduzenten“, in den USA, Mexiko, Katar, „und sorgten dafür, dass mehr und mehr Terminals gebaut wurden“.

Die Kapazitätsausweitung habe sehr negative Auswirkungen auf die vor Ort betroffenen Gemeinden. Die ganze Entwicklung sei dabei getrieben durch die Nachfrage von außen. Die Gasförderung durch Fracking habe zugenommen, nur um es für den Export zu den Terminals zu bringen. Viele US-Gemeinden wehrten sich dagegen. Es gebe Leckagen, Emissionen würden in Kauf genommen bei Förderung und Transport. Mehr Methan als in der Vergangenheit werde nun in den USA ausgestoßen. „Vor dem Hintergrund der Klimaziele ein ernstes Problem.“ LNG sei als Brücke hin zu den Erneuerbaren nicht geeignet. Das in den Jahren 2025 bis 2028 zu erwartende Überangebot werde sich eine Nachfrage suchen. Das dürfe man nicht allein dem Markt überlassen.

Exportterminals der USA im Golf von Mexiko

Von dem Kampf ihrer Bürgerinitiative gegen ein lokales LNG-Terminal berichtete Zulene Mayfield von der Organisation Chester Residents Concerned for Quality Living aus Chester, Pennsylvania in den USA. Weil der Betrieb den dafür nicht ausreichend qualifizierten Einwohnern kaum neue Arbeitsmöglichkeiten bringe, sondern nur deren Gesundheit gefährde, habe man sich gegen diesen „Umweltgenozid“ gewendet und wisse dabei den Bürgermeister ebenso wie den Landkreis auf seiner Seite.

Die Investoren hätten an ihre Solidarität als „gute Amerikaner“ mit Europa appelliert. Man habe sich mit Kommunen am Golf von Mexiko zusammengetan, wo der Großteil der Exportterminals der Vereinigten Staaten stehe. Lebensräume für Mensch und Tier seien dort verloren gegangen. Man wolle so ein Terminal nicht vor der Haustür, das einer solchen wirtschaftlichen Logik folge, eine künstliche Nachfrage schaffe und damit den globalen Klimazielen entgegenstehe. (ll/21.03.2024)