Restitution: Stärkung der „Beratenden Kommission“ gefordert
Zeit:
Montag, 11. März 2024,
11 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.200
Die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, insbesondere aus jüdischem Besitz, sollte künftig auch nur von einer Seite anrufbar sein. Dieser auch von der Bundesregierung unterstützte Reformvorschlag traf bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Kultur und Medien am Montag, 11. März 2024, auf breite Zustimmung. Bislang müssen Antragsteller und derzeitige Besitzer mit der Anrufung einverstanden sein. Kein einheitliches Meinungsbild gab es hinsichtlich einer gesetzlichen Regelung der Rückgabe durch ein Restitutionsgesetz.
Restitutionsgesetz stößt auf geteilte Meinung
Rechtsanwalt Christoph J. Partsch hält ein umfassendes Restitutionsgesetz für sinnvoll, um die vielen – allerdings überwindbaren – Rechtsfragen zweifelsfrei zu lösen. Ein Restitutionsgesetz könne als Artikelgesetz Regelungen zur Verjährung, zur sogenannten Ersitzung, Beweislastumkehr, Stellung der Beratenden Kommission, etwa als verpflichtend anzuhörendes Sachverständigengremium, zu einem zentralen Gerichtsstand, zu Streitwertobergrenzen und Gerichtskosten oder zu einem Restitutionsinformationsfreiheitsgesetz treffen, um die Restitution, zumindest eine faire und gerechte Lösung von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, zu verankern, befand er.
Ulf Bischof, ebenfalls auf Restitutionsfragen spezialisierter Rechtsanwalt, sah indes keinen Bedarf für eine gesetzliche Regelung. Die geplante Reform mit der einseitigen Anrufbarkeit der Kommission, der Möglichkeit einer frühzeitigen Befassung sowie der Beauftragung von unabhängiger Provenienzforschung sei ausreichend. Stimmten bei der Kulturministerkonferenz am Mittwoch alle Länder dem zu, wäre das aus seiner Sicht ein weiterer Schritt zur freiwilligen Streitschlichtung. Somit könnten alle Antragsteller die Möglichkeit erhalten, vor die beratende Kommission zu kommen. Eine gesetzliche Regelung indes könne dauern, sagte Bischof. Benötigt werde aber schnelle Abhilfe, „weil die Erben keine Zeit haben“.
Die Generalsdirektorin der Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Marion Ackermann, sagte, aus Sicht der Provenienzforschungs- und Restitutionspraxis eines Museumsverbundes wie den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD) sprächen mehr Argumente gegen ein solches Gesetz als dafür. Die bisherigen Regelungen seien weitgehend funktionsfähig, urteilte sie, auch wenn es „Schärfungsbedarf“ unter anderem wegen der Beschränkung des Geltungsbereichs auf öffentliche Einrichtungen unter faktischem Ausschluss von Privatpersonen und wegen einiger spezieller Regelungen im Kontext der Beratenden Kommission gebe. Ackermann bewertete es dennoch als erheblich sinnvoller, das aktuelle Regelsystem auf Basis der bestehenden Praxis zu qualifizieren, statt es durch ein Restitutionsgesetz außer Kraft zu setzen.
„Wir machen proaktiv Provenienzforschung“
Die öffentlichen Kultureinrichtungen würden ihre moralische Verpflichtung kennen, betonte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Wir machen proaktiv Provenienzforschung“, sagte er. Dass die Beratende Kommission in strittigen Fällen auch eigene Provenienzforschung in Auftrag geben könne, hält Parzinger für richtig. Die Kultureinrichtungen sollten aber nicht davon entlassen werden, selber die Forschung zu betreiben. Eine gesetzliche Regelung, sagte er, könne sinnvoll sein, um eine klarere Orientierung zu geben und so Entscheidungen zu erleichtern. Keinesfalls dürfe sie aber dazu führen, dass die Prozesse, „die jetzt gut und reibungslos ablaufen, schwerfälliger werden oder dass Ressourcen statt in die Verbesserung der Provenienzforschung in zusätzliche Verwaltungsstrukturen fließen“.
Sollten aber verstärkt auch Restitutionen aus privater Hand erfolgen, bedürfe es unbedingt einer gesetzlichen Grundlage, sagte Parzinger. Diese müsse aber gut durchdacht sein und dürfe sich keinesfalls auf einzelne Anpassungen der bestehenden Gesetze beschränken, da dies aus seiner Sicht nicht wirklich zu einer Verbesserung für die Berechtigten führen würde.
„Fristen sind nicht möglich“
Rechtsanwältin Agnes Peresztegi sprach sich für die Beibehaltung des Kommissionsverfahrens aus. Es biete ein viel geeigneteres Forum für die Behandlung von Restitutionsansprüchen als die Gerichte, sagte sie. Benötigt werde ein Restitutionsgesetz für die Privatsammlungen. Dorthin gerichtete Ansprüche könnten mit der Beratenden Kommission nicht geklärt werden. „Das funktioniert einfach nicht“, sagte Peresztegi.
Werde ein Restitutionsgesetz in Erwägung gezogen, sollte ihrer Auffassung nach auch klar sein, „dass Fristen nicht möglich sind“. Die seit über 20 Jahren andauernden Forschungen seien noch nicht einmal annähernd abgeschlossen. „Solange nicht alle relevanten öffentlichen Archive digital zugänglich sind und nicht auf einfache Weise und umfassend durchsucht werden können, lässt sich nicht über Fristen für die Geltendmachung von Ansprüchen diskutieren“, sagte sie.
Herkunftskennzeichnung und Auskunftsanspruch
Fast 80 Jahre nach Ende der NS-Schreckensherrschaft müssten die vereinbarten Washingtoner Prinzipien als letzter noch ungelöster Bereich der NS-Restitution und Entschädigung in Deutschland endlich verbindlich umgesetzt werden, um eine Befriedung zu erreichen, forderte Rüdiger Mahlo, Deutschland-Repräsentant der Claims Conference. Dies könne zufriedenstellend nur in Form eines Bundesgesetzes erfolgen, befand er. Geltungsbereich eines NS-Raubkunstgesetzes müsse die Restitution von NS-Raubkunst im Besitz von öffentlichen Institutionen, privaten Institutionen wie Galerien und Auktionshäusern sowie von Privatpersonen sein.
Mahlo sprach sich zudem für eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung und einen Auskunftsanspruch aus. Gerade in Deutschland sei es wichtig, ein solches Labeling gesetzlich verpflichtend zu regeln. Nur dieser breite Ansatz werde den komplizierten und intransparenten Wegen gerecht, die weitläufige Transfers, häufige Besitzerwechsel und Verschleierung der Provenienz bis heute verursacht hätten. (hau/11.03.2024)