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Austausch über euro­päisches Gedenken an Opfer des Kommunismus

Hunderte Briefe, letzte Briefe. Geschrieben aus Arbeitslagern, Konzentrationslagern und Gefängnissen. Oft verfasst an die eigene Mutter, eine letzte Nachricht vor dem Tod. Ein Abbild dieser Abschiedsbriefe soll, so lautet die Idee der Platform of European Memory and Conscience (PEMC), als gesamteuropäisches Mahnmal für die Opfer des Totalitarismus auf einem Platz in Brüssel eingelassen werden. Ein „Botschafter aus der Vergangenheit, der Briefe bringt von Opfern aus der Vergangenheit“, beschreibt Dr. Marek Mutor das Konzept hinter dem Projekt. 

Mutor ist Präsident der 2011 auf Initiative des Europäischen Parlaments gegründeten Plattform. Ihr Ziel ist es, das öffentliche Bewusstsein für die von totalitären Regimen im vergangenen Jahrhundert in Europa begangenen Verbrechen zu schärfen. Und so soll auch das geplante Denkmal aller Opfer des Totalitarismus gedenken, sagt Mutor, denen des Nationalsozialismus wie des Kommunismus. 

Europäisches Gedenken

Auf Einladung der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke hatte Mutor das Mahnmal-Projekt am Donnerstag, 1. Februar 2024, während eines Fachgesprächs zur europäischen Perspektive des Gedenkens und Erinnerns an die Opfer des Kommunismus im Bundestag vorgestellt. 

Im Zentrum der Veranstaltung, zu der Zupke neben dem PEMC-Präsidenten weitere Expertinnen und Experten aus dem Bereich der Erinnerungskultur eingeladen hatte, standen die Fragen: Wie kann die europäische Gedenkkultur in der Frage ihres Umgangs mit dem Erbe totalitärer Regime weiterentwickelt werden? Welche Rolle kann dabei künftig das Gedenken an die Opfer des Kommunismus einnehmen? Und welchen Beitrag kann zum Beispiel ein solches Mahnmal wie das in Brüssel geplante für die Erinnerungskultur leisten?

„Ein blinder Fleck“

Die Erinnerung an die kommunistische Herrschaft sei bis heute „ein blinder Fleck“, sagte die Direktorin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED Diktatur, Dr. Anna Kaminsky. Es gebe noch immer keine Antwort auf die Frage, was der Kommunismus sei. Den Konsens, den es in Bezug auf die Verbrechen des Nationalsozialismus gebe, den gebe es in Bezug auf den Kommunismus noch nicht, kritisierte sie. „Das ist bis heute eine Leerstelle.“ 

Auch Elisabeth Motschmann, Beiratsmitglied im European Network Remembrance und Solidarity (ENRS), betonte, es sei entscheidend, bei der Betrachtung des vergangenen Jahrhunderts, „beide Diktaturen voll im Blick zu behalten: sowohl die Nazi-Diktatur als auch die kommunistische Diktatur in den unterschiedlichen Ländern“. Motschmann ist überzeugt, viele Schicksale schlummerten noch im Verborgenen, seien noch nicht dokumentiert. 

Würdigung der Schicksale

Dabei sei gerade die Sichtbarkeit in der Gesellschaft, die Würdigung des persönlichen Leids für Betroffene besonders wichtig, unterstrich die SED-Opferbeauftragte Zupke. Ein Mahnmal wie das geplante gesamteuropäische Denkmal in Brüssel könne dazu beitragen, die Wahrnehmung der individuellen Schicksale zu stärken. 

Erinnerungskultur brauche schließlich Orte, an denen sie stattfindet, sagte auch Katrin Budde, Vorsitzende des Ausschusses für Kultur und Medien, die die Podiumsdiskussion leitete. Das europäische Mahnmal wäre „ein solcher wichtiger Ort“, noch dazu, als Ausdruck einer europäischen Erinnerungskultur, in jener Stadt, in der europäische Politik entworfen und diskutiert werde. 

Historische Aufklärung

Allerdings, da waren sich die Anwesenden einig, sei es mit einem Mahnmal allein nicht getan. Eine historische Einordnung, eine Aufklärung über Strukturen und Ideologien, die hinter den Verbrechen stünden, sei essenziell, betonte der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker. Ein Denkmal sei eine wichtige symbolische Geste, sagte er. „Aber ohne historische Aufklärung ist Empathie mit den Opfern nicht möglich.“ 

So sei das gesamteuropäische Mahnmal für die Opfer der totalitären Regime in Brüssel auch erst der Anfang, erläuterte PEMC-Präsident Mutor. Die Gedenkstätte markiere „den Beginn etwas Tieferen, etwas Weitreichenderen“, den Bau eines Dokumentationszentrums. (irs/01.02.2024)

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