Recht

Sachverständige begrüßen Änderung des Richtergesetzes

Zeit: Mittwoch, 17. Januar 2024, 11 bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal 2.600

Der Rechtsausschuss hat sich am Mittwoch, 17. Januar 2024, in einer Anhörung mit einer von der Bundesregierung geplanten Änderung des Deutschen Richtergesetzes (20/8761) befasst. Demnach sollen ehrenamtliche Richter, also Schöffinnen und Schöffen, künftig zwingend nicht berufen werden dürfen, wenn an ihrer Verfassungstreue Zweifel bestehen. Die Sachverständigen begrüßten die Änderung übereinstimmend, vor allem die von der Unionsfraktion benannten sahen aber revisionsrechtlIche Probleme. Die Bundesregierung will mit der Regelung nach eigenem Bekunden explizit ein politisches Signal senden, da rechte und rechtsextreme Gruppen ihre Anhänger dazu aufrufen würden, sich als Schöffinnen oder Schöffen zu bewerben.

Verfassungsrechtlich begründete Pflicht

Kathrin Dingemann vom Deutscher Anwaltverein erklärte, mit der im Gesetzesentwurf vorgesehenen einfachrechtlichen Verankerung in  Paragraf 44a Absatz 1 des Entwurfs werde diese verfassungsrechtlich begründete Pflicht auch der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter, für die Verfassungsordnung, auf die sie vereidigt sind, einzutreten, stärker sichtbar gemacht und damit in ihrer Bedeutung unterstrichen. Revisionsrechtlich sieht die von der SPD-Fraktion benannte Anwältin keine Notwendigkeit einer weitergehenden Klarstellung. Sie wäre angesichts der Heterogenität der Regelungen auch mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Auf längere Sicht erschiene jedoch eine Harmonisierung der Regelungen über ehrenamtliche Richterinnen und Richtern angesichts der auch in diesem Gesetzgebungsvorhabens zu Tage tretenden Inkonsistenzen durchaus sinnvoll und lohnend.

Ebenfalls von der SPD-Fraktion benannt wurde Andreas Höhne vom Bundesverband ehrenamtlicher Richterinnen und Richter, Deutsche Vereinigung der Schöffinnen und Schöffen. Der Verband begrüße ausdrücklich, so Höhne, die Stellung der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter so zu festigen, dass nur solche Bürger in dieses Amt vorgeschlagen, gewählt und dieses Amt ausfüllen, an denen keine Zweifel an der Verfassungstreue besteht. Er verwies auf Lücken im Schöffenbewerbungsprozess und regte an, die Wahl noch besser zu begleiten. Kritisch gesehen werde die Änderung des Paragrafen 44 b Absatz 1, die eine Zeitentgrenzung für die Feststellung des abweichenden Verhaltens von „wenn nachträglich“ auf „wann immer“, also lebenslang beinhalte.

Tim Hühnert, Referatsleiter beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), sagte, Verfassungsfeinde in der Rechtsprechung seien schlichtweg nicht hinnehmbar. Deswegen werde der Entwurf begrüßt. Wenn aber ein absoluter Revisionsgrund geschaffen werden solle, sehe der DGB dies kritisch wegen möglicher Folgen für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit. Dies sei nicht hilfreich gerade auch im Hinblick auf eine mögliche Nichtigkeitsklage, dass also rechtskräftige Urteile innerhalb von fünf Jahren noch angegriffen werden können. Im Entwurf werde zwar die Schaffung eines Revisisonsgrunds für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit ausgeschlossen, dies sei aber nicht zwingend. Deswegen plädiere der DGB dafür, diesbezügliche Unsicherheiten zu verhindern und bei der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit einen Revisionsgrund auszuschließen, sagte Hühnert, der ebenfalls von der SPD-Fraktion nominiert worden war.

Unterschiede zwischen den Gerichtsbarkeiten

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nahm Dr. Marc Petit von der Neuen Richtervereinigung,Vorsitzender Richter am Landgericht Lübeck, an der Anhörung teil. Auch er wies auch auf die Unterschiede zwischen Arbeits-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit auf der einen Seite und dem Strafverfahren auf der anderen hin. Bei letzterem solle die Möglichkeit bestehen, im Verfahren Besetzungsrügen zu erheben und dies dann in die Berufung oder Revision zu tragen. Dies könne offensichtlich zu einem Problem werden. In Kenntnis der zurecht aufgeführten Problematiken würde er gleichwohl empfehlen, der Bundesregierung zu folgen. Es handele sich um ein „Signal einer wehrhaften Demokratie“, und es erscheine in der Konsequenz richtig, auch in Kenntnis der Risiken, die damit einhergingen, dies so zu machen.

Sophie Borkel, Referentin für Rechtsextremismusprävention bei dem Verein Gesicht Zeigen!, erklärte in ihrer Stellungnahme, Rechtsextreme in der Justiz, ob haupt- oder ehrenamtlich, seien eine ernste Bedrohung. Das Vertrauen der Bevölkerung in eine unabhängige und neutrale Justiz sei zentral für den Rechtsstaat. Rechtsextreme, die Recht sprechen, gefährdeten dieses Vertrauen massiv. Die Gesetzesänderungen reichten jedoch nicht aus. Sie müssten mit weiteren Maßnahmen für eine resilientere Justiz kombiniert werden, erklärte die ebenfalls von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen benannte Sachverständige.

Strafverfahren würden belastet

Für Franz-Wilhelm Dollinger, Richter am Bundesverwaltungsgericht, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken, die bereits geltende Rechtslage klarstellend ausdrücklich zu kodifizieren. Soweit die Begründung des Gesetzentwurfs allerdings davon ausgehe, dass die Neuregelung in Paragraf 44a Absatz 1 zur Konsequenz hat, dass im Strafverfahren das Gericht bei einem Verstoß gegen dieses Berufungshindernis fehlerhaft besetzt ist und dies zu einem absoluten Revisionsgrund im Sinne der Strafprozessordnung führt, löse dies „ein gewisses verfassungsrechtliches Unbehagen“ aus, so Dollinger in seiner schriftlichen Stellungnahme. Die Rechtsgemeinschaft müsse darauf vertrauen können, dass gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich Bestand haben.

Der Strafrechtler Prof. Dr.  Michael Kubiciel von der Universität Augsburg betonte, dass  die Unabhängigkeit der Justiz auch gegenüber Gefahren von innen gestärkt werden müsse. Dringend überdacht werden sollte aber die strafverfahrensrechtliche Konsequenz der für Paragraf 44a gewählten Formulierung. Dies sei ein absoluter Revisionsgrund, meinte auch Kubiciel. Künftig seien Strafverfahren mit der Dauergefahr belastet, dass sie wegen eines fehlerhaft berufenen Schöffen wiederholt werden müssen.

Wolfram NettersheimStaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, erklärte, der Entwurf unterstreiche die Bereitschaft und Verpflichtung des Staates, sich allen etwaigen Versuchen der Unterminierung der Justiz wirksam zu erwehren. Erheblichen Bedenken begegne allein die vorgeschlagene Ausgestaltung von Paragraf 44a Absatz 1 als „Muss-Regelung“. Er empfehle, diesen als Soll-Vorschrift auszugestalten und in der Begründung ausdrücklich hervorzuheben, dass die fehlende Verfassungstreue einer Schöffin oder eines Schöffen nicht die Möglichkeit einer Besetzungsrüge im Strafverfahren eröffnet. Nettersheim, Kubiciel und Dollinger waren von der CDU/CSU-Fraktion für die Anhörung vorgeschlagen worden.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Wie die Bundesregierung in der Begründung ausführt, besteht auch schon jetzt eine durch das Bundesverfassungsgericht bestätigte Pflicht zur Verfassungstreue für Schöffinnen und Schöffen. „Eine explizite gesetzliche Verankerung macht die Pflicht der ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zur Verfassungstreue besser sichtbar und hebt deren besondere Bedeutung ausdrücklich hervor“, heißt es weiter. Die Ergänzung des Paragrafen 44a des Richtergesetzes um einen zwingenden Berufungsausschlussgrund geht nach Darstellung der Bundesregierung aber über eine „deklaratorische Kodifizierung“ der Rechtsprechung hinaus. 

Sollte eine Schöffin oder ein Schöffe trotz des Vorliegens des Ausschlussgrundes berufen werden, sei das Gericht im konkreten Einzelverfahren fehlerhaft besetzt, führt die Bundesregierung aus. Damit sei im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage eine Besetzungsrüge möglich, im Strafverfahren stelle die fehlerhafte Besetzung einen absoluten Revisionsgrund dar. In der ersten Lesung des Entwurfs im Oktober vergangenen Jahres hatte Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) erklärt: „Das Schöffenamt darf nicht zum Einfallstor extremistischer Bestrebungen in die Justiz werden.“ (scr/mwo/17.01.2024)