Sachverständige bewerten Ziel einer allgemeinen Gesundheitsversorgung
Den ambitionierten Erklärungen auf internationaler Ebene mit dem Ziel einer allgemeinen Gesundheitsversorgung („Universal Health Coverage“) müssten jetzt auf nationaler Ebene konkrete Taten folgen, forderten die Sachverständigen im Fachgespräch des Unterausschusses Globale Gesundheit am Montag, 11. Dezember 2023, zum Thema „Universal Health Coverage (UHC) und die Rolle von Gesundheitsversicherungssystemen zur Erreichung von UHC“. Den Parlamenten komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Der Deutsche Bundestag mit seinem Unterausschuss Globale Gesundheit habe eine Vorbildfunktion.
Zugang zur Gesundheitsversorgung
Leider lasse der Fortschritt auf sich warten, sagte Gabriela Cuevas Barron vom UHC2030 Steering Committee. 4,5 Milliarden Menschen, also die Hälfte der Weltbevölkerung, hätten keinen Zugang zu einer essentiellen Gesundheitsversorgung, vor allem im globalen Süden. Dem wolle die Staatengemeinschaft mit der Initiative „UHC2030“ und dem erklärten Ziel entgegentreten, allen Menschen bis zum Jahr 2030 Zugang zum Gesundheitssystem ihres Landes zu verschaffen. Das hochrangige Treffen im Rahmen der Vereinten Nationen, das UN High Level Meeting vom September dieses Jahres, sei ein wichtiger Schritt gewesen, um die Fortschritte auf dem Weg dahin zu betrachten. Die Teilnehmerländer hätten unterstrichen, dass sie sich weiter dem Ziel verpflichtet fühlen.
Allerdings habe das Treffen echte handlungsorientierte Zusagen vermissen lassen, kritisierte Barron. Ohnehin würden die wesentlichen Veränderungen lokal, vor Ort, erreicht. Den Parlamenten komme eine Brückenfunktion zu, die auf der globalen Ebene gegebenen politischen Versprechen in die lokalen Realitäten zu übersetzen, gesetzgeberisch Prioritäten zu setzen, den Regierungen durch den Haushalt die Leitplanken für die Umsetzung vorzugeben und die Menschen ins Zentrum zu setzen. „Wir brauchen jetzt den politischen Willen, die Versprechen umzusetzen, und müssen die Geschwindigkeit erhöhen, um die allgemeine Gesundheitsversorgung sicherzustellen.“ Es handele sich um ein Menschenrecht für alle, nicht um ein Privileg nur für wenige, das vor allem in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen lebensrettend sei. Der Deutsche Bundestag habe mit seinem Unterausschuss Globale Gesundheit eine Vorbildfunktion und solle international dem Thema weiter Aufmerksamkeit sichern.
Fragmentierte Realität unterschiedlicher Systeme
Jedes Land müsse für sich das am besten zu seiner gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verfasstheit passende Gesundheitssystem schaffen, sagte Prof. Dr. Manuela De Allegri von der Universität Heidelberg, es gebe kein ideales Modell, das für alle passe. Um das gemeinsame globale Ziel einer allgemeinen Gesundheitsversorgung, einer guten Zugänglichkeit für die Patienten, zu erreichen, gebe es viele politische Optionen und unterschiedliche technische Möglichkeiten. Länder mit hohem Einkommen setzten stärker auf private Versicherungen, mit denen Einzelpersonen ihre Gesundheitsrisiken individuell absichern. Daneben gebe es die öffentlichen, steuerlich subventionierten Versicherungssysteme, in die abhängig vom Einkommen eingezahlt werde. Diese seien sehr verbreitet in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen. Jedes Land müsse versuchen, in der Systemfrage zwischen oftmals mehreren Modellen das richtige Gleichgewicht zu finden.
Diese fragmentierte Realität unterschiedlicher Systeme bedeute auch einen fragmentierten Zugang für die Patienten zu den Dienstleistungen des Gesundheitssektors. Ärmere, nicht Versicherte, blieben außen vor, Menschen mit mittlerem Einkommen müssten Leistungen selber bezahlen. Die Länder mit Problemen müssten ihre Gesundheitssysteme reformieren und neue Ressourcen frei machen, um diese Fragmentierung zu überwinden. Viel sei in den ärmsten Ländern durch Subventionen erreicht worden, wo man eine umfassende Gesundheitsversorgung als Verpflichtung angesehen habe. De Allegri nannte Thailand als positives Beispiel. Um überhaupt alle nötigen Dienstleistungen anbieten zu können, könne man auf den privaten Sektor im Gesundheitswesen nicht verzichten.
Angebot öffentlicher Gesundheitsdienste
Diese Fragmentierung, gepaart mit einer finanziellen Stagnation, prangerte auch Prof. Dr. Thiagarajan Sundararaman vom Peoples Health Movement an. Das Problem seien schlechte Strategien und eine schlechte Umsetzung in den einzelnen Ländern. Ihm bereite Sorge, wenn ein marktorientiertes System zu stark von unternehmerischen profitorientierten Interessen getrieben werde. Dadurch könnten sich Probleme beim Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen verschärfen, wenn nicht nur das nächste Krankenhaus zu weit entfernt sei, sondern der private Anbieter auch noch sage: Wir behandeln nur 20 von 200 Patienten. In einem privatwirtschaftlich organisierten, unregulierten System sei die Grundversorgung oft nicht ausreichend, es komme zu teureren medizinischen Anwendungen oder es würden sogar die falschen Produkte verkauft. Auch Sundararaman hob Thailand als ein gelungenes Beispiel hervor. Es habe hohe Investitionen gegeben, 95 Prozent der Anbieter seien öffentliche Unternehmen, für jeden gebe es seit 2002 einen Rechtsanspruch und ein umfassendes Versorgungspaket. Man habe darüber hinaus fünf „Risikopools“ eingerichtet, durch die die Kosten für bestimmte Personengruppen abgedeckt würden.
Es müsse in erster Linie darum gehen, öffentliche, für alle verfügbare Gesundheitsdienste anzubieten und nicht darum, mit Gesundheitsdienstleistungen Geld zu verdienen. Man müsse sich zurückbesinne auf das System, wie es in Deutschland im späten 19. Jahrhundert eingeführt worden sei, das von Behörden organisiert sei und auf Vertrauen und Solidarität beruhe. Für welches System es sich entscheide, müsse jedes Land für sich bestimmen, in Abhängigkeit von seiner Geschichte, von inneren und äußeren Faktoren. In Indien sei das System der Community Health Workers dabei, das Gesicht der Gesundheitsversorgung zu verändern, es bringe Gesundheitsdienstleistungen und Medikamente in jeden Haushalt, während die allgemeine Versicherung lediglich zehn Prozent der Menschen abdecke, da es die vielen beruflich Selbständigen, aber auch die Arbeitslosen, nicht erreiche. (ll/11.12.2023)