Kritik und Rechtfertigungen zum Nachtrag für den Haushalt 2023
Die Bundesregierung hat den Entwurf für ein Nachtragshaushaltsgesetz 2023 (20/9500) vorgelegt. Damit reagiert die Bundesregierung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 15. November 2023 zum Nachtragshaushalt 2021. Konkret will die Bundesregierung schwerpunktmäßig die Finanzierung des Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds sowie des Sondervermögens „Aufbauhilfe 2021“ sicherstellen. Die bisherige Finanzierungsmodalität war durch das Urteil in Frage gestellt worden. Um die Finanzierung zu sichern, ist eine Ausnahme von der Schuldenregel des Grundgesetzes nötig. Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben dazu einen entsprechenden Antrag (20/9501) vorgelegt. Beide Vorlagen wurden am Freitag, 1. Dezember 2023, erstmalig im Bundestag beraten. Nach der Debatte überwiesen die Abgeordneten den Regierungsentwurf und den Antrag der Koalitionsfraktionen zur weiteren Beratung in den Haushaltsausschuss.
Minister will Rechtssicherheit schaffen
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) betonte, mit dem Nachtragsentwurf passe die Bundesregierung den Haushalt an die höchstrichterlichen Vorgaben an. „Wir haben Rechtsklarheit erhalten, jetzt schaffen wir Rechtssicherheit“, sagte Lindner. Die Zahlungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und die Aufbauhilfe für die von der Flutkatastrophe 2021 betroffenen Regionen würden neu abgesichert.
Faktisch ändere sich mit dem Nachtragshaushalt nur die Zuordnung der Defizite, unter dem Strich nehme der Bund sogar weniger Kredite auf als geplant. Lindner ging auch auf die Haushaltsplanung 2024 ein. Noch mehr Schulden bei steigenden Zinsen seien nicht der richtige Weg. Man habe in der Finanzpolitik die Trendwende erreicht, die Schuldenquote sinke. „Die Richtung stimmt, wir wollen sie fortsetzen“, so Lindner.
CDU/CSU fordert ernsthafte Einsparungen
Harte Kritik an der Bundesregierung übte für die Union Mathias Middelberg (CDU/CSU). „Wir kommen hier nur zusammen, weil wir ihren Verfassungsbruch reparieren müssen“, sagte der Fraktionsvize. Dafür sei nicht die Union mit ihrer Klage verantwortlich.
„Nicht wer klagt, hat mit dem Ergebnis zu leben, sondern der, der rechtswidrig handelt und die Verfassung umgangen hat, der hat mit dem Ergebnis zu leben“, sagte der Christdemokrat. Middelberg forderte von der Koalition mutige Reformen und ernsthafte Einsparungen im kommenden Haushalt.
SPD: Haushalt schnell beschliessen
Für die SPD-Fraktion ging Dennis Rohde (SPD) auf den Richterspruch ein. „Natürlich hat das Karlsruher Urteil einiges durcheinander geworfen. Aber ich möchte feststellen, es hat uns nicht umgeworfen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Fraktion. Die von der Koalition auf den Weg gebrachten Maßnahmen – die Preisbremsen für Strom und Gas – habe das Bundesverfassungsgericht nicht beurteilt. Diese Maßnahmen „waren richtig und sie sind richtig“, nun gehe es darum, sie neu zu legitimieren.
Mit Blick auf den Haushalt 2024 verwies Rohde auf die Position seiner Fraktion, nach der so schnell wie möglich ein Haushalt beschlossen werde müsse. Dass sei auch wichtig für die Planungssicherheit von Institutionen, so der Sozialdemokrat.
AfD: Notsituation liegt nicht vor
Peter Boehringer (AfD) stellte für seine Fraktion vor: „Der Haushaltsentwurf bleibt und ist verfassungswidrig.“ Eine Notsituation liege nicht vor, eine rückwirkende Heilung sei nicht möglich.
Zudem werde die Schuldenaufnahme im Klima- und Transformationsfonds und in anderen Sondervermögen außen vor gelassen. Die Verschuldung für 2023 sei tatsächlich dreimal so hoch wie zulässig, führte der haushaltspolitische Sprecher der AfD-Fraktion aus. Die Union kritisierte Boehringer dafür, dass sie gegen den Nachtrag nicht klagen wolle.
Grüne werben für Reform der Schuldenbremse
Für die Grünen stellte Sven-Christian Kindler (Bündnis 90/Die Grünen) fest, dass die Verabschiedung des für nichtig erklärten Zweiten Nachtragshaushalts 2021 ein Fehler gewesen sei. „Da gibt es nichts zu beschönigen“, sagte der haushaltspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Mit dem Nachtragshaushalt reagiere die Bundesregierung auf die Rechtsprechung und lösche etwa die 60 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsplan des Klima- und Transformationsfonds.
Kindler warb für eine Reform der Schuldenbremse und der Mobilisierung finanzieller Mittel: „Wenn wir jetzt nicht in die Zukunft unserer Wirtschaft investieren, drohen durch die Krisen der letzten Jahre schwere, anhaltende Langzeitschäden. Das werden wir nicht zulassen“, so Kindler.
Linke kritisiert Ende der Preisbremsen
Für die Linksfraktion kritisierte Gesine Lötzsch (Die Linke) die Ankündigung der Bundesregierung, die Gas- und Strompreisbremsen zum Ende des Jahres auslaufen zu lassen. Das sei einer „Kriegserklärung an Menschen, die sich aus Geldmangel zwischen Heizen und Essen entscheiden müssen“, so die haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion.
Lötzsch sprach sich dafür aus, auch 2024 die Schuldenbremse auszusetzen und forderte darüber hinaus die Streichung der Regel aus dem Grundgesetz.
FDP für genaue Umsetzung der BVG-Entscheidung
Für die Liberalen erwiderte Thorsten Lieb (FDP) auf die Aussage von Middelberg. Nicht nur die Koalition müsse mit dem Urteil leben. „Das ganze Parlament, das ganze Land, Bund und Länder, müssen mit diesem Urteil umgehen“, sagte der Haushaltspolitiker.
Es gehe nun um eine genaue Umsetzung der Entscheidung und nicht darum, kreative Ideen zu entwickeln, wo man links oder rechts an dieser Entscheidung vorbei Haushaltspolitik machen könne, betonte Lieb.
Ausgaben von 461,21 Milliarden Euro vorgesehen
Laut Nachtragshaushaltsentwurf sind für 2023 nunmehr Ausgaben in Höhe von 461,21 Milliarden Euro vorgesehen. Bisher lag das Soll bei 476,29 Milliarden Euro. Gestrichen werden im Etat unter anderem die Ausgaben für das „verzinsliche Darlehen für den Aufbau eines Kapitalstocks zur Stabilisierung der Beitragssatzentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung“ in Höhe von zehn Milliarden Euro. Die Einnahmen – ohne Kredite und Entnahme aus der Rücklage – fallen mit 389,74 Milliarden Euro um 178,7 Millionen Euro geringer aus als bisher geplant. Das liegt unter anderem an geringer ausfallenden Steuereinnahmen.
Die bisher vorgesehene Entnahme aus der Rücklage wird von 40,51 Milliarden Euro auf 43,81 Milliarden Euro erhöht. Deutlich geringer fällt nunmehr die geplante Nettokreditaufnahme im Kernhaushalt aus. Sie soll 27,41 Milliarden Euro betragen. Das sind 18,2 Milliarden Euro weniger als bisher geplant. Sie liegt über der nach der Schuldenregel zulässigen Höhe. Diese ist im Entwurf mit 25,81 Milliarden Euro angegeben. Die Überschreitung entspricht der Zuweisung aus dem Haushalt an das Sondervermögen „Aufbauhilfe 2021“.
Hinzu tritt die geplante Kreditaufnahme im Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF) in Höhe von 43,20 Milliarden Euro. Aus dem WSF werden unter anderem die Strom- und Gaspreisbremse finanziert. Bisher war als Finanzierung vorgesehen, auf in 2022 an den WSF übertragene und verbuchte Kreditermächtigungen zurückzugreifen. Nunmehr soll der WSF in die Lage versetzt werden, in 2023 eigene Kredite aufzunehmen. Sie sind auf die Schuldenregel anzurechnen. Den Wirtschaftsplan des WSF, der dem Einzelplan 60 als Anhang beigefügt ist, ist im Entwurf entsprechend aktualisiert worden.
Notlage im Sinne der Schuldenregel
Damit liegt laut Entwurf die für die Schuldenregel relevante Kreditaufnahme bei 70,61 Milliarden Euro und damit 44,8 Milliarden Euro über der zulässigen Kreditaufnahme. Vorgesehen ist daher, die erhöhte Kreditaufnahme mit einer Notlage im Sinne der Schuldenregel zu ermöglichen. Die Bundesregierung führt in den Entwurf ausführlich auf, warum aus ihrer Sicht weiterhin eine Notlage im Sinne des Artikels 115 Grundgesetz festzustellen ist und verweist im Kern auf die fortwirkenden Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auf die Energiemärkte im Jahr 2023 sowie auf die anhaltenden Folgen der Flutkatastrophe in Westdeutschland im Sommer 2021. Diese Begründung führen auch die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag für einen „Beschluss des Deutschen Bundestages gemäß Artikel 115 Absatz 2 Satz 6 und 7 des Grundgesetzes“ an.
Ebenfalls angepasst wurde in dem Entwurf der Wirtschaftsplan für den Klima- und Transformationsfonds. Die Rücklagen des Sondervermögens werden um 60 Milliarden Euro reduziert. Das entspricht dem Betrag, der mit dem für verfassungswidrig und nicht erklärten Nachtragshaushalt 2021 übertragenen Mittel in Form von Kreditermächtigungen. (scr/01.12.2023)