Bürgerschaftliches Engagement

Fäscher: Engagement darf keine persönlichen Nachteile bringen

Ariana Fäscher sitzt in einem Raum und spricht

Ariane Fäscher, stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement (© DBT/ Robert Boden / Mehr Demokratie)

Ehrenamtliches Engagement ist grundlegend für das Funktionieren der Demokratie. Darauf weist Ariane Fäscher (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement, zum Internationalen Tag des Ehrenamtes der Vereinten Nationen hin, der jährlich am 5. Dezember begangen wird. Ob Ahrtal-, Corona- oder Flüchtlingskrise: Die Zivilgesellschaft habe sich vielfach als verantwortungsbewusster Problemlöser bewiesen, Ehrenamtliche schätzten die Möglichkeit ihr Umfeld mitzugestalten. 

Der Unterausschuss des Familienausschusses arbeitete daran, noch mehr Menschen eine ehrenamtliche Tätigkeit zu ermöglichen und die Rahmenbedingungen für das Ehrenamt zu verbessern. „Engagement darf keine persönlichen Nachteile bringen“, so Fäscher. Im Interview spricht die SPD-Politikerin über die neue Bundesengagementstrategie, die Rolle des Unterausschusses und den Wunsch, diesem den Rang eines Hauptausschusses zu geben sowie darüber, was sie persönlich für das Ehrenamt brennen lässt. Das Interview im Wortlaut:

Frau Fäscher, mehr als jeder Dritte geht in Deutschland einem ehrenamtlichen Engagement nach. Immer wieder wird die Zahl von 29 oder 30 Millionen Menschen genannt. Stimmt Sie das zufrieden oder sind das noch viel zu wenige?

Mehr als ein Drittel finde ich sehr beeindruckend. Das dokumentiert ein hohes gesellschaftspolitisches Verantwortungsbewusstsein in weiten Teilen der Bevölkerung. Fast könnte man sagen, die Lust am Engagement ist in der DNA der Deutschen angelegt. Die Zahl von 30 Millionen ist Ausdruck der von vielen gelebten Idee, dass das Staatswesen auf den Schultern des Volkes ruht. Jeder und jede einzelne gibt damit außerdem nicht nur etwas an die Gesellschaft, sondern erlebt die eigene Gestaltungsmacht. Ob Demokratie funktioniert, hängt davon ab, wie gut das Gemeinwesen funktioniert, wie gut wir gemeinsam unser Umfeld, unser Miteinander vor Ort gestalten. Ehrenamtliches Engagement, Vereinsarbeit, an jeder einzelnen Stelle, trägt ganz entscheidend dazu bei. 

Aber es könnten noch mehr mitmachen?

Allerdings. Und das wollen sie auch. Aber: Wer sich engagieren will, muss sich das leisten können. Wenn wir uns diejenigen anschauen, die ein Ehrenamt ausüben, dann treffen wir überdurchschnittlich oft auf Menschen mit einem höheren Bildungsgrad, die einer gut bezahlten beruflichen Tätigkeit nachgehen. Vor allem in den Städten zeigt sich das. Es herrscht eine soziale Schieflage. Das wollen wir gerne ändern. Für die ganze Breite der Zielgruppe, die sich für ein ehrenamtliches Engagement interessieren, sind die Rahmenbedingungen noch nicht optimal. Diese Menschen, die eine solche Selbstwirksamkeitserfahrung noch nicht gemacht haben, müssen wir erreichen.

Was für Rahmenbedingungen sollte der Staat schaffen?

Zum Wesen des Ehrenamtes gehört, dass es auf dem Gestaltungswillen der Menschen beruht, die sich dafür zusammentun. Es findet in der Regel selbstorganisiert vor Ort statt. Staatliche Hilfe kommt flankierend hinzu, beispielsweise durch Fördermittel oder Räumlichkeiten der Kommune. Es läuft aber dem Selbstverständnis des Ehrenamtes zuwider, wenn der Staat eine zu stark alimentierende und lenkende Funktion übernimmt. Das Ehrenamt darf sich auch nicht zu einem Schattenarbeitsmarkt entwickeln und auch nicht als Ausfallbürge für originär staatliche Aufgaben herangezogen werden. Wir müssen hin zu einer ermöglichenden Engagementpolitik, die das bürgerschaftliche Engagement als Motor der gesellschaftlichen Entwicklung begreift und in der der Staat für gute Rahmenbedingungen sorgt.

An dieser Stelle kommt der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement ins Spiel?

Unsere Arbeit besteht einerseits darin, das ehrenamtliche Engagement als Querschnittsthema in allen anderen Politikfeldern mitzudenken. Wir melden uns zu Wort, falls Bestimmungen in Gesetzesvorhaben das bürgerschaftliche Engagement behindern. Andererseits sind wir in ständigem, direktem Austausch mit der gesamten Szene des freiwilligen Engagements in Deutschland. Vertreterinnen und Vertreter aus Vereinen und Verbänden ebenso wie einzelne Macherinnen und Macher lassen wir im Unterausschuss zu Wort kommen und fragen sie: Was würde eure Arbeit noch erleichtern? In ihren Stellungnahmen formulieren sie klare Forderungsprofile, vielleicht könnte man sogar sagen Handlungsaufträge an die Politik, die wir aufgreifen. 

Wenn man sich einmal die finanzielle Ausstattung von ehrenamtlichen Stützpunkten anschaut, aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen und Hilfestellungen seitens des Staates für das Ehrenamt: Ist freiwilliges Engagement 2023 in Deutschland gut aufgestellt?

Da gibt es große Unterschiede, je nach Themenfeld und Ort. Die rechtliche Rahmensetzung liegt in Teilen beim Bund, die konkrete Organisation des ganzen Bereichs des Ehrenamtes fällt aber in die Zuständigkeit der Bundesländer; gelebt wird Engagement wiederum überwiegend in den Kommunen, weil Ehrenamt eine lokale Angelegenheit ist, vor Ort stattfindet. Einige Kommunen oder auch Bereiche stehen daher, was Investitionen, finanzielle Förderung, Passgenauigkeit und Anwendung von Rechtsvorschriften, etwa bei Aufwandsentschädigungen und Arbeitsfreistellungen, aber auch die öffentliche Wertschätzung angeht, besser da als andere. 

Es gibt aber auch bundesweite Herausforderungen und Trends.

Dazu gehört, dass ehrenamtliches Engagement immer informeller wird. Die 600.000 Vereine in Deutschland bilden zwar nach wie vor die am weitesten verbreitete Organisationsstruktur, haben jedoch zunehmend Nachwuchssorgen und beispielsweise Schwierigkeiten, geeignete Nachfolger für die Positionen des Vorstands zu finden. Neue Engagement-Formen kommen hinzu. Die Leute wollen inhaltlicher, projektbezogener, kürzer, ohne Bindung an einen Verein und mit weniger Bürokratie arbeiten. Diese Menschen wollen wir mit geeigneten Rahmenbedingungen unterstützen, damit sie ihre ehrenamtliche Tätigkeit möglichst frei von regulatorischen Hindernissen ausüben können. Eine aktuelle Studie des Bundeslandwirtschaftsministeriums zeigt, worauf es vor allem ankommt: Gelingendes Ehrenamt braucht hauptamtliche, verlässliche Strukturen zum Andocken, die wir aufbauen müssen. Diese Rolle könnten Vereine übernehmen, aber auch Freiwilligenagenturen, große Träger oder die Kommunen. 

Der Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement des Deutschen Bundestages versteht sich als Anwalt der Ehrenamtlichen in Deutschland. Was beschäftigt den Unterausschuss momentan?

Auch wenn der Unterausschuss und der Bund nicht für alle Fragen die zuständige Regelungsebene sind: Wir verstehen uns als das Forum beim nationalen Gesetzgeber, wo wir alle Vorschläge sammeln und sämtliche Akteure hören, um ein Gesamtbild zu erhalten und, gemeinsam mit Regierung und Zivilgesellschaft, eine schlüssige Vision zu entwickeln. Um die Rahmenbedingungen für ehrenamtliches Engagement in Deutschland zu verbessern, begleiten wir eng die neue Bundesengagementstrategie der Bundesregierung, die bis Ende 2024 verabschiedet werden soll. Dazu haben wir in der laufenden Wahlperiode bereits zahlreiche Organisationen eingeladen, die im Bereich des Ehrenamts aktiv sind, und um ihre Stellungnahme gebeten. Zu der Strategie leisten wir Input aus diesen Beratungen, sagen was gut läuft, aber auch wo wir noch Defizite sehen. Als wichtige Handlungsfelder haben sich dabei beispielsweise Bürokratieabbau, Änderungen in der Förderpraxis, eine stärkere Anerkennungskultur, Anpassung des Gemeinnützigkeits- und Haftungsrechts oder auch Unterstützung in der Digitalisierung herauskristallisiert.

Ehrenamtliches Engagement hat in Deutschland eine lange Tradition. Warum braucht es dazu ein neue Engagementstrategie? 

Die bisherige Strategie wurde vor 15 Jahren erarbeitet. Seitdem hat sich vieles verändert. Die Strategie beschreibt unter veränderten gesellschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen den Ermöglichungsraum für Engagement neu. Die Krisen der letzten Jahre, von der Flüchtlingskrise über die Ahrtalflut bis zur Corona-Pandemie, haben gezeigt, dass die Zivilgesellschaft als Problemlöser eine andere Rolle einnimmt: Das bürgerschaftliche Engagement ist agil, spontan und lösungsorientiert. Es ist kein „nice to have“ in dem Sinne, dass da jemand seinem Hobby nachgeht, sondern wir haben es hier mit elementaren gesellschaftspolitischen Verantwortungsbereichen zu tun. Auch kommendes Jahr beschäftigt uns die Strategie weiter. Herzstück unserer Arbeit wird sein, einen Prozess mit einem Ziel und regelmäßigen Evaluierungen zu definieren, damit in den kommenden 15 Jahren eine weiterentwickelte Form von Ehrenamt gelingt. Wichtig ist, dass in den Gremien, die wir dazu einrichten, die Zivilgesellschaft auf Augenhöhe mit am Tisch sitzt, damit wir nicht nur Politik für das Ehrenamt machen, sondern mit dem Ehrenamt. 

Welchen Mehrwert bringt die im vergangenen Jahr eingerichtete Stiftung für das Ehrenamt?

Nach den Rückkopplungen von Engagierten wirkt sie äußerst segensreich. Weil sie dem Ehrenamt ein niedrigschwelliges und passgenaues Beratungsangebot macht, auch in digitaler Form, etwa zu Rechtsfragen, die die Satzung von Vereinen betreffen oder wenn es um eine Gründung geht. Sie steht Vereinen auch bei der Beantragung von Fördermitteln des Bundes zur Seite, die sie neben den Förderprogrammen vergibt, die die Bundesländer ausreichen. Wenn akute Bedarfe entstehen, wie bei der Versorgung der Ukraineflüchtlinge, bringt die Stiftung Fördermittel schnell in die Fläche, zu den Helfern vor Ort. Mit ihrer Arbeit stärkt die Stiftung nicht zuletzt durch Wissenstransfer und Netzwerkbildung auch die Engagementpolitik in den Ländern und Kommunen. Darin arbeitet sie sehr eng mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (BBE) zusammen, das als zentrales Netzwerk der organisierten Zivilgesellschaft und der Länder hier als Partner auf Augenhöhe agiert. Das BBE sammelt und transportiert die Bedarfe seiner Mitglieder an die Politik und retour und setzt wichtige Impulse für die Engagementpolitik.

Wird der Unterausschuss seitens der Regierung in all diese Prozesse ausreichend eingebunden? 

Schauen Sie sich mal den Prozess an, wie die neue Engagementstrategie entsteht. Wir lassen uns da als Parlamentarier nicht nur regelmäßig berichten, sondern haben uns von Beginn an intensiv eingebracht. Ebenso sitzen auch die Zivilgesellschaft und die Länder in der vom Familienministerium eingerichteten Steuerungsgruppe von Anfang an mit am Tisch. Da gestalten wir den gesamten Prozess mit. Wir erleben hier eine neue Qualität des Miteinanders von Staat und Gesellschaft, die ich durchaus als bahnbrechend bezeichnen würde und die als Blaupause für zukünftige Vorhaben dienen kann.

Was können insbesondere die Parlamentarier für das Ehrenamt tun? 

Wir nehmen unsere Funktion als Vertreterinnen und Vertreter der Bürgerinnen und Bürger sehr ernst. Der Unterausschuss versteht sich als Gremium, in dem Politik und Ehrenamtliche auf Augenhöhe miteinander sprechen. Damit geben wir dem Bürgerschaftlichen Engagement eine besondere Stimme. Der Bereich des ehrenamtlichen Engagements betrifft ja auch mehr als ein Drittel der Bevölkerung. Er spielt eine prägende Rolle für die Demokratie. Um dieser Bedeutung gerecht zu werden, würde ich mir eine noch stärkere politische Repräsentanz wünschen und den Unterausschuss in den Rang eines Hauptausschusses heben. Das ist etwas, worüber wir definitiv diskutieren sollten. Auch ein Beauftragter oder eine Beauftragte der Bundesregierung wäre denkbar. Wir müssen noch stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken, was gelingendes Engagement für die Demokratie bedeutet.

Welche Vorhaben liegen für die zweite Hälfte der Wahlperiode noch auf dem Tisch des Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement?

Neben der Engagementstrategie wird uns die Frage der Wertschätzung von bürgerschaftlichem Engagement weiter beschäftigen. Ich möchte außerdem besonderes Augenmerk auf die Situation der Frauen legen, vor allem von denen, die in Teilzeit arbeiten und daneben ein Ehrenamt ausüben und beispielsweise in der Schule oder in den Sportvereinen der Kinder Verantwortung übernehmen. Diese müssen einerseits privates Geld für diese Tätigkeit mobilisieren, beispielsweise für Fahrtkosten, andererseits führt die Teilzeit zu einer verminderten Rentenanwartschaft. Engagement muss aber für alle möglich sein und darf keine persönlichen Nachteile bringen. Und wir müssen dafür sorgen, dass jeder, der möchte, die Gelegenheit zu ehrenamtlichem Engagement hat. Die verbilligte Nutzung von Verkehrsmitteln wäre ein wichtiger Baustein, aber auch die Wirtschaft ist als Partner gefragt, beispielsweise wenn es um die Regelung von Arbeitszeiten oder Freistellungen für herausragendes Ehrenamt geht. 

Wie steht es um die Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts?

Das wird bereits in einer interministeriellen Arbeitsgruppe bearbeitet. Das Gemeinnützigskeitsrecht fällt ja in die Bundeszuständigkeit. Da muss einiges an eine veränderte Welt angepasst werden. Wenn wir Engagementpolitik als Demokratiepolitik verstehen, ist es klar, dass Organisationen im Bereich des Ehrenamtes mittelbar immer auch politisch sind und sich dahingehend gestaltend äußern dürfen. Darüber hinaus müssen wir uns Haftungsfragen anschauen. Es darf nicht sein, dass Vereinsvorstände im Fall des Falles mit ihrem persönlichen Vermögen für Schäden geradestehen müssen, die Haus und Hof kosten können.

Was lässt Sie persönlich für das Thema Ehrenamt brennen? 

Ich bin selbst seit langem ehrenamtlich engagiert und habe eine Initiative für lokale Demokratie aufgebaut. Daher weiß ich, wie zufrieden einen das macht, wenn man zusammen mit anderen seine Umgebung mitgestaltet. Viele haben das Gefühl, das Leben passiert ihnen einfach so, fühlen sich der Politik ausgeliefert und meinen, sie könnten nicht wirklich mitmachen. Ich weiß, was die Menschen im Ehrenamt umtreibt. Ihnen möchte ich als Politikerin und Bundestagsabgeordnete helfen, gute Rahmenbedingungen für ihr Engagement zu schaffen. Es geht mir darum, den Menschen Mut zu machen und ihren Mut, sich für etwas Gutes einzusetzen, ihre Lust daran, Teil der Lösung zu sein, zu unterstützen. (ll/01.12.2023)

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