Olaf Scholz: Urteil aus Karlsruhe hat unmittelbare Konsequenzen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat eingeräumt, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zweiten Nachtragshaushaltsgesetz 2021 unmittelbare Konsequenzen für das Sondervermögen des Bundes „Klima- und Transformationsfonds“ (KTF) hat. In der Regierungsbefragung des Bundestages am Mittwoch, 15. November 2021, ging der Kanzler auf den kurz zuvor ergangenen Richterspruch aus Karlsruhe ein, mit dem die rückwirkende Zuführung von ursprünglich für die Corona-Bekämpfung gedachten Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro an den damaligen „Energie- und Klimafonds“ (EKF), den heutigen KTF, für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde.
Die 60 Milliarden Euro stünden nun nicht mehr zur Verfügung, so der Kanzler. Der Wirtschaftsplan des KTF müsse neu aufgestellt werden. Bundesfinanzminister Lindner habe entschieden, für künftige weitere Verpflichtungen eine Sperre zu verhängen. Die Auswirkungen des Urteils müssten nun sorgfältig geprüft werden. Es könne sein, dass es eine tiefgreifende Änderung der Haushaltspraxis von Bund und Ländern zur Folge hat. Die Fraktionsvorsitzenden der Ampelkoalition hätten sich jedoch verständigt, dass die laufenden Beratungen des Haushalts 2024 fortgesetzt werden können.
Verständigung über Migration und Deutschlandpakt
Scholz sagte ferner, mit den Ländern sei eine Verständigung im Hinblick auf die irreguläre Migration gelungen. Dazu zähle auch eine Verständigung über die dauerhafte Finanzierung einer wechselnden Zahl von Flüchtlingen. Vor allem sei eine erhebliche Verbesserung des Managements im Umgang mit irregulärer Migration vereinbart worden.
Ebenso sei mit den Ländern eine Verständigung über den „Deutschlandpakt Tempo“ gelungen, wobei hundert Einzelmaßnahmen vereinbart worden seien, damit es nicht so lange dauere, bis Planungs- und Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind. Der Kanzler sprach von einem „großen Fortschritt“ und kündige diesbezüglich weitere Maßnahmen an.
Hinzu komme der Vorschlag einer Entlastung der großen Stromverbraucher des produzierenden Gewerbes bei Stromlieferungen. So solle etwa die Stromsteuer auf das europarechtliche Minimum reduziert werden.
Solidarität mit Ukraine und Israel
Zur Außenpolitik bekräftige der Kanzler die „ungebrochene Solidarität“ mit der Ukraine. Zur Situation in Israel sagte er, das Land habe jedes Recht sich selbst zu verteidigen. Aufgabe Deutschlands sei es, alles zu tun, damit der Konflikt nicht eskaliert. Eine Ausweitung dieses Krieges dürfe es nicht geben.
Frank Schwabe (SPD) erkundigte sich nach den Maßnahmen der Regierung, um eine Ausweitung des Israel-Konflikts zu verhindern. Die Regierung schicke warnende Botschaften an jene, die gewalttätig zu werden drohten. Man sei im Gespräch mit den Regierungen in der Region. Es gehe auch darum, dass humanitäre Hilfe nach Gaza gelangen kann und dass die Geiseln bedingungslos freigelassen werden. Druck auf die Hamas müsse von denen ausgeübt werden, die die Gesprächskontakte hätten.
Folgen für den Klima- und Transformationsfonds
Auf die Frage des CDU-Abgeordneten Dr. Mathias Middelberg nach dem Urheber der Konstruktion des verfassungswidrigen zweiten Nachtragshaushaltsgesetzes 2021 antwortete Scholz, die Entscheidung sei damals gemeinsam getroffen worden und man stehe dazu. Man habe sich um eine verfassungsmäßige Lösung bemüht.
Andreas Audretsch (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass aus dem KTF wichtige Dinge wie Gebäudesanierung und E-Mobilität finanziert würden und großer Investitionsbedarf bestehe. Scholz sagte, viele Investitionen würden gebraucht. Er zeigte sich überzeugt, dass es gelingen wird, richtige Vorschläge zu machen und zu beschließen. Man verschließe nicht die Augen vor den bevorstehenden Herausforderungen.
Für Peter Boehringer (AfD) kam das Urteil nicht überraschend. Auf seine Frage entgegnete der Kanzler, dass „unsere verfassungsrechtliche Beurteilung“ eine andere gewesen sei. Es liege nun am Haushaltsgesetzgeber, die Entscheidung zu treffen. Es werde einen neuen KTF-Wirtschaftsplan geben.
Wohnungsnot, Migration, Stromkosten
Wohnungsnot und Mietsteigerungen thematisierte die Linken-Abgeordnete Caren Lay an. Scholz sagte, für den geförderten Wohnungsbau seien zusätzliche 18 Millionen Euro bereitgestellt worden. Zu den von Lay angemahnten Mietrechtsänderungen kündigte Scholz an, dass der Bundesjustizminister dem Bundestag bald entsprechende Gesetzentwürfe zuleiten werde. Deutschland brauche 20 neue Stadtteile, mit baulicher Nachverdichtung allein sei das nicht zu machen.
Konstantin Kuhle (FDP) fragte nach den Erwartungen von Ländern und Kommunen in Sachen Migration. Scholz sagte, alle 16 Länder wollten eine Bezahlkarte für einführen. Im Übrigen verwies er auf beschleunigte Verfahren in den Ländern, sodass über Asylanträge schneller entschieden wird.
Kuhles Fraktionskollege Christoph Meyer hakte bei der Stromkostenentlastung für produzierende Betriebe nach. Scholz sagte, es gehe darum, die „politischen Kosten“, etwa die Kosten der CO2-Bepreisung, für Vielverbraucher herauszunehmen, ohne dass daraus eine Subvention wird.
„Sexkauf“ und Kindesmissbrauch
Die CSU-Abgeordnete Dorothee Bär sprach sexuellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung an. Deutschland sei hier eine Hochburg geworden. Sie wollte vom Kanzler wissen, ob dieser für ein „Sexkaufverbot“ sei. Scholz sagte, Prostitution sei häufig mit Missbrauch, Gewalt und Kriminalität verbunden. Das müsse zurückgedrängt werden. Es müsse viel unternommen werden, um „Sexkauf“ nicht als Normalität zu akzeptieren. Auch der Frauenministerin Lisa Paus sei es ein „Herzensanliegen“, gegen Männer vorzugehen, „die Sex wollen“, versicherte der Kanzler.
Der CDU-Abgeordnete Dr. Hendrik Hoppenstedt sagte, ein Instrument, um gegen Kindesmissbrauch vorzugehen, sei das Speichern von IP-Adressen. Scholz erwiderte, man arbeite an einer „guten Lösung“ und werde das „zeitnah“ hinbekommen. Allerdings sei man dazu umgeben von Entscheidungen höchster Gerichte in Deutschland und Europa.
Sturmschäden an der Ostsee
Der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler, der den Südschleswigschen Wählerverband, die Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Deutschland vertritt, ging auf die Sturmschäden an der schleswig-holsteinischen Ostküste ein. Der Kanzler sagte, wichtig sei, dass Hilfe organisiert wird. Die Schadenssituation werde begutachtet, man wolle den Betroffenen soldarisch beiseitestehen.
Eine verpflichtende Elementarschadensversicherung, wie von Seidler vorgeschlagen, würde jedoch dazu führen, dass Hausbesitzer und Mieter höhere Beiträge zahlen müssten. (vom/15.11.2023)