Hubertus Heil: Menschen mit Bleibeperspektive in Arbeit bringen
Der Bundesarbeitsminister für Arbeit und Soziales Hubertus Heil (SPD) hat Humanität, Ordnung und gesteuerte Zuwanderung zum Arbeitsmarkt als Merkmale der Migrationspolitik beschrieben. In der Regierungsbefragung des Bundestages sagte Heil am Mittwoch, 8. November 2023, bei der Humanität gehe es um den Schutz von politisch Verfolgten und Kriegsflüchtlingen, bei Ordnung darum, die irreguläre Zuwanderung massiv zu reduzieren, und bei der gesteuerten Zuwanderung um die Integration derjenigen, die schon hier sind, in den Arbeitsmarkt.
Unter dem Stichwort „Jobturbo“ sollen nach den Worten des Ministers verstärkte Anstrengungen unternommen werden, Menschen mit Bleibeperspektive zügiger in Arbeit zu bringen. Man werde mit der Wirtschaft sprechen, um diese zu gewinnen, diese Menschen jetzt einzustellen. Am 20. November solle es zu konkreten Vereinbarungen mit der deutschen Wirtschaft und den Sozialpartnern kommen. Die Bundesregierung habe dazu den Mitarbeiter der Bundesagentur für Arbeit Daniel Terzenbach zum Sonderbevollmächtigten ernannt.
Paus: Erschüttert über antisemitische Hetze
Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), die sich ebenfalls den Fragen der Abgeordneten stellte, zeigte sich zutiefst erschüttert über antisemitische und israelfeindliche Hetze auf der Straße und über Gewalt, Hass und Bedrohung von Jüdinnen und Juden im Netz. Die jüdische Bevölkerung müsse sich in Deutschland jederzeit sicher führen können, dazu stünden alle in der Verantwortung, sagte sie unter Beifall. Das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Antisemitismus sei zentraler Kern der Demokratiearbeit ihres Ministeriums.
Insgesamt investiere ihr Ministerium im laufenden Jahr mehr als 15 Millionen Euro in die konkrete Antisemitismus-Prävention im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ und auch über weitere Programme wie solche, die Antisemitismus in muslimischen Gemeinden zum Inhalt haben. Um den Kampf gegen Antisemitismus auf eine dauerhafte finanzielle Grundlage zu stellen, wäre es ihrer Ansicht nach wichtig, das Demokratiefördergesetz zügig zu beschließen.
Geflüchtete Frauen und Ukrainer aus Polen
Nach der Integration von geflüchteten Frauen in den Arbeitsmarkt fragte der FDP-Abgeordnete Jens Teutrine den Bundesarbeitsminister. Heil sagte, bei den vielen qualifizierten ukrainischen Frauen gehe es darum, die Kinderbetreuung zu klären und die Wirtschaft dazu zu bringen, sie einzustellen. Die Sprache sei eine Hürde, doch lerne man diese auch während der Arbeit, nicht nur in Integrationskursen.
Auf den Hinweis Teutrines, dass von den seit 2013 zugewanderten Frauen nur 29 Prozent erwerbstätig seien, verwies der Minister auf das Programm „My Turn“, das Frauen mit Migrationserfahrung den Weg in Qualifizierung, Ausbildung und sozialversicherungspflichtige Beschäftigung bahnen soll.
Der AfD-Abgeordnete René Springer fragte nach ukrainischen Flüchtlingen, die in Polen Sozialleistungen bezogen hätten und als „Sozialtouristen“ nach Deutschland kämen. Heil sagte, diese Personengruppe sei nicht wegen des Bürgergeldes nach Deutschland gekommen, sondern wegen Putins Angriffskrieg. Für Springers Behauptung gebe es keine empirischen Befunde.
Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten
Rasha Nasr (SPD) erkundigte sich nach der Arbeitsmarktintegration von ukrainischen Geflüchteten. Heil erwiderte, 140.000 seien bereits in Arbeit gebracht worden, vor allem Personen mit Sprachkenntnissen. Das sei noch nicht zufriedenstellend. Er werbe deshalb in der Wirtschaft dafür, auch Leute mit nicht perfekten Sprachkenntnissen einzustellen.
Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) fragte nach informellen Kompetenzen und Qualifikationen von Geflüchteten. Der Minister sagte, im Rahmen des „Jobturbos“ solle gezielt erfasst werden, welche Kompetenzen die Menschen mit Bleibeperspektive haben. Die formale Berufsanerkennung sei ein „bürokratisches Monster“, das nicht so bleiben könne. Auch in anderen Ländern gebe es gute Ausbildungen.
Betriebsräte und Lohnabstand
Susanne Ferschl (Die Linke) wollte wissen, wann die Behinderung der Arbeit von Betriebsräten von einem Antragsdelikt zu einem Offizialdelikt wird, das also von den Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden muss, ohne dass von Betroffenen ein entsprechender Antrag gestellt wird.
Heil kündigte an, noch vor Weihnachten einen Gesetzentwurf zur Tariftreue auf den Weg zu bringen, um die Sozialpartnerschaft zu stärken. Das Thema Offizialdelikt werde im kommenden Jahr angegangen, versprach der Minister. Auf eine Nachfrage Ferschls sagte Heil, nach der Evaluierung des Betriebsräte-Modernisierungsgesetzes sei ein Betriebsräte-Stärkungsgesetz geplant. In einem Konzept des Deutschen Gewerkschaftsbundes stünden dazu „viele gute Dinge“.
Dem CDU-Abgeordneten Kai Whittaker, der sich nach dem ausreichenden Lohnabstand erkundigte hatte, entgegnete Heil, Ende November werde es dazu ein Ifo-Gutachten geben. „Sorgen Sie mit uns für mehr Tarifbindung, damit sich Arbeit lohnt“, rief er dem Abgeordneten zu.
Kürzung beim Elterngeldanspruch
Den Elterngeldanspruch für Selbstständige thematisierte Whittakers Fraktionskollegin Silvia Breher. Dazu sagte Ministerin Paus, der Elterngeldanspruch sei eine wichtige gleichstellungspolitische Maßnahme. Die Haushaltsberatungen 2024 hätten sie vor die Herausforderung gestellt, eine Kürzung vorzunehmen, und sie habe sich für am wenigsten schlechte Lösung entschieden.
Ab einem Bruttoeinkommen eines Paares von 180.000 Euro solle es nach ihrem Vorschlag keinen Elterngeldanspruch mehr geben. Das Verfahren liege aber beim Parlament, so Paus, die auf die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses zum Haushalt 2024 in der kommenden Woche verwies.
Kindergrundsicherung und Familienstartzeit
Dem AfD-Abgeordneten Martin Reichardt, der monierte, dass für deutsche Familien kein Geld mehr da sei, erwiderte Paus, die Regierung tue viel für Kinder. Sie verwies auf die geplante Kindergrundsicherung, deren erste Lesung in dieser Woche im Parlament stattfinde. Sechs Milliarden Euro stünden für Kinder zusätzlich zur Verfügung, sodass es falsch sei, dass die Regierung nichts für Kinder tue.
Ulle Schauws (Bündnis 90/Die Grünen) fragte die Ministerin nach der „Familienstartzeit“. Dazu sagte Paus, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf entscheide sich mit der Geburt des ersten Kindes, man verfalle dann gern in alte Muster zurück. Die Sorgearbeit müsse neu aufgeteilt werden. Ihr Ministerium habe dazu einen Gesetzentwurf zur Familienstartzeit auf den Weg gebracht.
Geld und Personal für Kitas
Matthias Seestern-Pauly (FDP) erkundigte sich nach den Eckpunkten für ein Qualitätsentwicklungsgesetz für Kindertagesstätten. Es sei ihr Anliegen, die Kitas zu stärken, betonte die Ministerin. Ihr Ziel sei es, im ersten Quartal 2024 einen Gesetzentwurf vorzulegen.
Heidi Reichinnek (Die Linke) thematisierte die Finanzierung des Kita-Systems. Vier Milliarden Euro seien ein erheblicher Beitrag, erwiderte Paus, ihr Ministerium engagiere sich auch im Bereich der Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder.
Jasmina Hostert (SPD) fragte nach der Weiterentwicklung der pädagogischen Qualität der Kitas. Die Ministerin verwies auf fehlende Fachkräfte, nicht nur in Kitas, sondern auch im Ganztagsbereich. Ebenso werde Personal in der offenen Jugendhilfe benötigt. (vom/08.11.2023)